Vielleicht ist Barack Obama gerade dabei, sich seinen Friedensnobelpreis nachträglich tatsächlich noch zu verdienen. In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit geht der Präsident derzeit daran, das diplomatische Fenster, das sich in der Syrienkrise geöffnet hat, für eine gravierende Wende in der amerikanischen Nahostpolitik zu nutzen. Doch damit nicht genug: Nach über drei Jahrzehnten diplomatischer Eiszeit scheint Washington bereit, sein Verhältnis zum Iran zu entspannen und neu zu ordnen. Das wäre eine echte Revolution mit weit reichenden Folgen für die gesamte Region.
Ob Obama mit diesem Kurswechsel Erfolg haben wird, ist keinesfalls ausgemacht. Skepsis und Widerstand im eigenen Land und auch im eigenen politischen Lager sind groß. Erst Recht in Israel, wo die Regierung von Benjamin Netanyahu auf allen Kanälen davor warnt, den Avancen des iranischen Präsidenten Hassan Rohani allzu viel Glauben und Aufmerksamkeit zu schenken. Dessen neue Töne seien noch keine neue Politik, sondern erstmal nichts als große Worte. Ob das stimmt, das gilt es nun herauszufinden. Und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Teheran es diesmal mit einer Öffnung des Landes ernst meint.
Die Islamische Republik steht wieder einmal vor einem Scheideweg. Seit über drei Jahrzehnten behauptet sich dort ein Gesellschaftsmodell, dessen Mixtur aus Theokratie und Demokratie alle Sphären durchdringt. Weder Krieg noch Sanktionen haben die weltliche Herrschaft der schiitischen Geistlichkeit seit 1979 ernsthaft gefährden können. Auf Krisen hat das System erstaunlich flexibel reagiert.
Die Macht der Geistlichkeit
Radikalen Phasen, in denen religiöser Fundamentalismus sich mit starkem Etatismus und aggressiver außenpolitischer Isolierung paarte, folgten stets liberalere Zeiten mit mehr individuellen Freiheitsrechten, außenpolitischer Mäßigung und wirtschaftlicher Öffnung. Die jeweiligen Flügelkämpfe waren oft hart, gingen aber nie so weit, die Macht der Geistlichkeit und damit die Grundlagen des politischen Systems infrage zu stellen.
Unter Mahmud Ahmadinedschad, dem exzentrischen Vorgänger Rohanis im Präsidentenamt, haben die Mullahs jedoch genau in diesen Abgrund geschaut. Deshalb war der Machtwechsel zwingend. Nicht nur, weil die Wirtschaft am Boden liegt, was auch, aber nicht nur, Folge der Sanktionen ist. Sondern vor allem, weil Ahmadinedschad die Islamische Republik innenpolitisch vor eine Zerreißprobe gestellt und außenpolitisch in ein gefährliches Abseits manövriert hatte.
So gesehen hat Rohani als gemäßigter Vertreter im Augenblick weit reichende Prokura. Dieses window of opportunity sollte und muss der Westen für eine diplomatische Offensive im Atomkonflikt mit dem Iran nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass man Reformer wie Rohani als das ansieht, was sie sind: Stabilisatoren der Macht. Ein Regimewechsel im Iran mag wünschenswert sein, steht aber nicht auf der Tagesordnung.
Für eine Zwei-Fronten-Diplomatie
Rohanis größte Baustelle ist derzeit die Außenpolitik. Regional drängen die Golfstaaten ihn in die Defensive. Und international lassen Isolierung, Sanktionen und das Damoklesschwert eines Militärschlages gegen die Atomanlagen nur wenig Spielraum. Diesen gordischen Knoten kann er nur mit einer Zwei-Fronten-Diplomatie im Atomkonflikt und in der Syrienkrise zerschlagen, wie sie derzeit zu beobachten ist. Und die Erfolgschancen dafür sind nicht schlecht.
Eine diplomatische Lösung der Syrienkrise zwingt die US-Politik geradezu, auf den Iran zuzugehen. Von daher zeugt Rohanis Avance von gutem Timing. Teheran hat Washington den schweren ersten Schritt abgenommen. Das gab es unter Ex-Präsident Chatami schon einmal. Doch damals fiel die Offerte bei der Bush-Administration auf keinen fruchtbaren Boden. Obama geht andere Wege. Auch weil er erkannt hat, wie begrenzt seine militärischen Machtoptionen in der Region sind. Einen dritten Feldzug nach dem im Irak und in Afghanistan kann und will sich – außer ein paar unverbesserlichen republikanischen Hardlinern – niemand leisten.
Wenn die USA aber schon in Syrien keine militärischen Optionen mit kalkulierbarem Ausgang mehr haben, wie viel düsterer sähe es dann bei einem militärischen Konflikt mit dem Iran aus? Wer sich gezwungen sieht, dem Assad-Regime die Chemiewaffen mit diplomatischen Mitteln abzunehmen, der kann im Atomkonflikt mit dem Iran nur noch bedingt glaubwürdig mit dem Säbel rasseln.
Genau das aber bereitet den Israelis derzeit Kopfzerbrechen. Von der Arabellion und ihrem islamistischen Rollback ebenso überrascht wie von der Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg sieht man sich einer strategischen Lage gegenüber, die dazu zwingt, das eigene Sicherheitsverständnis zu überdenken. Wenn militärische Optionen an Bedeutung verlieren, dann kann das auch den israelisch-palästinensischen Verhandlungen neue Impulse verleihen.
Im Nahen Osten hat Diplomatie eine unverhoffte Chance bekommen. Amerika scheint bereit diese zu nutzen. Jetzt müssen die Europäer transatlantische Solidarität zeigen und sich offensiv einbringen. Und vielleicht hat ja auch Deutschland demnächst einen Außenminister, der auf dieser Bühne wieder mitspielen kann.
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