Lustig? Traurig? – Wissenschaftlich!

Glaubensfragen - Was passiert, wenn Wissenschaft, die zur Lösung innerstädtischer Nutzungskonflikte beitragen soll, mehr Fragen aufwirft, als sie beantworten kann?

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"Die letzten Nebelschwaden auf der Hufewiese" - Foto: Hufewiesen Trachau e.V.

Die Eigentümer der Hufewiesen in Dresden-Trachau, die MBG Trachau GmbH & Co KG., haben neulich vor geladenen Journalisten und Politikern im exklusiven Hotel Steigenberger am Dresdner Neumarkt eine Studie zu ihrem 10 Hektar großen und seit zwei Jahren abgesperrten Stück Grün vorgestellt.1 Dazu gereicht wurden Getränke und Kanapees.

In der Studie kommt man nun zu Ergebnissen, die einer Untersuchung vom Januar 2014 zu eben jener Hufewiese stark widersprechen. Während beispielsweise die vom Verein Hufewiese Trachau e.V. durchgeführte Januarstudie herausgefunden hat, dass nur 2% der Dresdner Bürger für eine Bebauung der Hufewiese sind, kommt nur wenige Monate später der Eigentümer zu dem Ergebniss, dass 67% der Elbestädter für eine Bebauung der Fläche sind.

Der Verein "Hufewiese Trachau e.V." konstatiert:

“Die Menschen sehen mit deutlicher Mehrheit die Hufewiesen als eine grüne Oase an. Nur 2% aller Befragten konnten sich eine Bebauung vorstellen. Viele möchten, daß die Hufewiesen wieder so werden wie vor der Absperrung. Das betonte immerhin jeder Vierte – ohne Aufforderung durch die Fragestellung in der Umfrage!”2

Wohingegen die neue, von infratest dimap durchgeführte, Studie so interpretiert wird:

“Die Dresdener Bürger haben über die Zukunft der Hufewiesen, der ca. 11 Hektar großen, ehemals landwirtschaftlichen Fläche mitten in Dresden-Trachau mit großer Mehrheit entschieden: Exakt zwei Drittel der Befragten, die eine Angabe machten, wollen eine Bebauung der Fläche mit vorrangig günstigem Wohnraum, viel offenem Grün und wenig Gewerbe.”3

Die Eigentümer der Wiese und die Vertreter der Anwohner haben hier beide viel Geld, Nerven, Hirnschmalz und Arbeit in die Durchführung zweier vermeintlich objektiver Studien gesteckt: Sozialwissenschaftler haben monatelang konzipiert, befragt und ausgewertet und jetzt: The drugs don’t work! Beide Studien kommen zu gegenteiligen Ergebnissen.

Soll man die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen nun bloß lustig oder auch ein bisschen traurig finden? - Ich finde sie wissenschaftlich, denn beide Studien liefern ein schönes Beispiel für die von Karin Knorr-Cetina postulierte These, daß die Produkte der Wissenschaft durch die indexikalische Logik ihrer Erzeugung gezeichnet sind. Das heißt, das Forschungsergebnisse durch die beim Forschungsprozess wirksam werdenden persönlichen Präferenzen, Bequemlichkeiten, Ergebniserwartungen, Arbeitslogiken und Vorstellungen der beteiligten Personen geformt wird .4

Mit anderen Worten: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wissenschaftliche Studien zu Ergebnissen kommen, die viel über die an ihrer Erstellung beteiligten Personen verraten, möglicherweise mehr als über die von ihnen untersuchten Gegenstände. Kein Wunder - unter diesen Umständen:

Um noch schnell zur Ausgangsfrage zurückzukommen:

Was passiert denn nun, wenn Wissenschaft, die zur Lösung innerstädtischer Nutzungskonflikte beitragen soll, mehr Fragen aufwirft, als sie beantworten kann? - Im Falle des Streites um die Hufewiesen in Dresden Trachau machen sich einige der am Konflikt beteiligten Gruppen nun gegenseitig ihre Statistiken madig. Wissenschaft hat hier nicht zu einem Ende des Konfliktes geführt, sondern zu einer Erhöhung des Abstraktsionsniveaus auf dem der Streit geführt wird.

Und um ehrlich zu sein: vermutlich kam es keiner der beiden Parteien mit ihrer Studie drauf an, den Streit zu beenden. Ziel dürfte viel mehr gewesen sein, im Streit um die künftige Nutzung der Trachauer Hufewiesen Deutungshoheit zu gewinnen.

Mit der neuen Studie haben die Eigentümer nun ausgeglichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

torsten-peh

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torsten-peh

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