Wer in diesem Stück die Rolle des ohnmächtigen Zauberlehrlings inne hat, ist noch nicht entschieden. Auch die des allmächtigen Hexenmeisters bleibt vorerst unbesetzt, auch wenn es dafür bereits einen Kandidaten gibt: Den ehemaligen Präsidenten und verwegenen Strippenzieher Ali Akbar Hashemi Rafsanjani. Er könnte das System retten, sollte der interne Machtkampf eskalieren.
Dessen Auslöser ist der Stabschef und treue Gefährte des Präsidenten, Rahim Mashai, eine Art George Clooney in Ahmadinedjads engerem Machtzirkel: Gut aussehend, dem schönen Geschlecht so zugetan, dass er es gern weniger verhüllt in der Öffentlichkeit sähe, und dem Staatschef über die Heirat beider Kinder auch familiär verbunden. Mashai wird nachgesagt, in den achtziger Jahren mit linksradikalen Islamisten sympathisiert zu haben. Heute heißt es, er glaube, in direkter Verbindung zum 12. Imam zu stehen, was an Häresie grenzt. Der 12. – entrückte – Imam ist für Schiiten der Mahdi, der Erlöser am Ende aller Tage. Und bis zu dessen Erscheinen regiert – quasi als Stellvertreter – der oberste Rechtsgelehrte als religiöser Führer des Landes. Dieses Herrschaftsprinzip – Velajat-e faghi genannt – ist vom einstigen Revolutionsführer, Ayatollah Khomeini, als theologisches und machtpolitisches Rückgrat des Mullah-Patriarchats installiert worden.
Mashai stellt dieses Prinzip ziemlich ungeniert in Frage, indem er suggeriert, man könne sich den Umweg über den obersten Rechtsgelehrten auch sparen. Wenn er – im Auftrag seines Chefs – Exil-Iraner unter Verweis auf die vor-islamische Blüte Persiens um Heimkehr bittet, ist das gleichsam ein Affront. Deutlicher kann man den religiösen Führer nicht brüskieren.
Ali Khamenei hat freilich in der Rolle des Khomeini-Erben noch nie gut ausgesehen. Die Schuhe seines Vorgängers waren immer schon zu groß – theologisch, intellektuell, politisch. Er war 1989 der klassische Kompromisskandidat, weil Präsident Rafsanjani – seinerzeit der starke Mann – es so wollte. Das Mullahregime stand nach einem achtjährigen, sinnlosen Krieg mit dem Irak und dem Tod Khomeinis vor dem Kollaps. Machtkämpfe mit wechselnden Allianzen zwischen Hardlinern, Reformern und Technokraten gefährdeten das Erbe der Islamischen Revolution. Ein Mann ohne eigene Machtbasis an der Spitze schien die perfekte Lösung – das kann sich nun als fataler Irrtum erweisen.
Aufstieg der Gardisten
Die klerikale Elite hat dem rangniederen Khamenei jeglichen Respekt auch deshalb stur verweigert, weil sie eine politische Herrschaft der Geistlichkeit in Gestalt der Velajat-e faghi aus theologischen Gründen grundsätzlich ablehnt. Um so mehr hat Ali Khamenei seine Machtposition seit 1989 dazu genutzt, sich in den konservativen Schulen der Stadt Qom durch kräftige Finanzspritzen Gefolgschaft heran zu ziehen. Seine Anhänger zählen heute zum reaktionärsten Flügel der schiitischen Geistlichkeit im Iran.
Khameneis Führung hat zudem die Revolutionsgarden und Basij zum wichtigsten Machtzentrum des Gottesstaates befördert. Sie waren Fußvolk der Islamischen Revolution und Sturmtrupp im iranisch-irakischen Krieg. Darauf gründet sich bis heute ihre Reputation, auch wenn sie die in den Augen vieler junger Iraner längst verwirkt haben. Sie dienten zunächst als prügelnde Sittenwächter der „islamischen Kulturrevolution“ und wurden in dieser Mission von Ayatollah Khomeini hofiert, auch wenn Leute wie Hashemi Rafsanjani die etatistischen Anmaßungen der Radikalen nicht über Gebühr schätzten – störten sie doch die hemmungslose Bereicherung der ersten Generation des klerikalen Establishments teilweise empfindlich.
Mitte der neunziger Jahre hatten sich die Revolutionsgarden soweit politisiert, dass sie die steile Karriere des Mahmud Ahmadinedjad flankierten, der 2003 zum Bürgermeister von Teheran gewählt wurde. Ayatollah Khomeini hatte sich stets dagegen verwahrt, den Paramilitärs politisches Gewicht zu geben. Auch Hashemi Rafsanjani sah das ähnlich und wollte als Präsident die Revolutionsgarden der Armee einverleiben – doch Khomeini-Nachfolger Khamenei verhinderte das erfolgreich.
Heute sitzen Gardisten nicht nur an den politischen Schalthebeln, sie sind unter Ahmadinedjad zur stärksten Wirtschaftsmacht des Landes avanciert. Bis zu 60 Prozent der offiziellen Ökonomie sollen inzwischen von ihnen kontrolliert werden. Von der Schattenwirtschaft ganz zu schweigen.
Der Aufruhr gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl vom Juni 2009 richtete sich nicht zuletzt gegen den Einfluss der Revolutionsgarden – er war mehr als ein Schrei nach mehr Brot und Freiheit. Die grüne Bewegung zielte auf den Erhalt des politischen Erbes der Islamischen Revolution. Deshalb der Schulterschluss zwischen den Protestierenden und Teilen des einstigen Establishments wie dem Ex-Premier Mir Hossein Mussawi oder dem ehemaligen Parlamentspräsidenten Mehdi Karubi.
Indem Ayatollah Khamenei sich von Anfang an unmissverständlich auf die Seite Mahmud Ahmadinedjads schlug und dessen repressiven Kurs nach der Wahl lange Zeit stützte, hat er jede Chance verspielt, als oberster Religionsgelehrter eine ausgleichende Rolle zu spielen. Im Gegenteil. Dass aus der Opposition heraus heute auch die Velajat-e faghi in Frage gestellt wird, ist entscheidend Khameneis Rolle während der Proteste geschuldet. Er versuchte danach, zurück zu rudern, und rief zu Einheit und Versöhnung auf, doch vergeblich. Die jetzigen Machtkämpfe lassen vielmehr vermuten, dass ihm die Rolle des Zauberlehrlings zufallen wird.
Vorspiel zum Staatsstreich
Auch Präsident Ahmadinedjad ist bemüht, wenigstens einen Teil der Protestler zurückzugewinnen. Die kulturellen Lockerungsübungen seines Vertrauten Mashai und die ostentative Insubordination gegenüber dem unpopulären Religionsführer gehören ebenso dazu wie verbale Avancen gegenüber dem auch im Iran populären Präsidenten Obama. Sein wichtigstes Instrument, die Alimentierung der Unterschichten, stößt jedoch zunehmend an finanzielle Grenzen – gewiss eine Folge der Sanktionen, aber nicht minder Konsequenz ökonomischer Inkompetenz, wie sie Ahmadinedjad und seine Entourage seit Jahren offenbaren.
International isoliert, wegen des Nuklearprogramms militärisch bedroht, dazu wirtschaftlich am Boden – schlimmer könnte das Fazit der Ära Ahmadinedjad durch die Khomeini-Erben kaum ausfallen. Ist der Präsident zur Gefahr für die Islamische Republik geworden? Droht die paramilitärische Diktatur eines unberechenbaren Nepotismus? Noch halten sich die Revolutionsgarden aus dem Machtkampf weitgehend heraus. Doch weder Khamenei noch Ahmadinedjad scheinen in der Lage zu sein, den alten Herrschaftskonsens zu reanimieren. Das könnte die Blaupause für einen Coup d‘Etat zum Sturz beider sein – entweder durch die grüne Volksbewegung oder durch einen starken Mann, der als Nachfolger Khameneis Brücken in alle Lager schlagen kann. Gut möglich, dass der Druck der Straße diesen Machtwechsel herbei führt. Rafsanjani wäre der einzige aus der alten Garde, der ihn steuern könnte.
Torsten Wöhlert ist promovierter Iran-Wissenschaftler und seit Jahrzehnten Beobachter der Islamischen Republik
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