Westfälischer Friede

KOMPROMISSLOS Drohen nach dem PDS- Richtungsstreit auch personelle Konsequenzen?

Die Truppen sind gesammelt, die Schlachtordnung steht, und Gefangene sollen nicht gemacht werden. Es geht um alles, um Krieg oder Frieden und um die Seele der PDS. Oder das, was manche in dieser Partei im Jahre zehn der deutschen Einheit dafür halten.

Im Kosovo-Krieg hatte sich die PDS als einzige Bundestagspartei konsequent gegen die Militärschläge der NATO gestellt. Damit demonstrierte sie Opposition pur. Eine Haltung, die zwar ihrem Selbstverständnis entspricht, mit der politischen Wirklichkeit an anderer Stelle aber nur noch punktuell konform geht. Der Spagat zwischen ostdeutscher Volkspartei und gesamtdeutsche Linkspartei reißt immer größere Widersprüche auf. Die wurden bisher - durchaus medienwirksam - ausgetragen, wenn es jedoch hart auf hart kam mit Formelkompromissen von oben zugeschüttet.

Das ging gut, solange die PDS sich unter existenziellem Druck wähnen durfte. Dieses Gefühl scheint jetzt weg zu sein. Die Konflikte zwischen Reformern und Dogmatikern, zwischen Realos und Fundis, zwischen ostdeutscher Nische und Westausdehnung - in Münster sollen sie ausgetragen werden. Ob UN-Kampfeinsätze oder Parteireform: Von einem Westfälischen Frieden keine Spur.

Der Anlass ist ebenso banal wie bezeichnend: Dürfen PDS-Bundestagsabgeordnete im Einzelfall prüfen, ob sie einer militärischen UN-Intervention nach Kapitel VII der UNO-Charta (peace enforcing) zustimmen? Oder ist jede Militärintervention grundsätzlich von solchem Übel, dass derartige Entscheidungen gar nicht erst zur Disposition stehen sollen? Die bisherige Beschlusslage dazu ist eindeutig: Keine Militäreinsätze mit sozialistischem Segen. Schließlich versteht sich die PDS - vor allem nach den Erfahrungen im Golfkrieg und auf dem Balkan - als eine anti-militaristische Kraft, die mit dieser Haltung auch Lehren aus den Kampfgruppeneinsätzen, dem preußischem Stechschritt und dem Wehrkundeunterricht ihrer SED-Vergangenheit ziehen will.

Eine pazifistische Partei ist die PDS deshalb jedoch nicht geworden. Das würde ihr auch niemand abnehmen. Und doch hat sie sich eine Beschlusslage verschafft, die nicht sehr weit davon entfernt ist: Militär, nein Danke! Egal, unter welchem Helm. Damit ließ sich lange gut leben, weil es ganz unterschiedliche Milieus bediente. Der ehemalige NVA-Offizier kann sich in dieser Haltung gegenüber dem Klassenfeind von gestern ebenso wiederfinden, wie Pazifisten aus Ost und West oder radikale Linke. Wozu sollte sich eine Partei wie die PDS auch auf Feinheiten der Außen- und Sicherheitspolitik einlassen?

All das ist anders seit Kosovo: Die PDS ist hier erstmals bundesweit mit außenpolitischen Positionen wahrgenommen worden. Will sie das in Wählerstimmen umsetzen, muss sie auch auf diesem Gebiet eigene Politikangebote machen. Und da reicht es nicht, das von den Grünen abgefallene anti-militaristische Potenzial einfach einsammeln zu wollen. Eine solche Strategie, das wissen die Reformer um Gysi und Brie, bringt die Westausdehnung der PDS nur unwesentlich voran. Manche meinen sogar, die würde dadurch sogar eher schwieriger werden. Macht sich die Partei jedoch einmal auf den Weg, konsistente außen- und sicherheitspolitische Politikangebote zu formulieren, stolpert sie als erstes über die eigenen Widersprüche der Vergangenheit.

Man kann die Selbstmandatierung der NATO im Kosovo-Krieg nicht mit dem Hinweis auf das verletzte Gewaltmonopol der UNO angreifen, und gleichzeitig die mögliche Exekution eben dieses Monopols im Parteiprogramm grundsätzlich ablehnen. Seitdem die PDS-Bundestagsfraktion diesen Widerspruch im Zuge des UN-Einsatzes in Ost-Timor (den einige begrüßt haben) zur Diskussion stellte und Einzelfallprüfung anmahnte, schlagen die Wellen hoch. Noch vor der Abstimmung in der Fraktion im Dezember 1999 warnte die für Internationales zuständige stellvertretende Parteivorsitzende und Europaparlamentarierin, Sylvia-Yvonne Kaufmann, in einem Brief an alle Abgeordneten davor, den bisherigen Konsens zu verlassen. Ein Gewaltmonopol der UNO gäbe es nicht. Außerdem zeige sich ja an Herrn Fischer, was passiert, wenn man erst einmal anfängt, Grundsatzpositionen zu revidieren.

So viel Misstrauen war lange nicht, zumal sich beide Vorwürfe bis heute in der Debatte halten. Die Fraktion blieb davon jedoch unbeeindruckt und beschloss - mit nur zwei Gegenstimmen - ein Positionspapier Gysis, das Einzelfallprüfung vorsieht, eine Zustimmung zu bewaffneten UN-Einsätzen nicht mehr grundsätzlich ausschließt, den Einsatz von Bundeswehrsoldaten jedoch kategorisch ablehnt. Darüber hinaus wurde das gesamte Problem an den Parteivorstand zurückgewiesen. Auch dort gab es - nach kontroverser Debatte - eine Mehrheit für Gysis Position, die sich jetzt im Leitantrag des Vorstandes für Münster wiederfindet.@

Der Widerstand dagegen ist stark. Neben notorischen Mahnern vor einer "Rechtsabweichung" der Partei haben die Kritiker auch zahlreiche PDS-Abgeordnete aus Bund und Ländern, sowie breitere Teile der Basis hinter sich vereinen können. Dem Vorstand droht eine satte Niederlage. Sollte die eintreten, hätte sich die Basis in bisher unbekannter Deutlichkeit von ihrer Führung emanzipiert. Ein für die PDS durchaus befreiender Akt. Es hieße aber auch, dass die Partei ihren Mandatsträgern in einer wichtigen Frage nicht so recht über den Weg traut. Anders wäre die Bestätigung des politischen Vorratsbeschlusses, der fatal an Denkverbote und Maulkorberlasse aus SED-Tagen erinnert, nicht zu interpretieren. Dass eine solche Entscheidung - hin wie her - ohne personelle Konsequenzen bliebe, ist schlecht vorstellbar.

@) Alle Anträge im Internet unter: www.sozialisten.de

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