Eine Affäre mit dem Zeug zum Drama

Iran Noch sind die gefangenen britischen Soldaten eher für einen Nebenkriegsschauplatz interessant. Das kann sich ändern

Eigentlich ist es völlig gleichgültig, an welcher Stelle des Schatt al Arab die britischen Soldaten von ihren iranischen Kollegen aufgebracht wurden. Abgesehen von der Peinlichkeit des Vorgangs - jedenfalls aus Londoner Sicht: Teheran suchte ganz offenbar einen solchen Konflikt und hätte wenn nicht diese, dann eine andere Gelegenheit gefunden. Genügend Zündstoff bietet die iranisch-irakische Grenzregion allemal. Wechselseitige Gebietsansprüche lassen sich historisch fast nach Belieben herleiten und finden nicht zuletzt in unterschiedlichen geografischen Bezeichnungen Ausdruck.

Wer den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris "Schatt al Arab" nennt, folgt internationaler Gepflogenheit. Die persische Bezeichnung "Anwar Rud" (wörtlich: Tigris-Strom) hingegen ignoriert den Euphrat und damit den "arabischeren" der beiden großen Wasserarme des Zweistromlandes, das bis zum Aufstieg des Osmanischen Reiches im 17. Jahrhundert größtenteils zu Persien gehörte. Der eigentliche Grenzkonflikt begann, als die Osmanen 1638 den heutigen Irak eroberten und bis zu ihrem geschichtlichen Abgang 1918 beherrschten. Für diese Epoche regelten mehrere Abkommen mit Persien den Grenzverlauf sowie Seefahrt und Handel auf dem 193 Kilometer langen Wasserweg.

Dass nun ausgerechnet britische Einheiten seit dem Irak-Krieg 2003 die Zufahrt zum Persischen Golf kontrollieren, dürfte Teheran schon deshalb als brüskierend empfinden, weil Großbritannien das einst mächtige Persien im 19. und 20. Jahrhundert als Öllieferant zur Halbkolonie degradiert und nach dem Ersten Weltkrieg eine Grenzziehung durchgesetzt hatte, die den Schatt al Arab bis ans iranische Ufer als Teil des Irak auswies. Öl war und blieb der wichtigste Schmierstoff für den Dauerkonflikt am Schatt al Arab, der zwischen zwei wichtigen Fördergebieten lag: dem iranischen Chuzistan - von arabischen Nationalisten wegen eines nennenswerten arabisch-sunnitischen Bevölkerungsteils gern "Arabistan" genannt - und der mehrheitlich von Schiiten besiedelten irakischen Provinz Basra. Die ethnische und religiöse Gemengelage allein sorgte für reichlich Konfliktstoff.

Solange die Grenze am iranischen Ufer verlief, mussten die Perser für ihre Öl- und Frachtschiffe eine "Maut" bezahlen und zudem irakische Lotsen an Bord nehmen. Für den letzten Schah von Persien ein unhaltbarer Zustand, schließlich hatte Rezah Pahlevi seinem Land in den siebziger Jahren eine Modernisierungs-Rosskur verpasst, um dank tatkräftiger US-Hilfe auch militärisch eine Vormachtstellung in der Region zu sichern. Als die Zentralregierung in Bagdad 1975 durch kurdische Aufstände, denen es an iranischem Beistand nicht fehlte, geschwächt war, erzwang Teheran 1975 im Abkommen von Algier eine Korrektur der Grenze am Schatt al Arab. Sie wurde nun in der Flussmitte entlang der so genannten "Talweglinie" festgeschrieben.

Das Abkommen, für den Irak seinerzeit durch den Vize-Premier Saddam Hussein unterzeichnet, hielt ganze fünf Jahre. Dann war der Schah gestürzt und Iran in postrevolutionäre Machtkämpfe verstrickt, so dass Saddam Hussein - inzwischen Alleinherrscher - die Gunst der Stunde nutzte und das Algier-Abkommen am 17. September 1980 vor laufenden Kameras zerriss. Fünf Tage später begann auf einer 600 Kilometer breiten Front der erste Golfkrieg, der keinen Sieger hatte, acht Jahre dauerte, Hunderttausende das Leben kostete und die Wirtschaft beider Länder kollabieren ließ.

Für die USA war 1979 mit dem Sturz des Schah-Regimes der nach Israel wichtigste Partner im Nahen Osten verloren gegangen, also stieg Saddam Hussein zum kleineren Übel amerikanischer Realpolitik in der Region auf. Das änderte sich erst, als der irakische Diktator im August 1990 den Überfall auf Kuwait befahl, um sich durch einen zweiten Golfkrieg beim reichen Nachbarn für die Kriegsverluste des ersten zu entschädigen.

Auch für diesen Feldzug mussten historische Grenzstreitigkeiten zwischen Kuwait und Irak als Begründung herhalten. Nahezu zeitgleich erkannte Saddam jedoch die einst in Algier vereinbarte Grenze in der Flussmitte des Schatt al Arab wieder an, um den Iran ruhig zu stellen und einen Zwei-Fronten-Krieg zu vermeiden. Seither gilt dieses Agreement.

Dass Russland jetzt untersucht haben will, wo genau die britischen Soldaten festgenommen wurden, ist diplomatisches Geplänkel in einem Konflikt, der sich tatsächlich auf ganz anderen Ebenen abspielt. Um Grenzverläufe geht es dabei am allerwenigsten, wiewohl sich diese nach wie vor trefflich instrumentalisieren lassen. Mühelos lässt sich erkennen, dass die iranische Führung das amerikanische Desaster im Irak nutzt, um alte Rechnungen zu begleichen, von inneren Problemen abzulenken und regionalen Einfluss auszubauen. Mehr noch: Teheran wäre töricht, würde es auf den durch die US-Invasion bedingten Zerfall des Irak nicht offensiv reagieren. Das heißt in diesem Fall natürlich, dort mit eigenen Kräften präsent zu sein, was sich durchaus als außenpolitische Vorwärtsverteidigung verstehen lässt.

So gesehen, wären die britischen Soldaten ein Faustpfand in einem "Geiseldrama" um Einflussagenten, von denen Teheran zuletzt hochrangige Spieler an die Gegenseite verloren hat, darunter einen General, der in Istanbul spurlos verschwunden (oder desertiert?) ist. - Und das iranische Atomprogramm? Wer hier Verbindungen sucht, wird fündig, aber auch erkennen, dass dieser Konflikt in einer anderen Liga ausgetragen wird, die wenig mit einem Grenzstreit und gefangenen Briten zu tun hat. Denen ist vorerst die Rolle auf einem Nebenkriegsschauplatz zugedacht. Doch das kann sich schnell ändern.


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