Ist die AFD die NSDAP von heute?

AFD Im letzten Jahr der DDR sollte ich für den Geschichtsunterricht einen Kurzvortrag zum ungarischen Volksaufstand von 1956 halten. Das war eine heikle Angelegenheit.

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Es gab zwar eine staatlich vorgegebene Interpretation der Ereignisse, aber die wollte ich nicht wiedergeben. Vor allem nicht, da die damalige Identifikationsfigur Imre Nagy, der 1956 von den Kommunisten hingerichtet und unter unwürdigen Bedingungen verscharrt wurde, seit kurzem in Ungarn als rehabilitiert galt. Imre Nagy´s größter Fehler war es, die Weichen für einen Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag zu stellen, denn die Sowjetunion hätte niemals einen Teil ihres militärischen Einflussbereiches aufgegeben. Auch wenn der Krieg der Großmächte als "kalt" galt, er wurde an Nebenschauplätzen mit aller Brutalität geführt. Also setzte ich mich mit einem Geschichtsprofessor (meinem Stiefvater) zusammen und erarbeitete einen Vortrag, der nicht zu sehr aneckten würde und mit dem ich ruhigen Gewissens leben konnte.

An diese Geschichte musste ich denken, als mich meine Tochter um Mithilfe bei einer Erörterung zum Thema "Ist die AfD die NSDAP von heute?" bat. Dazu fiel mir spontan sehr viel ein und dann, nachdem ich darüber nachdachte, noch mehr. Das meiste davon wollte sie nicht in ihrer Ausarbeitung unterbringen. Vieles sagte ich auch nicht, weil ich Angst hatte, ihr wegen meiner nicht gefestigten politischen Grundhaltung zu einer schlechten Note zu verhelfen. Glücklicherweise hat sie den Satz, in dem ich die Aufgabenstellung als total unsinnig bezeichnet hatte, nicht mit aufgeschrieben.

1990 besuchte ich mit meiner Freundin eine Disko, die bereits einen gewissen Ruf hatte. Aber das wusste ich nicht. Dort traf ich dann auch meinen Cousin, der mir aufgeregt mitteilte, dass mich ein paar Nazis (seine Kumpels) verprügeln wollten. Zum Glück lief gerade das NDW Autofahrlied von Markus, zu dem jeder anständige Nazi tanzen und bei der Textzeile "Deutschland, Deutschland hörst du mich?" mitgrölen muss. Das bekam ich aber nur von außen mit, weil ich gerade meinen schwarzen Grufti-Mantel von der Garderobe geholt hatte und auf dem Hof noch mit meiner Freundin sprach. Ihr drohte keine Gefahr, denn sie kannte dort recht viele. Und mein starker Cousin war ja auch noch da. Dann war das Lied aus. Ein paar Sekunden später umzingelten uns viele Jugendliche.
"Das ist nicht persönlich gemeint, aber wir müssen alle Gruftis verprügeln" sagte dann der höchstens 16jährige Anführer zum Abschluss seiner völlig bizarren Vorrede. Wenn ich es richtig verstanden hatte, gab es bei den Nazis eine Art Komitee, bei dem regelmäßig demokratisch beschlossen wurde, welche Jugendbewegung als Feind anzusehen sei. Und diesmal traf es neben den Linken, den Behinderten und den Ausländern die Jugendlichen, die schwarze Klamotten trugen und beim Tanzen immer ein paar Schritte nach vorn und dann zurück liefen. Am liebsten zu Joy Division. So wie ich.
"Ich bin aber kein Grufti" entgegnete ich feige. Dabei wehten meine langen schwarzen Gruftihaare im Wind. Natürlich glaubten sie mir nicht. Ich entdeckte eine Lücke zwischen zwei Jungnazis, ergriff die Flucht und schaffte es tatsächlich fast allen Schlägern zu entkommen. Einer holte mich dann aber doch ein, verprügelte mich halbherzig und zog nach ein paar Tritten gegen meinen Kopf ab.


Dieses Erlebnis macht mich natürlich nicht zu einem Nazi-Experten, hat aber meinen Blick verändert. In der deutschen Gesellschaft vermute ich einen Nazi-Anteil von etwa 10 Prozent. In meinem Stadtteil ist er höher. Um sich davon ein Bild zu machen, muss man nur im Sommer den zentralen Edeka-Markt im Zentrum des Neubaugebietes betreten. Dort präsentieren die jungen kräftigen Menschen mit Stolz ihre Tätowierungen. Meist in altdeutscher Schrift. Ja, sie haben Recht, verehrter Leser, die Nazis waren es, die damals die Frakturschrift abgeschafft und durch die auch heute noch verwendeten modernen Zeichen ersetzt haben, aber in Verbindung mit den Worten Kraft, Sieg, Volk und Deutschland riecht es schon sehr nach Nazi. Das muss aber nicht so sein. Vielleicht ist mein Blick auch einfach durch meine Vorurteile über dieses Stadtviertel getrübt.
Es gibt Menschen, die Thor Steiner Klamotten tragen und keine Ahnung von der Bedeutung dieser Marke haben. Ein guter langhaariger Freund von mir, der definitiv kein Nazi ist, berichtete mir kürzlich eine sehr unfreundliche Geschichte zu diesem Thema. Auf jeden Fall weiß er jetzt von der Bedeutung dieser Marke. Aber auch, was er menschlich von seinen linken Schulkameraden zu halten hat.

Selbst das Parteiprogramm der NPD enthält keine volksverhetzenden oder verfassungsfeindlichen Inhalte. Das geht auch gar nicht, weil sie dann sofort verboten würde. Ein Nazi ist schwer zu erkennen. Gerade wenn er klug ist, gut reden kann und sehr gut aussieht. Das mag viele Intellektuelle verunsichern, aber auch solche Nazis gibt es.

Doch zurück zur Aufgabenstellung: Vor zwei Jahren gab es im Stern einen Artikel mit dem etwas provokanten Titel: „Ist die AfD die grüne Partei von heute?“ Weil hier bewusst die politische Aussage weggelassen wurde, ergaben sich überaschenderweise viele Gemeinsamkeiten. Beide Parteien entstanden aus einer Protestbewegung, es gab anfangs harte Flügelkämpfe, beide Parteien wurden vom Establishment und den Medien aufs schärfste bekämpft usw. Ein schöner, böser Text. Ich mag sowas.
Hier konnte man also Gemeinsamkeiten finden, aber mit der NSDAP? Das fängt schon damit an, dass die Zeit der Entstehung der NSDAP in jeder Hinsicht anders war, als die heutige Wohlfahrtsgesellschaft. Man denke nur an die Inflation und die Weltwirtschaftskrise. Die Menschen hatten völlig andere Probleme und dachten anders. Die Frauen wurden damals zum Beispiel nicht durch männliche Begriffe in der deutschen Sprache diskriminiert, sie wurden einfach so von ihrem Ehemann diskriminiert. Das Thema gendergerechte Sprache war damals eher ein Randthema.
Die Menschen konnten im Jahr 1933 natürlich nicht wissen, was eine faschistische Herrschaft tatsächlich bedeutet. Jetzt wissen wir es. Übrigens möchte selbst der eingefleischteste Nazi keinen Terrorstaat, bei dem Menschen unter un-menschlichen Bedingungen in Lagern gehalten oder fabrikmäßig abgeschlachtet werden. Der nächste Faschismus wird also anders aussehen, als das, was in den Geschichtsbüchern steht. Vielleicht kommt er ganz ohne Hakenkreuze und Hitlerbart aus.

Angenommen, es gibt tatsächlich eine Partei, die ernsthaft als NSDAP von heute angesehen werden kann. Wie muss diese aussehen? Diese neue NSDAP würde offen faschistisch auftreten, über der Hälfte der Deutschen als Anhänger besitzen und nach der Machtübernahme ein Terrorregime errichten. Das klingt nicht nach der AfD, die wahrscheinlich zur Hälfte aus inoffiziellen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes besteht. Und wählen würde diese neue NSDAP auch niemand, denn dafür geht es uns zum Glück zu gut. Eventuell sieht es nach der nächsten Krise des Kapitalismus anders aus, aber bis es soweit ist, vergehen noch ein paar unbeschwerte Jahre. Diese neue Partei würde dann nicht AfD heißen. „Alternative für Deutschland“ ist nämlich kein guter Name für eine Partei, die die Weltherrschaft anstrebt. Eventuell wird es eine europäische Bewegung sein. Die Rechtsradikalen der einzelnen EU-Länder verstehen sich untereinander nämlich jetzt schon sehr gut.

Die neuen Nazis werden sehr wahrscheinlich aus einer Richtung auftauchen, über die wir noch nicht nachgedacht haben. Es könnte eine Tragik der Geschichte sein, dass die, die mit gutgemeinten Absichten einen Kneipenwirt in den Ruin getrieben haben, der einen Pegida-Stammtisch in seinem Lokal erlaubt hatte, dann ebenso etwas zum Erstarken des Faschismus beigetragen haben, wie die Kräfte, die nicht eher aufgaben bis eine Lokaljournalistin ihren Job verlor, weil sie einer homophoben Mutter geraten hatte, ihre Kinder nicht mit zu einer Schwulen-hochzeit mitzunehmen. Solche komischen Beispiele gibt es zur Genüge, und sie werden von der AfD bei jeder Gelegenheit genüsslich hervorgeholt. Verständlich, als AfD würde ich das auch machen. Es gibt eben einfach zu viel Idioten.
Und damit sind wir wieder beim eigentlichen Grundübel der Menschheit angelangt.

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Geschrieben von

trafassel

Ich bin Dr. Trafassel aus dem Roman Rückkehr zum Mittelpunkt der Erde.

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