Letzte Chance für Wunder

NAHOST Wenn Camp David scheitert, eskaliert die Gewalt

Wunder sind selten geworden im Heiligen Land. Es wäre eines, sollten sich Ehud Barak und Yassir Arafat in Camp David tatsächlich auf ein Friedensabkommen einigen. Und es wäre ein noch größeres Wunder, wenn dieses Abkommen dann auch wirklich umgesetzt würde. Gleichzeitig gibt es zu diesem Wunder keine friedliche Alternative. Das wissen alle Beteiligten. Manchmal jedoch, und auch das ist keine neue Erkenntnis im Nahen Osten, werden verhärtete Fronten nur gewaltsam aufgebrochen. Dem ägyptisch-israelischen Friedensschluss vor 22 Jahren ging ein Krieg voraus. Dem Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO die palästinensische Intifada und der Krieg am Golf.

Stehen wir also vor einer neuen Welle der Gewalt? Wenn Camp David scheitert, ist die Wahrscheinlichkeit groß. Dann wird Arafat im September seinen »Palästinenserstaat« ausrufen und Israel genau das tun, wovon die Siedler träumen und wovor viele Israelis einen Horror hegen: Die Annexion von Teilen der Westbank. Dann ist die Grenze da, um die in Camp David unter anderem gefeilscht werden soll. Sie wird, das ist sicher, Leben kosten und Palästina noch mehr schrumpfen lassen. Gewalt mag ein unvermeidliches Ventil für berechtigten palästinensischen Zorn sein. Ein Weg zum erträumten Ziel ist sie nicht. Für eine derartige Konfrontation sind die Palästinenser einfach nicht stark genug.

Gerechtigkeit hin oder her: Das Kräfteverhältnis zwischen beiden ungleichen Parteien ist eindeutig. Da bleiben der unterlegenen Seite nur zwei Optionen - massive internationale Unterstützung und die verzweifelte Drohung mit der gemeinsamen Katastrophe. Beides wurde während der Intifada vorgeführt. Deshalb war sie erfolgreich. Die Palästinenser hatten mit ihren Steinen und ihren Toten nicht nur die Sympathien der Weltöffentlichkeit errungen. Der Aufstand bewirkte vor allem auch, dass die israelische Öffentlichkeit den Status quo der Besetzung in Frage stellte. Erst auf dieser Basis fielen Denk- und Handlungsverbote, kam der Dialog zustande, wurden Abkommen möglich.

Kritiker des Friedensprozesses haben immer bemängelt, dass Israel keinen gerechten Ausgleich, sondern lediglich die vertragliche Fixierung des Status quo im Sinn habe. Damit wird die israelische Maximalposition treffend beschrieben. Sie ist jedoch ebenso unrealistisch wie die palästinensische Forderung nach einer Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967. Und dennoch bilden beide Positionen den Ausgangspunkt der Verhandlungen. Wie auch nicht? Die Nahostgespräche, das lassen die vielen Shakehands leicht vergessen, werden zwischen verfeindeten Parteien geführt. Dass diese »Feinde« sich als Nachbarn ihren Zwist nicht mehr leisten können, ja sogar zur Kooperation verdammt sind, ist eine relativ junge Einsicht und als solche in Konfliktsituationen kaum handlungsprägend. Noch ist es nicht nur üblich, sondern auch durchaus plausibel, in der Schwäche des anderen die eigene Stärke zu sehen.

Weil aber die Kräfte zwischen Israel und den Palästinensern so ungleich verteilt sind, kann es eine »gerechte« Lösung auch nicht geben. Yassir Arafat wird selbst im besten aller Fälle der einzige arabische Führer sein, der eine jüdische Landnahme vertraglich legitimiert. Das ist vor dem Hintergrund der Geschichte des Konflikts und der vielen arabisch-palästinensischen Auseinandersetzungen eine schwere Hypothek. Und im Gegensatz zur israelischen Seite hat die palästinensische Führung bisher wenig getan, um ihre Öffentlichkeit auf Kompromisse einzustimmen. In solcher Kulisse muss jedwedes Abkommen wie eine Niederlage erscheinen. Eine »Niederlage«, die der eigenen Klientel nur als Interimslösung verkauft werden kann. Genau das aber soll in Camp David nicht mehr zur Debatte stehen.

Man will Nägel mit Köpfen machen und hat doch kaum Spielraum dafür. Der Gipfel wird nur dann ein Erfolg, wenn sowohl Ara fat als auch Barak ihn bei sich zu Hause als solchen verkaufen können. Bis jetzt war es so, dass Israel seine Position der Stärke hart vertreten und die Palästinenser konsequent in die Defensive gedrängt hat. Soll Camp David erfolgreich sein, müsste diese Taktik aufgeben werden. Barak scheint dazu bereit. Dass er seine »roten Linien« nicht en detail vorab zieht, ist verständlich. Doch er weiß, dass der jüdische Staat dauerhafte Sicherheit nur bekommt, wenn er erobertes Land räumt, Siedler-Ideologie abbaut und die Hauptstadt-Symbolik zurückfährt. Die Mehrzahl der Israelis hat, das belegen Umfragen, all dies längst akzeptiert.

Warum aber tut die israelische Friedensbewegung dann so wenig, »ihrem« Premier den Rücken zu stärken - in einer Situation, da die Regierungskoalition zerfällt und der Frieden am seidenen Faden hängt? Barak wird sich in Camp David flexibler zeigen müssen als in allen Verhandlungsrunden zuvor - und zwar ganz ohne amerikanischen Druck. Den kann es von einem aufs Prestige fixierten Bill Clinton kurz vor Ende seiner Amtszeit nicht mehr geben. Also doch ein Wunder? Wenn sich auf den Straßen Israels nichts tut, bleibt nur diese schwache Hoffnung. Oder aber eine weitere Interimslösung, die nichts löst, sondern nur wertvolle Zeit verspielt.

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