Dividende für den Frieden

SYRIEN Erst wenn Baschar Assad das eigene Haus bestellt hat, kann er mit Israel verhandeln

Auf Assad folgt Assad. Ein quasi monarchischer Wechsel mit pseudo-demokratischer Begleitmusik und mehr nicht? Von diesem hohen Ross westlicher Demokratie aus lassen sich die Veränderungen nach dem Tode des syrischen Präsidenten gewiss nicht beurteilen. Als Hafiz al Assad 1930 geboren wurde, gab es keinen syrischen Staat, sondern lediglich groß-syrische Träume und ein französisches Mandatsgebiet, in dem 1926 der letzte Volksaufstand brutal niedergeschlagen worden war. 1941 erhielt Syrien de jure die Unabhängigkeit, volle Souveränität erst 1946. Da war Assad 16. 22 Jahre später übernahm der Löwe die Macht in Damaskus und verschaffte seinem Land zwei Dinge, die es bis dahin nicht kannte: Stabilität nach innen und Respekt nach außen. Zuvor hatten Staatsstreiche, Militärputsche und Flügelkämpfe innerhalb der regierenden Ba'ath-Partei Syrien mehrfach an den Rand des Zusammenbruchs geführt.

Derart geschwächt, konnte Damaskus auch kein ernsthafter Widerpart Israels sein. Der Verlust des Golan im Sechstagekrieg gehörte zu den traumatischen Erlebnissen Assads. Zumal die Panzertruppen des damaligen Verteidigungsministers den Höhenzug schon überwunden hatten. Der See Genezareth lag vor ihnen, und israelischer Widerstand war nicht zu spüren. Die Syrer vermuteten jedoch eine Falle, zogen sich wieder zurück, um wenig später vernichtend geschlagen zu werden. Kein Herrscher in Damaskus kann seitdem mit Israel über Frieden verhandeln, ohne diese "Schmach" zu tilgen, sprich: den Golan wieder in syrischen Besitz zu bringen.

Hafiz al Assad wollte den "Frieden gewinnen". Seine oft als historisch bezeichnete Entscheidung für einen "Verhandlungsfrieden der Tapferen" mit Israel ist nie in Abrede gestellt worden. Wenn der syrische Präsident sein Wort gegeben hatte, durfte man sich darauf verlassen. Bis er es gab, konnte viel Zeit vergehen. Assad galt zu Recht als der beste und hartnäckigste Verhandler im nahöstlichen Machtpoker. Wer im diplomatischen Karussell der Vermittler und Emissäre etwas werden oder darstellen wollte, bekam erst in Damaskus seinen Ritterschlag.

Assad, der während des Kalten Krieges seine exklusive Position als Verbündeter Moskaus mit sowjetischen Waffen und östlicher Entwicklungshilfe aufgebaut hatte, brauchte nicht lange, um sich umzuorientieren. Der Schwenk nach Westen und die Öffnung vor allem gegenüber den USA kamen gradlinig, ohne Schnörkel. Assads Misstrauen aber blieb und wurde oft genug bestätigt. Jordanien hat seinen Frieden mit Israel gemacht - auf die Dividende wartet man dort bis heute. Und die Palästinenser müssen in jeder Verhandlungsrunde ein Stück ihres nationalen Traums zurücklassen. All das konnte und wollte Assad sich nicht zumuten. Politische Symbolik und atmosphärische Gesten waren seine Sache nicht. Undenkbar, dass er - wie weiland Saddat - nach Jerusalem "gepilgert" wäre, ohne von dort im Gegenzug den Golan nach Hause zu bringen.

Baschar Assad - sein Sohn und Nachfolger in allen Ämtern - dürfte es in diesem einen Punkt einfacher haben. Für die neue Generation arabischer Führer in Jordanien, Marokko und jetzt auch in Syrien ist Israel ein Fakt, kein zionistisches Gebilde mehr, dessen Entstehen ihre Väter einst erfolglos bekämpft hatten. Baschar Assad weiß, wie wichtig Gesten sind, wenn in Israel eine Mehrheit für die Rückgabe des Golan gewonnen werden soll. In der Sache jedoch wird er noch weniger Konzessionen machen können als sein Vater. Damit rechnet in Jerusalem auch niemand. Vielmehr stellen sich alle auf Monate, wenn nicht Jahre des Stillstands in den syrisch-israelischen Verhandlungen ein. Und das vor allem, weil Baschar Assad erst einmal das eigene Haus bestellen muss.

Sein Vater hat ihm ein schweres wirtschaftliches Erbe hinterlassen. Unter Assads Herrschaft gewann Syrien Stabilität und Respekt, zeitweise auch bescheidenen Wohlstand. In den siebziger Jahren bildete sich eine neue, professionelle Mittelschicht heraus, für die es jedoch seit nunmehr 15 Jahren stetig bergab geht. Das soziale Gefälle im Land ist groß. Einer kleinen Schicht wirklich reicher Korruptionsgewinner und Höflinge des Regimes steht ein Heer von Armen gegenüber, die vom immer löchriger werdenden staatlichen Netz kaum noch aufgefangen werden. Daraus entsteht politischer Sprengstoff. Zum Beispiel in Gestalt des islamischen Fundamentalismus, der in Syrien lange Zeit keine Chance hatte. Assads Feldzug gegen die Muslimbrüder - den sein später ins Exil verbannter Bruder Riffat organisierte - kostete 1982 in Homs wahrscheinlich mehr als 20.000 Menschen das Leben. Heute sind die Islamisten wieder aktiv und stoßen - wie andern Orts auch - in die vom Regime vernachlässigten sozialen Bereiche.

Vor Baschar Assad steht eine Herkulesaufgabe. Er muss das Land öffnen und reformieren, um so für den Staat soziale Gestaltungsspielräume zurückzugewinnen. Das aber heißt, die Dividende einfahren, bevor der Frieden da ist. Denn erst derart gestärkt, kann sich der neue Präsident an den historischen Kompromiss mit dem jüdischen Nachbarn machen. Ein Teufelskreis? Ja, wenn Syrien nicht bald jene Unterstützung erfährt, die es braucht, um auf Dauer ein stabilisierender Faktor im Nahen Osten zu werden. Und wer, wenn nicht die EU, sollte hieran ein vorrangiges Interesse haben?

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