Es ist lange her, dass eine Wahl im Iran derart starke internationale Beachtung findet, wie der Urnengang am 26. Februar, wenn die mehr als 50 Millionen Wahlberechtigten über die Zusammensetzung des nächsten Parlaments und der sogenannten Expertenversammlung entscheiden. Erwartet wird, dass dieses erste Votum unter dem moderaten Präsidenten Hassan Rohani und nach dem historischen Atomabkommen dazu führt, die Reformkräfte zu stärken. Ausgemacht ist das aber keinesfalls. Und selbst wenn, bliebe abzuwarten, wie Konservative und Hardliner auf eine mögliche Niederlage reagieren. Bis zur Wahl Rohanis im Juni 2013 hatten die Regimekleriker alle politischen und religiösen Institutionen des Iran fest im Griff: sowohl die direkt gewählten wie Präsidialamt, Parlament und Expertenversammlung. Aber auch die Judikative, die Streitkräfte und den einflussreichen Wächterrat, eine Art Verfassungsgericht. Die Zusammensetzung dieser Gremien wird nicht oder bestenfalls indirekt durch Wahlen bestimmt.
Verliert die Allianz der Reformverweigerer ihre Mehrheit im Parlament, würde dem populären Präsidenten eine weniger oppositionell eingestellte Volksvertretung gegenüberstehen. Reformen wären leichter umzusetzen. Dabei richten sich die Erwartungen nach dem Ende der Sanktionen auf wirtschaftlichen Aufschwung, gesellschaftliche Liberalisierung und außenpolitische Berechenbarkeit. Ob sie erfüllt werden, hängt davon ab, welche Koalitionen sich nach den Wahlen bilden. Wer sich den radikalen Kurswechsel erhofft, dürfte enttäuscht werden. Ungeachtet aller, oft heftigen Rivalitäten haben die politisch-religiösen Eliten der Islamischen Republik noch immer bewiesen, dass sie zu Kompromissen fähig sind. Da folgt der Iran in der politischen Mechanik eher chinesischem Muster. Auch in der pragmatischen Republik Allahs enden alle Reformen an den Grenzen politischen Machterhalts – hier: der des schiitischen Klerus.
Mussawis Comeback
Daran wird keine Wahl etwas ändern. So gesehen, ist es nur konsequent, wenn radikale Gegner des Regimes jede Abstimmung dieser Art als Farce abtun. Und doch haben die vergangenen 37 Jahre seit der Islamischen Revolution bewiesen, dass es nicht unerheblich ist, wer oder welche Koalition in Teheran nach den Zügeln der Macht greift. Bisher halten sich Hardliner und Konservative gleichermaßen an eine traditionalistische Islaminterpretation und ein anti-liberales Gesellschaftsmodell. Was sie trennt, ist ihre Klientel. Die Konservativen bildeten zuletzt mit 120 der 290 Sitze die größte Gruppierung im iranischen Parlament. Sie vertraten vor allem die Interessen der schiitischen Orthodoxie und einflussreicher Basarhändler. Die Hardliner hielten noch 75 Sitze und verstanden sich als Speerspitze der Entrechteten auf dem unteren Ende der sozialen Skala. Entsprechend unterschiedlich fielen die wirtschaftspolitischen Konzepte aus. Während islamische Konservative als Advokaten einer freien Marktwirtschaft mit schlankem Staat auftraten, votierte die Mehrzahl der Hardliner für einen starken Staat mit zentral gelenkter Ökonomie als Basis einer Klientelpolitik, die in den sozial schwachen Bevölkerungsschichten Anklang fand. Außenpolitisch verfolgten Hardliner und Konservative einen auf Unabhängigkeit und Distanz zum Westen bedachten Kurs, der sich allein im Grad der Bereitschaft unterschied, dadurch international isoliert zu sein.
Die dieser Phalanx entgegentretenden Reformer um Ex-Präsident Mohammad Chātami oder Ex-Premier Mir Hossein Mussawi eint ein liberaleres Islam- und Gesellschaftsbild. Das macht sie für die Mittelschichten und jungen Wähler attraktiv. Dazu passt ihr außenpolitisches Credo der Mäßigung und Öffnung. Wie ambivalent der von den Reformern gepflegte Bezug zu den freiheitlichen und emanzipatorischen Elementen der Islamischen Revolution von 1979 ist, verdeutlicht die Vita Mussawis. Dieser hat als Premierminister von 1981 bis 1989 nicht nur die Wirtschaft während des acht Jahre dauernden Golfkrieges gegen den Irak erfolgreich gemanagt, sondern war 1988 auch für die Hinrichtung vieler politischer Gefangener verantwortlich. Dennoch feierte Mussawi ein Comeback als Reformer, trat bei der Präsidentenwahl 2009 gegen den Hardliner Mahmud Ahmadinedschad an. Als er verlor, löste Mussawi mit seinem Vorwurf der Wahlfälschung Massenproteste aus, die das Regime erschüttert haben – so tief, dass Mussawi trotz eines Kotaus vor den Autoritäten seit fünf Jahren unter Hausarrest steht.
Investitionsboom erwartet
Zwischen allen Stühlen und Fronten agiert eine Gruppierung, die wahlweise als moderat, zentristisch oder unabhängig bezeichnet wird. Sie ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner im Machtkampf zwischen Hardlinern, Reformern und Konservativen. Gut möglich, dass ihr nach den Wahlen die nähere politische Zukunft des Iran gehört. Prominente Vertreter sind Hassan Rohani, Ex-Präsident Ali-Akbar Haschemi Rafsandschani und Hassan Khomeini, ein Enkel des Staatsgründers Ayatollah Khomeini.
Auch diese Fraktion bleibt vom erbitterten Machtkampf um die Früchte des Atomabkommens nicht verschont. Immerhin erwartet den Iran nach den Sanktionen ein Investitionsboom. Die Frage wird sein, wer davon profitiert. Sollten die ins Land fließenden Milliarden im Filz zwischen Basar, religiösen Stiftungen und ineffizienter Staatswirtschaft versickern, werden soziale Effekte sehr schnell verpuffen. Dann würden nicht nur die vernachlässigten Unterschichten rebellieren, dann könnten auch die jungen, gut ausgebildeten Mittelschichten – wie 2009 – erneut auf Distanz zum System gehen. Ein Albtraum für die iranische Führung. Die Wahl wird zeigen, wer das Mandat bekommt, dem zu begegnen.
Außenpolitisch werden sich die Akzente kaum verschieben. Teheran ist längst wieder eine Ordnungsmacht, ohne oder gegen die es in den regionalen Konflikten des Nahen Ostens keine Lösung gibt. Das gilt besonders für Syrien und den Irak. Diese Renaissance wurde mit dem Nuklearabkommen nicht einfach nur sanktioniert, sondern strategisch untermauert. Der Iran wird seine neue, alte Rolle aber nur dann positiv gestalten und sich selbst nützen, wenn er als Regionalmacht kalkulierbar bleibt. Damit sind auch auf internationaler Bühne Maßstäbe und Erwartungen gesetzt, deren normative Kraft zusätzliche Wirkung entfalten wird, nach außen, aber ebenso innenpolitisch. Den Zuwachs an internationaler Reputation zu verspielen, kann sich das Establishment der Islamischen Republik derzeit weder politisch noch ökonomisch leisten.
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