Der Traum vom einfachen Tun

Arbeit Wollen wir selbst die monotonsten Tätigkeiten in Wirklichkeit garnicht an die Maschinen abgeben?

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Als Ende letzten Jahres die Lokführer streikten, für mehr Lohn, für ein ordentliches Verhältnis zwischen Leben und Erwerbsarbeit, da waren sie wieder: Bilder von Geisterzügen. Denn statt sich mit den gebeutelten Menschen am Steuer zu solidarisieren oder deren Sorgen nachzuvollziehen, waren Passagiere vor allem sauer auf die ausbleibenden Züge. Zudem gelang es einigen führenden Medien, die Gewerkschaftsleitung der streikenden Fahrerinnen und Fahrer als Wahnsinnige – im Zweifelsfall gar “Bahnsinnige” – zu brandmarken.

Deren Forderungen wurden als überzogen bezeichnet und so gelang es den Eliten einmal mehr, die Kleinen gegen die noch Kleineren auszuspielen. Denn was soll die Versandlager-Mitarbeiterin davon halten, wenn die Bahnfahrerin nicht mal mehr die bescheidenen 50 Überstunden zu leisten bereit ist? Schnell wurde Managern, Aktionären und Versandlager-Mitarbeitern also klar, dass hier eine gewaltige Schwachstelle im System vorliegt. Die Arbeit der Lokführer ist viel zu wichtig – aber gleichzeitig eben auch irgendwie nicht so wirklich wertvoll. Stichwort Verantwortung: nicht umsonst erhält der Manager ein fünffaches Gehalt, schließlich übernimmt er deutlich mehr davon. Wie den streikenden Lokführern das entgangen sein konnte, bleibt bis heute schleierhaft.

In den Köpfen der Republik wurde also über Lösungen nachgedacht. Und so leiteten Blätter wie die WELT folgendes Gedankenexperiment ein:

„Wenn man den Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Bahn (DB) und der Lokführergewerkschaft GDL einmal nur durch die Brille der Bahnkunden betrachtet, kann man schnell auf folgende Formel kommen: keine Lokführer, keine Streiks – keine Einschränkungen im Bahnverkehr. Nur, wer fährt dann die Züge?

Die einfache Antwort lautet: automatisierte Systeme.“

Roboter statt Streiks

Sicherlich wird noch einige Zeit ins Land gehen, bevor Lokführer tatsächlich durch Maschinen ersetzt werden können. Die Systeme stehen zwar bereit – aber Abwägungen über Sicherheit, gerade bei den Passagieren, spielen hier eine gewaltige Rolle. So ließ sich DB-Personalvorstand Ulrich Weber selbst kurz nach den Streiks zu folgendem statement hinreißen:

“Die Präsenz eines Lokführers ist für das Sicherheitsempfinden und den Betriebsablauf derzeit unerlässlich.”

Wer hier einen Widerspruch erkennt, der mag Recht haben, doch hat der Konzern seine Ignoranz gegenüber den eigenen Mitarbeitern nur scheinbar abgelegt. Die Kommunikation geht immer Richtung Kunde: der Lokfahrer muss funktionieren, er soll arbeiten – am besten immer verfügbar sein und auf gar keinen Fall streiken. Dennoch darf er nicht vollends zur Maschine verkommen. Denn seine imperfekte, aber menschliche Präsenz vermittelt den Passagieren ein wohliges Gefühl der Geborgenheit. Niemals würde der Lokführer die anderen Menschen in Gefahr bringen, geschweige denn sich selbst. Menschliches Mitgefühl lässt sich nicht simulieren.

Das Glück des Einfachen Tuns

Wie aber steht es um das Mitgefühl für die Lokführer? Vielleicht lieben einige von denen am Ende ihre Arbeit? Sind die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen – also ordentlichem Lohn und Zeit für privates Leben – möglicherweise ganz und gar unabhängig von der Leidenschaft, die ein Mensch für diese eher monotone Tätigkeit empfinden kann? Ist diese Arbeit also für die Menschen doch mehr als bloßer Zwang, um sich mit lebensnotwendigen Finanzen eindecken zu können?

In Zeiten aussterbenden Handwerks und zunehmender Auslagerung von Produktion und einfacher Arbeit, im Aufwind der creative class und der Wissensarbeiter – ja, in Zeiten absehbarer Automatisierung weiter Teile der uns heute bekannten Arbeitsabläufe, könnte das Verlangen nach einfacher Tätigkeit ebenfalls weiter zunehmen.

Dabei haben sich in den letzten Jahren bereits einige altbekannte Dinge aus dem Leben und Großeltern unserer Eltern als neue, trendige Hobbies rehabilitieren können. Wer näht heute nicht gern mal wieder was oder träumt vom eigenen Schrebergarten? Klassische Arbeit kommt zurück und das Autowaschen am Sonntag geht auch wieder in Ordnung. Alles Tätigkeiten, die uns tief mit der Arbeit verbinden. Die Körper und Geist in Einklang miteinander bringen. Arbeit, die ihr Ergebnis nicht verschleiern will, die alle unsere Sinne aktiviert und im flow schwelgen lässt. Arbeit, die nicht entmenschlicht ist, Sinn gibt und glücklich macht. Oder ganz salopp gesagt: wir tun etwas mit unseren Händen und wir sehen, was dabei rauskommt.

Im Internet gibt es Videos, die Menschen dabei zeigen, wie sie verschiedenste Arbeiten im virtuellen Raum simulieren. Dabei werden peinlich genau nachgebaute 3D-Züge bestiegen und zuvor vermutlich faustdicke Anleitungen studiert, denn so ein ICE will schließlich auch erstmal gefahren sein. Natürlich wird kein einziger Passagier tatsächlich bewegt und selbstverständlich auch kein Cent an den Spieler überwiesen. Es geht hier offensichtlich um etwas viel Höheres. Vielleicht ist es die pure Faszination! Eine Mischung aus Begeisterung für Technik und Arbeit: der Traum des einfachen Tuns.

Simuliert werden kann praktisch alles: vom LKW-Fahrersessel kann man problemlos über den Krankenwagen hinweg in einen Mähdrescher umsteigen. Auch Straßen-Reinigungsfahrzeuge und Rasenmäher sind verfügbar. Wen das zu sehr an schlechtbezahlte Arbeit erinnert, der kann auch gleich ein komplettes Leben simulieren oder sich lieber auf entspanntes Angeln am virtuellen See besinnen. Und es handelt sich um kein Randphänomen: Vielmehr geht es hier um eine Branche die hunderttausende Titel verkauft und Umsätze im Millionenbereich einfährt.

Wollen wir also gar nicht ohne scheinbar leidsame Arbeiten leben? Suchen wir letztlich doch nur Erlösung im einfachen Tun? Oder sind wir nur kreativlos geworden nach Jahrzehnten, in denen unser Lebenssinn keine andere Erfüllung kannte?


Vielleicht fällt uns ja noch etwas Besseres ein?

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Dieser Beitrag erschien zunächst auf dem Blog des transform Magazins.

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