Genosse Sachzwang

BERLINWAHL Werden die Grünen zwischen zwei sozialdemokratischen Volksparteien zerrieben?

Berlin ist nicht anders. Berlin liegt voll im Trend. Rotgrün verliert, Schwarz gewinnt, Gelb verblasst, und die Dunkelroten legen kräftig zu. Alles wie gehabt. Auch im Senat: Die Bürger der Hauptstadt wählen mehrheitlich links und bekommen eine Große Koalition. Warum? Weil man die Stadt zwar gegen eine 40 Prozent-Mehrheit Ost, nicht aber ohne eine 50 Prozent-Mehrheit West verwalten kann. An Regieren ist eh nicht zu denken.

Das wusste man schon vor der Wahl: Berlin ist nach wie vor gespalten - und wird es bleiben solange, wie die unterschiedlichen Milieus an ihren östlichen und westlichen "Rändern" existieren. Dramatisch ist das nicht. Weder für die Republik, noch für die Stadt, von der aus sie regiert wird. Eberhard Diepgen kann es sogar freuen. Beschert diese Spaltung doch seiner von Bauskandalen, Rattenreden und Amigo-Affären gezeichneten CDU für weitere fünf Jahre Macht und Pfründe im Roten Rathaus.

Dramatisch an der Serie von Landtagswahlen im Osten sind auch nicht die hohen Verluste der SPD, sondern das klägliche Abschneiden der Grünen. Um die Sozialdemokratie muss man sich keine Sorgen machen. Jedenfalls nicht im Osten. Hier konkurrieren schon seit geraumer Zeit zwei sozialdemokratische Parteien. Die eine hat neben ihren schwachen östlichen Strukturen in diesem Jahr auch noch das Pech, im Bund Regierungsverantwortung zu tragen. Dass sie sich dabei - nach dem kurzen Gastspiel des Genossen Lafontaine - vor allem vom Genossen Sparzwang beraten lässt, weiß der Wähler entsprechend zu würdigen. Er bleibt zu Hause oder steigt um. Die andere genießt neben ihren starken östlichen Strukturen das Glück der reinen Opposition. Wo die CDU allein regiert oder in Großen Koalitionen die Sozialdemokratie verbraucht, verspricht die PDS scharfen Gegenwind und sammelt kräftig auf, was SPD und Grüne auf ihrem Weg in die Neue Mitte links liegen lassen.

Dass sich dabei auch so manches Strandgut findet, von dem man weiß, dass es im Ernstfall nicht funktionstüchtig ist, stört die PDS mehrheitlich (noch) nicht. Allenfalls in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt haben die Demokratischen Sozialisten begonnen, sich in die Wirklichkeit hinein zu rechnen. Auf kommunaler Ebene ist das längst passiert. Hier ist der Genosse Sachzwang anerkanntes Parteimitglied, seine Karrierechancen stehen nicht schlecht, und der Erfolg gibt ihm oft genug Recht.

Wie die PDS als linke ostdeutsche Volkspartei den Sprung nach Westen schaffen will, bleibt - auch nach den respektablen 4,2 Prozent in Westberlin - weiterhin unklar. Der Platz links von SPD und Grünen könnte auf Dauer nur von einer radikaleren Partei besetzt werden. Das versucht die PDS, und noch hält sie den Spagat zwischen einer eher wertkonservativen, auf soziale Sicherheit und Gerechtigkeit fixierten Wählerschaft im Osten und einer links-alternativen Klientel im Westen aus. Aber nur, weil das östliche Standbein so stark ist, dass die Zuckungen des westlichen Spielbeins keine größeren Erschütterung auslösen. In Berlin führte das dann zu dem sehr ehrlichen Wahlslogan: Rot, radikal, rüstig.

Natürlich prallen die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West auch in der PDS heftig aufeinander. Im Unterschied zur SPD jedoch, wo die Eigenheiten der ostdeutschen Minderheit auf Bundesebene eher mit folkloristischer Nachsicht behandelt werden, genießen Westlinke in der PDS vergleichsweise große Freiräume. Zwar heben die Wahlerfolge in den neuen Ländern das Selbstbewußtsein der östlichen Aktivisten. Gleichzeitig weiß man im Karl-Liebknecht-Haus aber auch, dass die PDS als ostdeutsche Regionalpartei auf verlorenem Posten steht. Sie hat deshalb gar keine andere Wahl, als sich für das gesamte linke Spektrum im Westen zu öffnen, dieses auch politisch kulturell als ihr Kapital zu betrachten und entsprechend zu behandeln. Genau dieser Vorgang unterscheidet die östliche sozialdemokratische Partei von der westlichen.

Am Ende aber könnte sich zwischen beiden ein stabiles Ost-West-Gleichgewicht etablieren, das zu Regierungsmehrheiten führt. Genau darauf zielen die jüngsten Dialogangebote der Berliner PDS in Richtung CDU. Sicher: Man will ein Stück mehr Normalität für die Stadt, und dazu gehört auch, das Beil des Kalten Krieges endlich zu begraben. Doch der eigentliche Adressat ist die SPD. Nur wenn die Christdemokraten die PDS wie einen normalen politischen Gegner behandeln, haben rot-rote Koalitionen in Berlin oder auf Bundesebene eine Chance.

Wirklich dramatisch wäre es jedoch, wenn die Grünen in der Konkurrenz zwischen SPD und PDS zerrieben würden. Sie sind auf dem besten Wege dazu. Berlin hat die Talfahrt nicht gestoppt, obwohl es den Berliner Grünen gelungen ist, sich vom desolaten Erscheinungsbild der Bundespartei abzusetzen. Dafür gab es im Westteil der Stadt noch 12,1 (1995: 15,0) und im Osten immerhin 6,5 Prozent (1995: 10,0). Von solchen Zahlen können andere östliche Landesverbände im Moment nur träumen.

Das liegt beileibe nicht nur an den strukturellen Problemen der Partei, die unbestritten sind. Die Grünen müssen sich auf ihre Politikansätze und auf ihre Klientel besinnen. "Grüne Themen" allein reichen nicht aus. Selbst dann nicht, wenn es den Grünen gelänge, sich in der Bonner Koalition damit deutlicher zu positionieren. "Grüne Themen" werden in wachsendem Maße auch von anderen Parteien besetzt. Wenn Fischer Co. versuchen, thematisch bei anderen Parteien zu "wildern" wird das (im besten Fall mit Respekt) zu Kenntnis genommen, aber kaum honoriert. Oder aber, wie im Kriegsfall Kosovo so hart bestraft, dass bei den Grünen kaum noch jemand darüber reden mag.

Die grüne Klientel sind Minderheiten ohne starke Lobby - und hier vor allem die eine große Minderheit der nächsten Generation. Wer aber Minderheitenrechte einfordern will, darf sich den Lobbyisten der Mehrheitsmacht nicht ausliefern. Das gilt für die Atomindustrie, kann aber auch auf Gewerkschaften zutreffen. Grüne sind dort stark, wo sie sich mit Kompetenz als politischer Anwalt von Minderheiten und Alternativentwürfen profilieren. Das schließt Regierungsbeteiligung nicht per se aus. Aber es beschränkt das Wählerpotenzial im Bundesdurchschnitt auf sechs bis neun Prozent. Alles darüber ist Konjunktur oder Milieu.

So gesehen sind die 9,9 Prozent von Berlin ein realistisches Ergebnis. Dass es für eine rot-grüne Alternative nicht reicht, liegt an der Schwäche der SPD - und an den besonderen politischen Verhältnissen der Stadt, die sich zumindest in einem Punkt vom Umland abhebt: Rechtsradikale Parteien ziehen trotz massiver Wahlpropaganda nicht ins Abgeordnetenhaus ein.

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