Einbruch bei Familie Popstar

Überwachungskritik: Über undeutliche Popstars und die Lust beobachtet zu werden

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Juli Zeh entwirft mit ihrem im ZDF ausgestrahlten Kommentar zur NSA zwar ein schönes Bild. Das müsste aber schärfer gezeichnet werden, um etwas Interesantes zu zeigen. Momentan sieht es noch so aus:

http://www.freemusicwiki.net/weblog/wp-content/uploads/2013/07/blured1.jpg

"Juli Zeh: 'Der Einbruch im Rechtsstaat'"

Frau Zeh erklärt ihr Bild so:

"Wenn ich an die NSA-Affäre denke, sehe ich ein Haus [Damit meint sie den Rechtsstaat - T.P.], das gerade von einer Einbrecherbande [Damit meint sie die NSA.] ausgeräumt wird. Die Bewohner [... die Bürger.] stehen daneben und gucken zu. Die Hausverwaltung [... die Bundesregierung.] steht auch daneben und guckt zu. Sie ruft den Einbrechern vielleicht noch hinterher: ‘Wir verlangen schonungslose Aufklärung. Wir wollen wissen, was hier gespielt wird.’ Und die Einbrecher rufen zurück: ‘Geht in Ordnung.’, steigen ins Auto [?] und fahren davon."

Juli Zeh wundert sich nun, dass die Bewohner des Hauses die Hausverwaltung nicht anmotzen:

"Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde: die Dreistigkeit dieser Einbrecher oder die Mischung aus Resignation und Hilfslosigkeit, mit der darauf reagiert wird."

Ich wundere mich hingegen, was mit dem Bild los ist. Es ist verschwommen, als hätte es eine Woche im Herbstregen vor dem Haus gelegen.

Immerhin: ein Bild ist ein guter Anfang. Bei genauerer Betrachtung kann man vielleicht was damit anfangen. Vor allem wenn man die Bewohner des Hauses, deren Vertrerterinnen eine, Juli Zeh sein könnte, unter die Lupe nimmt:

Je mehr Informationen wir über uns und über die Welt um uns herum haben, desto sicherer sind wir

Diese Bewohner - also wir, die Bürger - sind, wenn ich es recht betrachte, selber Einbrecher. Als Netizens haben wir in den letzten Jahren gelernt, uns zu informieren. Informieren meint, dass wir Daten sammeln, um Wissen über uns, unsere Nachbarn, unsere Freunde, unsere Chefs und die Welt zu gewinnen. Wir wissen, dass sich auch unsere Freunde, Nachbarn, Chefs und uns völlig unbekannte Menschen informieren. Je mehr Informationen wir über uns und über die Welt um uns herum haben, desto sicherer sind wir. Und: "sich informieren" fühlt sich zwar an wie Fern-Erkundung, aber in Wirklichkeit ist es intimer als ein Zungenkuss, intimer als Sex. Nur haben wir in der digitalen Welt noch kein gutes Verständnis für Distanz und Nähe entwickelt: Wir glauben, wir dringen nirgends ein, wenn wir uns informieren: Keine Scheibe geht zu Bruch. Kein Telefonkabel wird angezapft. Alles bleibt schön heile. Wir machen nichts Schlimmes, wenn wir uns informieren.

Je mehr wir beobachtet werden, desto glücklicher sind wir

Und auch das Beobachtet-Werden empfinden wir nicht mehr als Eindringen oder als Einbruch. Im Gegenteil, wir wissen es zu schätzen, wenn wir beobachtet werden. Wir sind nicht nur Einbrecher, wir sind exhibitionistische Einbrecher. Freunde bekommen minutiöse Status-Updates von uns präsentiert. Je mehr wir beobachtet werden, desto glücklicher sind wir. Wir sind micro-celebrities geworden, wie Theresa Senft meint. Wir präsentieren der Welt die Dinge, von denen wir glauben, dass sich die Welt für sie interessiert oder von den wir gerne hätten, dass sich die Welt dafür interessiert: "Look at my tatoo! See my new hairstyle? Hier: mein neues Piercing." Vor allem präsentieren wir dabei: Uns! "Like me on facebook! Follow me on twitter! Das hier, das ist meine Freundin. Chayenne-Marie an Bord. Das hier: das bin Ich!" - Die Katze verhungert, die Kakteen vertrocknet, und mein Profil glänzt. - Dabei machen wir uns gerne nackig. Nackig kommt gut an. Wirkt authentisch. Und informativ. Auch hier ist das Verständnis für Nähe und Distanz verloren gegangen.

In erster Linie haben wir dieses exhibitionistische Verhalten den Web2.0-Werkzeugen der Kalifornischen Ideologie zu verdanken, die uns sanft dazu drängt, glückliche Popstars unserer eigenen Shows zu werden. Die stolze Präsentation des Selbst folgt den Mechanismen der Fremd- und Selbstüberwachung: "Bin ich beliebt?", "Was kann ich tun, um mehr 'Likes' und 'Freunde' zu bekommen? - Irgendwas Kreatives, Originelles!" Je emotionaler, fleißiger und authentischer es gelingt, diesen Mechanismen zu folgen, desto höher ist mein Status (dazu z.B.: Carolin Wiedemann, 2010: Selbstvermarktung im Netz. Eine Gouvernementalitätsanalyse der Social Networking Site ‚Facebook’ und Alice Marwick, 2010: Status Update. Celebrity, Publicity And Self-branding In Web 2.0).

In kurz: ein Popstar muss populär sein, populärer als die Anderen und populär ist, über wen sich interessante Dinge sagen, schreiben oder zeigen lassen.

Wo Neoliberalismus drauf steht, kann kein Polizeistaat drin sein

Unsere weitgehende Angst- und Schamlosigkeit beim Zeigen haben wir, vermute ich, dem Neoliberalismus zu verdanken, der in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg als Antwort auf Faschismus und des Stalinismus zur Anti-Staatsdoktrin und zum Garant für persönliche und gesellschaftliche Freiheit gemacht wurde: Wo Neoliberalismus drauf steht, kann kein Polizeistaat drin sein.

Zurück zum Bild: Meiner Meinung nach, haben wir es mit einem Haus zu tun, in dem exhibitionistische, informationsgeile Wanna-be-Popstars wohnen. Und angesichts von Einbrechern im Haus tun wir das, was wir am besten können: Erstens - uns informieren. Wir wissen mittlerweile genau, welche Wege die Daten von meinem Facebook-Profil zur NSA-Behörde gehen. Zweitens: Winken. Originell sein. So tun, als wären wir authentisch und betroffen. "Vielleicht werde ich endlich entdeckt?", "Ich müsste mich mal dazu äußern.", "Wo ist die Kamera?".

Das wäre ein Bild, in dem ich mich wiederfinden kann. - Jetzt wo die Bürger auf dem Bild ein bisschen deutlicher sind, kann ich hier auch Juli Zeh sehen. Als die Schriftstellerin, die ihre tatsächlich oder vermeintlich private Meinung frei, selbstbestimmt, vorausschauend und unpretentiös inszenziert. Auch jetzt hat sie wieder ein Sprechrohr vorm Mund. Gleich neben ihr steht Sascha Lobo und winkt mit seinem Sprechrohr. Daneben: Oliver Bienkowski der einen Beamer aufbaut, um später, wenn es dunkel ist "Bohemiens aller Länder vereinigt Euch zur digi-liberalen Aventgarde!" an das Garagentor zu projezieren. Weiter hinten: ich - Bälle jonglierend, während ich "Die Zeiten in denen 'Give Peace A Chance' sind vorbei" singe - ein selbstgedichtetes Lied. Um mich herum: Seiltänzer, Feuerschluckerinnen, Netzaktivisten, I-Pad-DJ's, Schriftsteller, Bloggerinnen, Sing-a-songwriter, Künstler. Bewohner habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen. - "Stop watching us"? - No way.

Der Text verfolgt die These, dass die Bürger nicht die Opfer einer fehlmotivierten Überwachung von außen sind, sondern, dass wir - die Netizens das Überwacht-werden und das Überwachen im digitalen Neoliberalismus als etwas Lustvolles erleben und aktiv zur Akzeptanz von Überwachung beitragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

torsten-peh

PEH wie Popstar?

torsten-peh

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