Eurovision

MUT ZUR LÜCKE Fischer stößt eine überfällige Debatte an

Was für eine gute Idee, Europa mal eben einfach neu zu entwerfen. Joseph Fischer, Außenminister des vereinten Deutschland, das sich mit Macht (sic!) auf den Weg in die Normalität eines global player begeben soll, entwirft seine Vision einer "Europäischen Föderation". Dass er dies vor Studenten tat, hat durchaus Symbolwert: Diese Generation wird sich intensiver mit den Irrtümern und Unterlassungen europäischer Integrationspolitik auseinandersetzen müssen, als ihr lieb sein kann. Fischer hat ein Tabu gebrochen, nicht zum ersten Mal, aber diesmal laut hörbar und mit voller politischer Absicht: Er ließ wissen, wohin die europäische Reise gehen soll, oder wenigstens könnte. Bis dahin galt, der Weg ist alles, das Ziel bleibt im Nebel. Nur so ließen sich die unterschiedlichen Interessen, Vorstellungen und Ängste der einzelnen EU-Staaten unter einen gemeinsamen europäischen Hut bringen. Allein, dieses Verfahren ist längst an seine Grenzen gestoßen.

Fischer hat lange schon begriffen, dass Europapolitik Flickschusterei bleibt, wenn sie nicht in ein Konzept eingebettet wird, das zunächst einmal Zielbestimmungen vornimmt. Schon in der Debatte um die Aufnahme der Türkei als EU-Kandidat wurde dies mehr als deutlich. Damals hieß das Reizwort: Grenzziehung - und die Frage war: Wie groß will die EU eigentlich werden? Aber auch die ist sinnvoller Weise nur zu beantworten, wenn Konsens darüber besteht, wie das europäische Gebilde aussehen könnte. Andernfalls verbleiben die Organe und Institutionen der EU in ihrer eigenartigen Zwitterstellung: Ein Präsident, der wenig zu sagen hat, eine Kommission, die halb Exekutive halb Beamtenapparat ist, oder ein Europäisches Parlament, das - zu Recht - mehr Einfluss für sich reklamiert, gleichzeitig aber nicht genau weiß, wer und vor allem was alles in seine demokratische Kompetenz fällt.

Nun kann und wird man heftig darüber streiten, ob Fischers "persönliche Zukunftsvision" von einer Europäischen Föderation mit starker Exekutive, einem Zwei-Kammer-Parlament, einem Verfassungsvertrag, klarer Souveränitätsteilung zwischen europäischer und nationaler Ebene und einem verkappten Kerneuropa (hier: Gravitationszentrum) den Nagel auf den Kopf trifft. Gut ist, dass er sich öffentlich Gedanken macht und damit der überfälligen europäischen Diskussion über die künftige Gestalt der erweiterten EU eine Vorlage gibt, an der sich andere abarbeiten können. Denn: So "unpolitisch" ging es nicht weiter. Die Union tat ja geradezu so, als könne sie sich nach ihren mutigen Entscheidungen zur Osterweiterung auf reförmchenhaftes business as usual beschränken - und drohte damit sehr schnell, auf das Niveau einer besseren Freihandelszone abzusinken.

Jetzt ist eine Idee im europäischen Raum, die dem politischen Gestaltungswillen neuen Schwung zu geben verspricht. Ohne dass Fischer deshalb den Stein der Weisen gefunden hätte. Wie "sein" Europa die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen so meistern soll, dass sich die Bürger in dieser Föderation wirklich wiederfinden und ihr nicht argwöhnisch oder bestenfalls gleichgültig gegenüber stehen, bleibt nach wie vor im Dunkeln. Aber immerhin, die Suche nach dem Lichtschalter ist wieder aufgenommen.

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