Diplomatie ohne Konturen

NAHOST Schröders Reise unterstreicht die Notwendigkeit einer europäischen Ko-Vermittlung

Am Ende wird jede Vermittlung zwischen den »Friedenspartnern« Israel und PLO nur den einen bescheidenen Erfolg haben können: Man schießt nicht mehr und redet wieder. Das Grauen soll aufhören, egal wer angefangen hat. Egal? Diesen Ansatz kennen wir. Es ist die gescheiterte Philosophie von Oslo, eben nicht zu fragen, welcher Urgroßvater einst den ersten Stein warf, sondern sich auf das Machbare eines Kompromisses zu konzentrieren. Erst die kleinen Schritte zur Vertrauensbildung und dann der letzte große zum Frieden. Davon ist wenig geblieben. Statt Vertrauen aufzubauen, wird neuer Hass gesät.

Was will Kanzler Schröder in einer solchen Situation vor Ort? Sicher: Die Reise war lange vor dem gescheiterten Gipfel in Camp David geplant worden. Sie abzusagen, hieß falsche politische Signale zu setzen, obwohl vermutlich alle Beteiligten eine Verschiebung mit Verständnis quittiert hätten. Doch die Botschaft wäre deutlich genug gewesen: Hier ist im Moment nichts mehr zu retten. Also musste Schröder fahren und sich anhören, was die »Partner« einander vorwerfen. Der Kanzler reiste mit einer klaren Botschaft, die da heißt, jede deutsche Vermittlung endet beim besonderen deutsch-israelischen Verhältnis. Sprich: Es wird keine geben. Ein Mandat der EU besaß er auch nicht, und das amerikanische Vermittlungsmonopol im Nahen Osten stand ohnehin nicht zur Debatte. Was dann? Diplomatie durch Unterlassung, die sich um Format bemüht, indem sie auf Kontur verzichtet?

Das ergäbe eine Reise der absichtvoll leeren Hände, die manchem Gastgeber vielleicht ein Ansporn sein könnte, dieselben füllen zu wollen. Schröder als Resonanzboden für den von Kairo über Beirut bis Gaza allenthalben geäußerten Wunsch, die Europäer mögen sich endlich ihrer politischen Verantwortung stellen und der Region mehr geben als Geld und wirtschaftliche Hilfe? Das mag nicht gewollt sein und dürfte der diplomatischen Eitelkeit des deutschen »Weltstaatsmanns« kaum Genüge tun. Im Kern jedoch müsste es genau darauf hinaus laufen. Denn eins ist klar geworden in den vergangenen Monaten: Amerikanische Mediation allein reicht nicht mehr aus. Als Garantiemacht bleibt Washington in Nahost ohnehin unverzichtbar, schon deshalb, weil die Konfliktparteien im Zweifelsfall auf US- Versicherungspolicen bestehen werden.

Mit der Solorolle als Vermittler sind die USA jedoch ganz offensichtlich überfordert. Die war so auch nicht geplant. Doch seitdem Moskau - de jure offiziell immer noch Ko-Sponsor des nahöstlichen Friedensprozesses - sich aus dieser Rolle de facto verabschiedet hat, fehlen die Gegengewichte. Washington hat nicht die Macht und auch kein Interesse daran, seinen israelischen Verbündeten dazu zu bewegen, den Palästinensern ungeachtet der realen Kräfteverhältnisse auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Aber nur so wären tragbare Kompromisse zu erzielen, die dem Ansturm von Extremisten auf beiden Seiten der Grünen Linie Stand hielten. Da schadet es gar nichts, dass die EU als ein vom Verdacht des Antizionismus freier Vermittler in Israel wegen ihrer guten Verbindungen zur arabisch/palästinensischen Seite weniger gern gesehen ist. Im Gegenteil. Die Europäer müssten genau hier ihre Aufgabe sehen und sich daran machen, das von Russland hinterlassene Vakuum auch politisch zu füllen. Der Nahostprozess braucht eine neue Balance, um zu seinem Kern - der Beilegung des palästinensisch-israelischen Territorialkonfliktes - zu kommen. Wenn Schröders Reise diese Einsicht - absichtsvoll oder nicht - befördert hat, wären die Spesen nicht ganz umsonst ausgegeben.

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