Es wirkte schon erstaunlich, mit welcher Souveränität der iranische Präsident beim Weltwirtschaftsforum in Davos aufgetreten ist. Dabei war Hassan Rohani zwar im richtigen Land, aber eigentlich am falschen Ort. Fünf Autostunden weiter westlich, in Genf und Montreux, verhandelte die syrische Opposition mit der Damaszener Regierung die Zukunft ihres Landes. Und die wird nicht – das ist allen Beteiligten klar – ohne oder gegen Iran zu gestalten sein. Umso bemerkenswerter erschien die Gelassenheit, mit der Teheran quittierte, vom UN-Generalsekretär erst ein- und dann wieder ausgeladen worden zu sein. Zumal die Begründung keinem objektiven Urteil standhielt: Iran habe sich nicht zum Genf-I-Agreement von 2012 bekannt. Gemeint war: nicht die Lesart akzeptiert, wonach mit Präsident Assad keine Verhandlungslösung möglich sei.
Genf I ließ aber dessen Schicksal ausdrücklich offen. Lediglich die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton hatte sich diesem Kompromiss verweigert. 19 Monate Bürgerkrieg später sitzt Syriens Staatschef fester im Sattel denn je; die Opposition ist zerstritten und geschwächt, während der Bürgerkrieg zunehmend von dschihadistischen Söldnern geführt wird.
Obamas „jetzt oder nie“
Der diplomatische Eklat um die Ausladung Irans hielt sich auch deshalb in Grenzen, weil die Karten in der Region gerade neu gemischt werden. Das gilt vor allem für Washington und Teheran. Für beide hat der jüngst erzielte Kompromiss im Atomkonflikt Priorität. Während Rohani in Davos die politische Belastbarkeit des Agreements austestet, hat hinter den Kulissen der Wettlauf zwischen chinesischen, russischen und europäischen Investoren um lukrative Aufträge und Ölgeschäfte längst begonnen. Gerüchte, dass Moskau hier vorpreschen und bald einen Vertrag über die Lieferung von täglich 500.000 Barrel Öl unterzeichnen wird, haben in Washington nervöse Reaktionen ausgelöst. Ein solches Abkommen stünde in völligem Einklang mit den UN-Sanktionen gegen Iran, verstieße aber gegen das schärfere und strafbewährte US-Sanktionsregime. Dessen Tage könnten gezählt sein, und zwar unabhängig davon, ob sich in Washington eine politische Mehrheit dafür findet oder nicht.
Barack Obama sieht sich mit den militärischen, wirtschaftlichen und politischen Grenzen einer unilateralen US-Ordnungsmacht im Nahen Osten konfrontiert und reagiert darauf mit deutlicher Kurskorrektur. Gegen den Widerstand konservativer Hardliner und pro-israelischer Lobbygruppen schickt er seinen Außenminister auf die intensivste Nahostpendelmission seit Henry Kissinger. Darüber hinaus scheint der Präsident ernsthaft gewillt, die seit der Islamischen Revolution von 1979 eingefrorenen Beziehungen Teheran zu beleben. Das wäre dann wirklich ein Paradigmenwechsel, der die regionale Rolle Teherans in eigene politische Optionen ummünzt.
Eine davon wäre die Unterstützung einer aktiven iranischen Vermittlung im syrischen Bürgerkrieg. Dafür sprechen zunächst historische Gründe. Die Achse Teheran-Damaskus ist fast so alt wie der moderne syrische Staat und richtete sich stets gegen gemeinsame Rivalen oder Feinde. Noch unter dem Schah gehörte dazu das irakische Baath-Regime in Bagdad. Nach der Islamischen Revolution kam Israel hinzu. In Teheran wollte man zudem nicht vergessen, dass Syrien im iranisch-irakischen Krieg (1980 – 1988) der einzige arabische Verbündete war und blieb. Entsprechend eng wurden die bilateralen Bande danach. Auch wenn die Interessen selten deckungsgleich waren, fand man doch einen gemeinsamen Nenner. Im libanesischen Bürgerkrieg etwa unterstützten Syrien mit der Amal und Iran mit der Hisbollah lange Zeit konkurrierende schiitische Milizen. In den frühen neunziger Jahren söhnten sich Teheran und Damaskus in dieser Frage aus. Der iranische Beistand für die Hisbollah wurde zu einem lukrativen Geschäft für beide Seiten. Er verschaffte Teheran einen direkten Zugang zum israelischen Grenzgebiet, während für Damaskus stattliche „Transiteinnahmen“ heraussprangen. Auch deshalb kämpfen heute Hisbollah-Milizen in Syrien neben Regierungssoldaten. Aber das kann sich ändern.
Teheran hat seine Syrien-Politik zuletzt etwas modifiziert. Die einst bedingungslose Parteinahme für Assad ist unter Rohani einer Haltung gewichen, die es der syrischen Bevölkerung überlassen will, wer das Land regiert. Dieser dosierte Paradigmenwechsel hat einiges mit der Deutung des Arabischen Frühlings zu tun. Tatsache ist, dass Teheran die islamische Widerstandsbewegung – und hier vorrangig die Muslim-Brüder in der arabischen Welt – immer schon tatkräftig unterstützt hat. Als die Regimes von Tunis bis Kairo fielen, interpretierten das konservative Kreise im Iran als Fortsetzung der Islamischen Revolution und machten eigene Führungsansprüche geltend. Die iranische Opposition dagegen sah in der Arabellion ein Signal für den regime change im eigenen Land. Diese für sie gefährliche Lesart trieb Revolutionsführer Ali Chamenei und seinen damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedjad gleich zu Beginn des Syrien-Konflikts an die Seite Bashar al-Assads. Und das blieb so – erst recht, als sich regionale Konkurrenten des Iran und dschihadistische Milizen in den Bürgerkrieg einmischten.
Mit Hochdruck
Erst mit Rohani wurde die Syrienpolitik wieder flexibler. Dass sich Teheran dem Diktum „nur ohne Assad“ nicht anschließt, heißt längst nicht mehr, dass man es ausschließt. Das Verhältnis zu Assad und seinem inneren Zirkel ist nach wie vor eng, aber inzwischen eher taktischer Natur. Je stärker die dschihadistischen Verbände in Syrien werden, desto mehr bietet sich Teheran als Vermittler zwischen dem moderateren Anti-Assad-Lager und der Regierung an. Ein Part, wie ihn weder die USA noch Russland noch die arabischen Nachbarn übernehmen können. Allein der Iran verfügt in der Region über belastbare Kontakte zu beiden Seiten. Er könnte viel erreichen, sollte es gelingen, die traditionell guten Kontakte mit Katar zu reaktivieren und sich den Muslim-Brüdern wieder anzunähern, was nach dem Fall von Präsident Mursi in Ägypten nicht schwer sein sollte.
Rohani und Außenminister Mohammed Sarif arbeiten mit Hochdruck daran, die Isolation Teherans zu durchbrechen. Dies erinnert an die Öffnungspolitik des einstigen Präsidenten Mohammed Chātami (1997 – 2005 im Amt), der nicht zuletzt an den USA scheiterte, weil George W. Bush alle Angebote ausschlug und Iran auf der „Achse des Bösen“ einsortierte. Das war, als man in Washington noch von globaler Omnipotenz träumte. Rohani und Obama müssen nun mit den Scherbenhaufen ihrer Vorgänger fertig werden; auch im bilateralen Verhältnis. Verbal haben beide längst abgerüstet. Sie wissen aber auch, dass es ohne erfolgreichen Atomkompromiss keine weiteren Spielräume geben wird. Und dass ihnen nur wenig Zeit bleibt, die Gunst der Stunde zu nutzen.
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