„Es geht um unsere Stimmen“

Kunst Über Frauen und Feminismus in der Kunst. Ein Gespräch mit den Malerinnen Kathrin Landa und Verena Landau, Mitglieder im MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig

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„Es geht um unsere Stimmen“

Bild: Logo MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig

Anguissola, Gentileschi, Morisot – ohne Zweifel drei herausragende Personen in der Geschichte der Malerei. Doch diese drei Namen sind bei weitem nicht so geläufig wie Michelangelo, Caravaggio oder Manet. Denn die Herren Michelangelo Buonarroti (*1475), Michelangelo Merisi da Caravaggio (*1571) und Édouard Manet (*1832) sind heute im öffentlichen Bewusstsein deutlich präsenter als ihre jeweiligen Zeitgenossinnen und Kolleginnen Sofonisba Anguissola (*1531/32), Artemisia Gentileschi (*1593) und Berthe Morisot (*1841). Dabei gilt Gentileschi als bedeutendste Malerin des Barock. Ihre Bilder hängen in namhaften Museen weltweit. Und die Impressionistin Berthe Morisot war zu ihrer Zeit total angesagt und mittendrin. Doch die großen Maler der Vergangenheit, die im kollektiven Gedächtnis geblieben sind, sind allesamt Männer.

Sagen Verena Landau und Kathrin Landa, ebenfalls Malerinnen, im Hier und Jetzt. Wir treffen uns an ihrem Studienort, beide sind Absolventinnen der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig, um über das MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig (MNW) und dessen jüngste Ausstellung im dortigen Museum der bildenden Künste (MdbK) zu sprechen.

Dissonante Vielstimmigkeit

„VOIX“ lautet der geheimnisvolle Titel der Schau, die das gesamte Untergeschoss des MdbK einnimmt und Werke von insgesamt 28 Künstlerinnen – allen aktuellen Mitgliedern des MNW – in eigens entworfenen Einzelausstellungen zeigt. Voix, das französische Wort für „Stimme“ und gleichzeitig auch für „Stimmen“. Die Wahl dieses Titels habe pragmatische Gründe, so Landau: „Wir wollten etwas, das kurz ist und knackig klingt, vielleicht auch cool und rätselhaft, und zugleich auch sehr klar. Das Wort steht sowohl für die Einzahl als auch für die Mehrzahl. Passend, weil nicht ganz klar ist, ob Ein- oder Mehrzahl gemeint ist – weil genau das die Frage innerhalb des Netzwerks ist, mit der wir immer wieder konfrontiert sind.

Die Frage danach, ob es um etwas Gemeinsames geht oder um einen bloßen Zusammenschluss von einzelnen Frauen in einer männlich dominierten Kunstwelt. Da gebe es Reibung in der noch sehr jungen Organisation, die im Frühjahr 2015 von Kathrin Landa ins Leben gerufen wurde: „Unsere Meinungen sind ebenso heterogen wie die Kunst“, so die Initiatorin. Beide Künstlerinnen betonen sehr nachdrücklich diesen pluralen Charakter einer der nach Einschätzung der Kuratorin Barbara John „spannendsten Plattformen für zeitgenössische Malerei“. Deshalb erzählen sie bei unserem Treffen in erster Linie aus ihrer ganz persönlichen Perspektive.

Das MNW als Ort der dissonanten Vielstimmigkeit: „Und dies, die Vielstimmigkeit und gleichzeitig die Möglichkeit der Einstimmigkeit, findet sich im Titel unserer Ausstellung im MdbK wieder. Weil wir uns in dieser Vielstimmigkeit für ein Ziel zusammengeschlossen haben: Die Wahrnehmung der Malerei von Frauen in der Öffentlichkeit zu verstärken. Es geht um unsere Stimmen!“

Frauen in der Kunst

Gleichwohl wollen meine Gesprächspartnerinnen nicht in den Chor derer einstimmen, die meinen, dass Frauen in unserer Gesellschaft keine Stimme hätten. Hier zeigen sich beide selbstbewusst: „Die haben wir längst und wir haben wahnsinnig viel erreicht“. Was auch ganz allgemein für weibliche Kunst gelte. Das jüngste Beispiel: Die renommierte „Tate Britain“ in London zeigt ab April 2019 in der Abteilung für Kunst ab 1960 mindestens ein Jahr lang ausschließlich Kunst von Frauen. Zehn Jahre früher setzte schon Camille Morineau – Präsidentin der Vereinigung „Archives of Women Artists, Research and Exhibitions“ (AWARE), die Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zurück ins öffentliche Bewusstsein holen möchte – ein Ausrufezeichen mit der Ausstellung „Elles“ im Pariser Centre Pompidou mit Werken von über 200 Künstlerinnen.

Auch in den deutschen Galerien machen sich Veränderungen bemerkbar: Anfang 2018 nahm die Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ in der Frankfurter Schirn die „Neue Frau“ des spätestens 1933 gewaltsam beendeten emanzipatorischen Intermezzos in den Blick und zeigte die Weimarer Republik nicht mehr, wie sonst üblich, nur aus der Sicht bekannter Malergrößen wie Otto Dix, sondern explizit auch aus der von Malerinnen wie Lotte Laserstein oder Jeanne Mammen. In denselben Räumen sorgte schon 2008 die Ausstellung „Impressionistinnen“ mit Werken von vier Künstlerinnen, darunter Berthe Morisot, für großes Interesse. Und ganz aktuell wird die sehr männerlastige Schau „Ostdeutsche Malerei und Skulptur“ im Dresdner Albertinum direkt nebenan im Lipsiusbau von der Ausstellung „Medea muckt auf“ über radikale Künstlerinnen im Sozialismus herausgefordert.

Es bewegt sich etwas. Und dennoch: „Der Kampf ist notwendig. Ich sage explizit Kampf dazu. Und der darf nicht erlahmen.“ Meint Kathrin Landa zu den immer noch offensichtlichen Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen auf dem Kunstmarkt konfrontiert sind: Ob Bestände, Ankäufe oder Einzelausstellungen – die in den Museen befindlichen bzw. ausgestellten Werke stammen deutlich häufiger von Männern als von Frauen. Die feministische Künstlerinnengruppe „Guerilla Girls“ inspirierte das krasse Missverhältnis schon 1989 zu einer aufsehenerregenden Plakataktion gegen das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA):

„Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Less than 5% of the artists in the Modern Art sections are women, but 85% of the nudes are female“.

Über zwei Jahrzehnte später, 2012, die ernüchternde Bilanz: da seien in der Sektion Moderne Kunst sogar nur noch unter vier Prozent der Werke von Frauen gewesen. In der Kunst zeigt sich bis heute das ewig alte gesellschaftliche Muster: Frauen als verehrte und begehrte Objekte, die als Subjekte wenig ernst genommen werden.

In Deutschland sieht das nicht wirklich anders aus: 2016 warf ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung auf, dass sich im Bestand der vier großen Münchner Museen bzw. Archive nur sehr wenige Werke von Frauen befinden. Die Neue Pinakothek etwa besitze Werke von 1000 Künstler*innen, darunter 40 Frauen. Die Städtische Galerie im Lenbachhaus bringe es bei den bis 1900 geschaffenen Kunstwerken auf ein mageres Prozent. Und für Werke von 1946 bis 2015 habe sich der Bestand auf lediglich elf Prozent erhöht. Dabei ist das numerische Geschlechterverhältnis in der Bildenden Kunst heute nahezu ausgeglichen, legt man die Zahlen der Künstlersozialversicherung zugrunde. Von einem „gefühlten Ungleichgewicht“, so der häufige Vorwurf gegenüber Forderungen nach mehr Gleichstellung, könne angesichts solcher Zahlen wohl kaum die Rede sein, betont Landa.

Auch beim Gender-Pay-Gap unterstreichen die Statistiken, dass der Kunstmarkt weit davon entfernt ist, die Avantgarde in Sachen Gleichberechtigung zu bilden: So zeigt eine Studie des Deutschen Kulturrates von 2016 (pdf), dass Frauen in der Bildenden Kunst im Jahr 2015 immer noch 27 Prozent weniger verdienten als Männer. Bei allen Kunstformen zusammen waren es 24 Prozent, in der Malerei und Grafikkunst – als Teildisziplin der Bildenden Kunst – 28 Prozent. Insgesamt betrug der Gender-Pay-Gap 2015 für alle Berufe 22 Prozent. „Speerspitze der Bewegung“ sehe anders aus – im Gegenteil: „Der Kunstmarkt hinkt da den anderen gesellschaftlichen Bereichen sogar hinterher“, bilanziert Landa.

In Leipzig, wo sie vor ihrem Umzug nach Berlin neun Jahre lang studiert und gearbeitet hat, sei ihr sehr aufgestoßen, dass die männlichen Protagonisten der Alten und Neuen Leipziger Schule der Malerei in der Öffentlichkeit immer sehr stark im Vordergrund stünden. „Da stelle ich mir die Frage, warum Malerinnen in Leipzig viel weniger beachtet werden als ihre Kollegen, damals wie heute? An der Qualität kann es nicht liegen.“ Dies konnte die Kuratorin Barbara John 2015 in Leipzig mit einer Ausstellung mit dem provokanten Titel „Die bessere Hälfte“ zeigen. Werke von drei Künstlerinnen-Generationen, darunter Exponate meiner beiden Gesprächspartnerinnen, wurden gezeigt. 70 Jahre weibliche Leipziger Schule. Medial und auch sonst habe diese Ausstellung allerdings nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient habe, bedauert Landa.

Raus aus dem Strudel

Warum nur diese Fixierung auf die Männer? Verena Landau liefert dafür eine grundsätzliche Erklärung: „Ich denke, das liegt ganz tief in den kapitalistischen Strukturen verankert. Die Vorstellung von Subjekt, Genie, Könnerschaft und Meisterschaft ist so stark mit dem Männlichen verbunden, dass es wirklich noch viel Arbeit ist, auch für Kunsthistorikerinnen heute, Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts oder von früher zu entdecken und überhaupt Informationen darüber zu finden und zu publizieren, sie bekannter zu machen.“

Kathrin Landa sieht dabei vor allem die Museen in der Pflicht: „Wer als Künstlerin oder Künstler in ein Museum kommt, der hat es geschafft. Der hat eine gesellschaftliche Relevanz. Und in jenen Räumen waren in der Vergangenheit eben keine Frauen zu sehen. Das Resultat: Es wird gedacht, dass nur Männern in der Kunst eine gewisse Relevanz zuzuschreiben ist. Und so ist eine Verhärtung in den Köpfen entstanden, die das weibliche Genie gar nicht kennt es wurde den Menschen gar nicht beigebracht. Und das multipliziert sich dann: Es werden vergleichsweise wenig Frauen in Museen gezeigt. In der Folge kaufen Sammler weniger Kunst von Frauen, weil sie ja denken, dass die nicht so relevant ist. Dadurch wird Kunst von Frauen noch unbedeutender. Ein richtiger Strudel, den es zu durchbrechen gilt.“

Und dieser Strudel beginnt bereits fernab vom Kunstmarkt in der Schule. Da werden, trotz einiger Fortschritte, bis heute in Schulbüchern Männer und Frauen stereotyp dargestellt, nicht selten völlig unkritisch: „Frauen kümmern sich um Ernährung, Pflege und Haushalt, Mädchen treten als passiv und konformistisch in Erscheinung. Dagegen sind fast alle beeindruckenden, noblen und aufregenden Zuschreibungen Jungen und Männern vorbehalten“, so Aaron Benavot und Catherine Jere 2016 gegenüber Spiegel Online zu den Ergebnissen ihrer UNESCO-Studie über Geschlechterstereotype in Schulbüchern.

Das MdbK scheint den Strudel jedenfalls ernsthaft stoppen zu wollen: Verena Landau erzählt, dass es gar nicht schwierig gewesen sei, im MdbK ausstellen zu können. Der neue Museumsdirektor Alfred Weidinger, seit 2017 im Amt, bekenne sich klar dazu, mehr Kunst von Frauen zeigen zu wollen. Gleich eine der ersten Einzelausstellungen, „Riding the Red Tide“, widmete sich einer Künstlerin der Generation von Landa und Landau, Petra Mattheis, die sich in einer ganzen Werkreihe mit dem Thema Menstruation beschäftigt. Landau verweist auch auf eine in ihren Augen bahnbrechende Ausstellung über Internet-Künstlerinnen, „Virtual Normality“, in der unter anderem die amerikanische Performance-Künstlerin Signe Pierce („Ich will starke Kunst, die vor Weiblichkeit trieft“) zu sehen war.

Diese Ausstellung hat überhaupt erst bekannt gemacht, welche aktuellen Positionen es in diesem Bereich der Kunst gibt. Sie hat mir klargemacht, wie wichtig diese Kunst ist: Künstlerinnen, die sich mit der Repräsentation von Frauen in sozialen Netzwerken beschäftigen, auch sehr provokant mit Klischees spielen und vor allem immer wieder auf Diskriminierung hinweisen und die Finger in die Wunde legen“, so Landau.

Seitdem sei das Museum stärker bevölkert, vor allem von jungen Menschen. Vorher habe es etwas Sakrales gehabt. Ein Ort, an dem man sich mitunter alleine der Kontemplation habe hingeben können. Kathrin Landa ergänzt: „Der Kontemplation der männlichen Neuen Leipziger Schule… Ich finde, hier in Leipzig ist das schon verschärft. Ich beobachte das Umfeld, ich war Meisterschülerin an der HGB. Und wenn ich jetzt sehe, was aus den Kolleginnen und Kollegen geworden ist, die mit mir studiert haben, dann sind die Männer immer einen Schritt weiter. Wie kann das sein?

Solidarisierung füreinander

Es gibt seltene Ausnahmen wie Rosa Loy, eine der Hauptvertreterinnen der Neuen Leipziger Schule und unter anderem im bereits erwähnten Bestand des MoMA in New York vertreten. Das MNW-Mitglied ist mit der Gründung des Netzwerkes eng verbunden. Kathrin Landa erzählt dazu von einer Diskussionsveranstaltung, die 2015 anlässlich der Ausstellung „Die bessere Hälfte“ stattgefunden hatte: „Und plötzlich stand da so eine Wut im Raum, ein Ärger hat sich Bahn gebrochen. Und dann meinte Barbara John in ihrer Rolle als Moderatorin: ‘Ja woran liegt denn dieses Ungleichgewicht?’ Und dann meldete sich Rosa Loy und meinte, ihrer Ansicht nach liegt das eben auch daran, dass Künstlerinnen weniger gut vernetzt sind als ihre männlichen Kollegen.“ Diesen Impuls habe Landa, die mit Loy im Podium saß, dann aufgegriffen. Am nächsten Tag habe sie „ein Konzept für ein Netzwerk exklusiv für Malerinnen aus Berlin und Leipzig entworfen und dann auch gleich dazu eingeladen. Beim ersten Treffen in Berlin waren nicht viel mehr als zehn Malerinnen da. Doch 2016 haben wir dann bereits einen Verein gegründet.“

Dass es im MNW in erster Linie um die Solidarisierung füreinander und nicht unbedingt um eine Gegnerschaft zu Männern geht, zeigt sich unter anderem darin, dass pro Jahr nur ein neues Mitglied in das Netzwerk aufgenommen werde: „Ziel war es, eine Gruppe zu bilden, in der wir uns gegenseitig kennen, vertrauen, stützen und fördern und auch wirklich dazu in der Lage sind, Bilder zu besprechen. Das wäre bei einem abstrakten Konglomerat von anonymen Mitgliedern nicht möglich. Vieles davon ist heute Realität geworden“, so Landa. Nach dem Studium sei in der Kunstszene oft eine gewisse Vereinzelung zu spüren. „Und sich da einen Ausweg zu suchen, sich zusammenzuschließen und eine Basis zu schaffen für intensive Bildbesprechungen, war für mich ein totaler Motor.

Auch Verena Landau beschreibt, wie sie persönlich von dem Netzwerk profitiert: „Ich habe gemerkt, dass das eine ganz neue Kraft für mich ist, dass ich nochmal einen neuen Zugang zur Malerei entwickelt habe. Dieser Austausch mit anderen Malerinnen, den es für mich vorher so nicht gab, hatte für mich auf alle Fälle etwas Befreiendes.“ Diese Wahrnehmung nach Innen sei das eigentlich verstärkende Element der Gruppe. Und da habe es im Gegensatz zu feministischen Fragen von Anfang an einen Konsens unter den Mitgliedern gegeben: „Worin wir uns alle einig waren, war der Wunsch, etwas für uns zu tun. Etwas, das uns gut tut, das uns Kraft gibt, das uns Spaß macht.“

Wenn ich jetzt nach vier Jahren zurückblicke, freue ich mich, dass alle 28 Malerinnen im Netzwerk geblieben sind und sich engagieren, trotz der unterschiedlichen Auffassungen über die Ziele des MNW“, resümiert Kathrin Landa. Doch wenn sie noch einmal am Anfang der Gründung des Netzwerkes stehen könnte, würde sie das Profil stärker schärfen und „ein paar feministische Intentionen klar definieren“.

Feminismus in der Kunst

Für eine solche Weiterentwicklung des MNW zeigen sich meine beiden Gesprächspartnerinnen, die sich ohne Umschweife als Feministinnen bezeichnen, sehr offen und sie wären da in Zukunft gerne noch politischer und lauter. Denn ein solches Netzwerk sei per se auch politisch: Das Thema Frauen in der Kunst sei gesellschaftlich sehr bedeutsam und wer Mitglied im Netzwerk ist, der greife damit auch in gesellschaftliche Prozesse ein.

Kathrin Landa verortet ihre feministischen Wurzeln bereits in ihren ersten Lebensjahren: „Ich bin sozialisiert feministisch, da sich meine Mutter schon in den 80er und 90er Jahren stark für Frauen eingesetzt hat und ein großes Vorbild für mich ist. Damals war es auch im Schwabenländle diesbezüglich noch sehr rückständig.“ So habe ihre Mutter in Ravensburg gemeinsam mit anderen Frauen den Verein „Frauen helfen Frauen“ gegründet (heute „Frauen und Kinder in Not e.V.“). Das habe sie als Kind schon in den ersten zehn Lebensjahren sehr stark geprägt. Und da habe sich ihr Antrieb entwickelt, sich für gesellschaftliche Veränderung einzusetzen und dabei auch die Benachteiligung von Frauen im Blick zu haben.

Verena Landau sei vor allem durch ihr Studium an der HGB feministisch geprägt worden. Da habe sie eine extreme Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Studierenden wahrgenommen. Vorher, während ihrer Zeit in Düsseldorf und Italien, sei ihr das nie so stark begegnet wie in Leipzig. Mit dem Thema Diskriminierung von Frauen habe sie in den 90er Jahren ganz allein dagestanden. Das habe an der HGB niemanden interessiert. Sie schrieb dann ihr Diplom über feministische Kunst und interviewte dafür Künstlerinnen ihrer Generation.

Doch Landaus Feminismus beziehe sich nicht nur auf die Gleichstellung von Männern und Frauen: „Für mich geht es darum, für eine pluralistische Gesellschaft zu kämpfen, in der es gar nicht mehr so sehr Thema ist, ob jemand Mann oder Frau ist. Mein Ziel ist eine Gesellschaft, die antirassistisch ist, in der man nicht mehr merkt, ob jemand schwarz oder weiß ist.“ Damit Frauen sich überhaupt erst in die Lage versetzen können, wirksam für eine solche Welt zu streiten, müsse es zunächst auch explizit einen feministischen Kampf für ihre Gleichstellung geben: gleiche Löhne, gleiche Ressourcen, gleiche Möglichkeiten der Repräsentation wie zum Beispiel in Museen und Ausstellungen – oder eben auch in Schul- und Geschichtsbüchern.

Und Kathrin Landa ergänzt: „Ich finde es wichtig, nicht zu sagen, ‘da sind die Männer, da sind die Frauen’ – mein Menschenbild ist, dass diese Kategorisierung in Mann und Frau obsolet ist. Ich glaube an das soziale Geschlecht, an Sozialisation, man ist das, wofür man sich letztlich entscheidet.“ Doch solche queerfeministischen Themen seien für das MNW gerade noch nicht so vordergründig wie für andere feministische Netzwerke, fügt Landau hinzu. Dennoch seien Teile des Netzwerks daran interessiert, sich hier stärker zu öffnen.

Für den Moment skizziert Landau einen anderen Schwerpunkt: „Für mich ist das Interessante am MNW, dass es wirklich um Malerei geht und dass Malerei in der feministischen Kunst immer eine Rolle gespielt hat.“ Doch die traditionelle Malerei sei eben nicht weiblich gewesen. Deshalb sei es da bis heute für Frauen so schwer. Seit Ende der 60er Jahre habe sich der Feminismus auch in der Kunst entwickelt, ausgehend von US-amerikanischen Künstlerinnen wie Judy Chicago oder Carolee Schneemann. In Ablehnung der von Männern dominierten Malerei hätten diese eine Vorreiterrolle für Performance- und Videokunst, Body Art und andere heute selbstverständliche Kunstformen eingenommen. Und über diese neuen künstlerischen Medien habe es dann einen großen Einfluss auch auf männliche Künstler gegeben. „Solche Kunst gebe es gar nicht, wenn es nicht die feministische Kunst gegeben hätte.

In den frühen 80er Jahren sei die Malerei dann verpönt gewesen, ja habe als reaktionär gegolten. Nur wenige Frauen seien deshalb aktiv gewesen, zum Beispiel die Berlinerin Elvira Bach bei den „Neuen Wilden“, aber nie so erfolgreich wie ihre männlichen Kollegen. In den 90er Jahren habe es dann, auch von Leipzig ausgehend, wieder einen, ebenfalls sehr männerlastigen Trend hin zur Malerei gegeben. „Und dann zu sagen: ‘Nein, wir malen aber gerade! Das ist unser Medium. Das müssen wir uns gar nicht erst aneignen, weil das sowieso schon immer unser Medium gewesen ist’, das ist für mich persönlich eine wichtige Entwicklung.“

Im Moment werde gerade von jüngeren Feministinnen wieder auf die frühen Diskurse der feministischen Kunst und Kunstgeschichte Bezug genommen. So zum Beispiel auf Linda Nochlin und ihren wegweisenden Aufsatz „Why have there been no great women artists?“ (pdf) von 1971, in der die Kunsthistorikerin die institutionellen Hürden untersuchte, die Frauen in der Bildenden Kunst daran gehindert haben, mit den Männern gleichzuziehen. Neben solchen strukturellen Fragen gehe es in der aktuellen Auseinandersetzung darum, was psychologisch bzw. sozialisatorisch dahinter liegt – warum Frauen beispielsweise nicht ein ähnlich starkes Selbstbewusstsein wie Männer entwickeln (diesen Sachverhalt zeigt bspw. eine Studie von 2002 sehr eindrucksvoll: pdf). Oder, warum über Kunst von Frauen bzw. Frauen in der Kunst weniger berichtet wurde und wird als über Männer und deren Kunst.

An Selbstbewusstsein und Optimismus, Teil einer positiven Veränderung zu sein, mangelt es meinen Gesprächspartnerinnen jedenfalls nicht – der Erfolg des noch jungen MNW, die Ausstellung im MdbK ist bereits Nr. 12, spricht da für sich: „Wir haben uns mit dem Netzwerk einen sozialen, einen öffentlichen Raum geschaffen, ja erobert. Und da sind wir mit dem, was wir tun, eine Stimme, die gewissermaßen ein politisches Ziel verfolgt. Das hat eine große Kraft.

MalerinnenNetzWerk MNW

Zum MNW gehören Stephanie Dost (Leipzig), Isabelle Dutoit (L), Zohar Fraiman(Berlin), Marie Gold (L), Franziska Guettler (L), Nina K. Jurk (L), Heike Kelter (B), Marianna Krueger (B), Katrin Kunert (L), Kathrin Landa (B), Verena Landau (L),Corinne von Lebusa (L), Catherine Lorent (B), Rosa Loy (L), Justine Otto (B/Hamburg), Gudrun Petersdorff (L), Julia Ruether (B), Maria Sainz Rueda (L), Ann-Katrin Schaffner (B), Sophia Schama (B), Eva Schwab (B), Bettina Sellmann (B), Tanja Selzer (B), Sophie von Stillfried (L), Caro Suerkemper (B), Alex Tennigkeit (B), Kathrin Thiele (L) und Miriam Vlaming (B).

Das MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig (MNW) zählt seit seiner Gründung im Frühjahr 2015 zu den laut der Kuratorin Barbara John spannendsten Plattformen für zeitgenössische Malerei. Aktuell 28 Malerinnen aus Berlin und Leipzig haben sich zu diesem Netzwerk zusammengeschlossen – pro Jahr wird nur ein neues Mitglied aufgenommen. Das Netzwerk besteht ausschließlich aus Malerinnen, zeigt sich jedoch offen gegenüber neuen künstlerischen Konzepten und der Einbeziehung von Gastkünstler*innen und Gastkurator*innen.

VOIX

Die Ausstellung VOIX im Museum der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig wird am 19.02.2019 um 18 Uhr eröffnet und ist dann bis zum 7. April zu sehen.

„Im kompletten Untergeschoss des Museums zeigen die 28 Künstlerinnen aus Berlin und Leipzig erstmals und in eigens für das MdbK konzipierten Einzelausstellungen die volle mediale Bandbreite ihres Schaffens, das neben dem Schwerpunkt Malerei auch Zeichnung, Installation, Skulptur, Objekte und räumliche Interventionen umfasst“, so das Museum auf seiner Homepage.

Kathrin Landa

Kathrin Landa lebt in Berlin und ist Initiatorin und Vorstandsmitglied des MalerinnenNetzWerks Berlin-Leipzig e.V. Nach Studienaufenthalten in Mainz und Lyon absolvierte sie von 2002 bis 2006 ein Studium der Malerei/Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Nach ihrem Diplom schloss sich dort ein Meisterschülerstudium an, das sie 2009 abschloss. 2015 erhielt Landa den Kulturförderpreis der Städte Ravensburg und Weingarten.

Verena Landau

Verena Landau lebt in Leipzig, wo sie ab 1994 ein Studium der Malerei/Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst absolvierte, das sie 1999 abschloss. 2003 war sie Stipendiatin der Sparkassen kulturstiftung Hessen-Thüringen im hessischen Künstlerdorf Willingshausen. Seit 2008 ist sie künstlerische Mitarbeiterin am Institut für Kunstpädagogik der Universität Leipzig.

Der Beitrag erschien zuerst im Transit Magazin.

Autor: Felix Peter
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