Familienausflug

CLINTON IN INDIEN Es war der erste Indien-Besuch eines amerikanischen Präsidenten seit 22 Jahren. Und ein ungewöhnlicher dazu. Nicht nur, weil Clinton sich statt von ...

Es war der erste Indien-Besuch eines amerikanischen Präsidenten seit 22 Jahren. Und ein ungewöhnlicher dazu. Nicht nur, weil Clinton sich statt von seiner Frau - die macht Wahlkampf in New York - von Tochter und Schwiegermutter begleiten ließ, sondern vor allem, weil dieser Besuch einen Kurswechsel in der amerikanischen Politik gegenüber den beiden verfeindeten Nachbarn Indien und Pakistan signalisierte. Indien - lange Jahre ein Partner Moskaus in der Region - wurde von der US-Diplomatie auch nach dem Ende des Kalten Krieges eher stiefmütterlich behandelt. Als Clinton 1993 ins Weiße Haus zog, bestand sein geopolitisches Credo unter anderem in einer aktiven Demokratisierungspolitik. »Making the world safe for democracy«, hieß der (Wahl-) Slogan. An der größten »Demokratie der Welt« (Indien über Indien) ging die »älteste Demokratie der Welt« (Amerika über Amerika) dabei jedoch tunlichst vorbei. Pakistan - der zuverlässige Verbündete aus den Tagen der Blockkonfrontation - blieb für Washington die Nummer eins in der Region. Erst im vergangenen Jahr besann sich das amerikanische Repräsentantenhaus eines Besseren und plädierte für eine strategische Partnerschaft der USA mit Indien. Gründe für diese Wende in der amerikanischen Südasienpolitik gibt es reichlich. Der wichtigste heißt Kaschmir. Die Konfrontation der beiden Nuklearmächte um die Grenzprovinz gerät immer mehr außer Kontrolle. Allein bei der letzten großen Auseinandersetzung im April vergangenen Jahres, drohten beide Seiten einander 13 Mal mit Atomschlägen. Sollte daraus eines Tages Ernst werden, stünde Washington ziemlich hilflos da. Doch auch unterhalb der Nuklearkriegsschwelle sehen sich die USA mit einem doppelten Dilemma konfrontiert: Indien lehnt bisher jede amerikanische Vermittlung ab, und in Pakistan gehen islamistische Fundamentalisten und nationalistische Extremisten auf Distanz zur einstigen Führungsmacht.

In dieser Situation bleibt Washington gar keine andere Wahl, als Delhi den Hof zu machen, zumal es sich hier um eine der zehn größten Wachstumsökonomien der Welt handelt, deren strategisches Potenzial von Russland und China längst entdeckt worden ist. Die indischen Eliten stehen den amerikanischen Offerten jedoch nach wie vor skeptisch gegenüber. Woher, so die gern gestellte Frage, das plötzliche Interesse an einem starken Indien, nachdem 50 Jahre lang versucht wurde, das Land eher klein zu halten? Und: Verrät der amerikanische Widerstand gegen die indische Atompolitik nicht das Gegenteil? Schließlich sind Teile der Sanktionen, mit denen Washington auf die indischen Atomtests von 1998 reagierte, nach wie vor in Kraft. Mit seiner späten Reisediplomatie konnte Clinton solche Vorbehalte nicht annähernd ausräumen. Bestenfalls ist es ihm gelungen, das Eis für seinen wahrscheinlichen Nachfolger Al Gore zu brechen. Und genau darin dürfte denn auch der tiefere Sinn des präsidialen Familienausfluges gelegen haben.

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