Steinigungen gibt es auch im Internet. Man muss solche Videos nicht gesehen haben, um den grausam archaischen Charakter dieser Hinrichtungsart zu verabscheuen. Beschreibungen reichen völlig aus und sind bestens geeignet, alle Vorurteile gegen „den“ Islam zu bedienen. Gesteinigt wird vorwiegend in muslimischen Ländern, in denen die Sharia (das islamische (Straf-)Recht) fundamentalistische Auslegung und Anwendung findet. Die Opfer werden eingegraben, mit einem Tuch verhüllt und so lange von einer Menge mit faustgroßen Steinen beworfen, bis sie tot sind. Wer dabei mit dem ersten Wurf tötet, macht sich selbst eines Verbrechens schuldig. Das Opfer soll langsam und grausam sterben, sein Tod andere abschrecken und die Gemeinschaft „läutern“. Das ist der tiefere Zweck dieses kollektiven Mordens, wie ihn die Geschichtsschreibung auch für andere Kulturen festgehalten hat, nicht zuletzt die jüdisch-christliche. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“, wird Jesus von Nazareth in der Bibel (Römer 2.1.) zitiert.
Wem es gelingt, während einer Sharia-Steinigung aus dem Erdloch zu fliehen, gilt als frei. Das schaffen, wenn überhaupt, nur Männer. Die werden in der Regel bis zur Hüfte eingegraben, Frauen hingegen aus sittlichen Gründen bis zur Brust. Sie haben keine Chance.
Im Iran sind Steinigungen wieder legitimer Rechtsakt, seit die Mullahs 1979 die Macht übernahmen. Paragraf 83 des Strafrechtes sieht bei Ehebruch den Tod durch Steinigung bis heute zwingend vor. In den ersten Jahren nach der Revolution waren derartige Hinrichtungen öffentliche Ereignisse, um keinen Zweifel zu lassen, dass die neuen Herrscher es ernst meinen mit ihrer rigiden Ehe- und Sexualmoral, die überdies auch Homosexualität mit dem Tod bedroht. Über 4.000 iranische Männer sollen in den vergangen 30 Jahren deshalb exekutiert worden sein.
In den späteren Jahren der Islamischen Republik verschwanden Steinigungen aus der Öffentlichkeit. Sie blieben lokale Ereignisse, weil Teile des Regimes diesen strafrechtlich sanktionierten Rückfall ins Mittelalter als kontraproduktiv empfanden. Unter dem reformorientierten Präsidenten Chatami verpflichtete sich der Iran 2002 gegenüber der UNO und der EU, künftig auf Steinigungen zu verzichten, nicht jedoch auf die Todesstrafe an sich. Seither gibt es eine Anweisung des konservativen Chefs der Judikative an alle Richter, keine Steinigungen mehr zu vollstrecken. Eine entsprechende Strafrechtsreform jedoch versickerte in den Ausschüssen des iranischen Parlaments. Damit obliegt es letztlich dem Gericht vor Ort, ob es der Anweisung oder dem Gesetz folgt, die sich – streng genommen – widersprechen. Ein typisches Phänomen, um Machtbalancen zu sichern. Die daraus erwachsende Flexibilität garantiert bis heute die relative Stabilität des Regimes. Machtkämpfe zwischen Reformern, Radikalen und Konservativen werden dadurch immer nur temporär entschieden.
Ein „humanerer Tod“
In diese politischen Mühlen ist auch Sakineh Mohammadi Aschtiani geraten, deren Verurteilung zur Steinigung wegen Ehebruchs vom Regime zunächst ausgesetzt wurde und nun überprüft wird. Nach allem, was bekannt ist, hat Frau Aschtiani ein Martyrium hinter sich: Als Minderjährige zwangsverheiratet mit einem Mann, der sie wie eine Sklavin hielt, beginnt sie ein Verhältnis mit einem anderen, der den Rivalen umbringt. Ob mit oder ohne Aschtianis Billigung oder Hilfe, sei dahin gestellt. Der (Mit-)Täter sitzt im Gefängnis, ihm droht keine Todesstrafe. Die bereits mit 99 Peitschenhieben „bestrafte“ Frau hingegen wurde nachträglich wegen Ehebruchs zur Steinigung verurteilt, obwohl es für den Ehebruch nicht die vorgeschriebenen vier männlichen Zeugen gibt und obendrein zwei von fünf Richtern dagegen votiert haben.
Darin zeigen sich „Feinheiten“ der islamischen Rechtsprechung im Iran, vor denen westliche Beobachter naturgemäß kapitulieren, gleichfalls Experten, die das System kennen und um die Unwägbarkeiten von Urteilen wissen. Immerhin gibt es iranische Anwälte, die potenzielle Steinigungsopfer erfolgreich verteidigt haben. Auch Frau Aschtianis Verteidiger gehörte dazu, bis er wegen dieses Mandats in Lebensgefahr schwebte und außer Landes floh.
Natürlich kann man den ganzen Fall zu Recht als Ausdruck einer elementaren Menschenrechtsverletzung verurteilen. Sehr wahrscheinlich ist es den internationalen Reaktionen wie dem Mut der Angehörigen (sie gingen an die Öffentlichkeit) zu verdanken, dass Sakineh Aschtiani bisher vor einem qualvollen Tod bewahrt blieb. Aber eben nur davor – und nicht vor der Hinrichtung wegen eines „Verbrechens“, das aufgeklärte Gesellschaften nicht einmal mehr im Scheidungsrecht kennen.
Letzten Endes wird sich das Regime dem Druck von außen nicht beugen, um das Gesicht wahren zu können. Auch deshalb beharrt die Führung in Teheran so vehement darauf, die angeordnete Überprüfung des Urteils sei Ausdruck eigener Rechtspflege. Bestenfalls wird man die Richter für nicht qualifiziert genug erklären und das Urteil kassieren. Ob Sakineh Aschtiani danach am Leben bleiben darf, ist keinesfalls ausgemacht. Es könnte sein, dass man sie lediglich zu einem „humaneren Tod“ verurteilt – Hängen, Erschießen oder elektrischer Stuhl. In ihrer Fundamentalopposition gegen diese Formen staatlich sanktionierten Mordens müsste die EU freilich ohne ihren wichtigsten Alliierten auf der anderen Seite des Atlantiks auskommen.
Torsten Wöhlert ist promovierter Iran-Wissenschaftler
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.