Nach dem Anschlag

Halle Am 9. Oktober erschoss ein rechtsextremer Attentäter zwei Menschen, nachdem er versucht hatte, in einer Synagoge ein Massaker zu verüben. Eindrücke und Wünsche aus Halle

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„Es ist etwas anderes, wenn man täglich an den Orten vorbeikommt, die Millionen nur aus dem Fernsehen oder von verwackelten Videobildern kennen“
„Es ist etwas anderes, wenn man täglich an den Orten vorbeikommt, die Millionen nur aus dem Fernsehen oder von verwackelten Videobildern kennen“

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

In den Tagen nach dem rechtsextremen und antisemitischen Terroranschlag in Halle und Landsberg scheint – auf den ersten Blick – recht schnell wieder Normalität einzukehren. Die Straßenbahnen fahren wie gewohnt, der Verkehr fließt, Fußgänger hasten durch die Straßen, es wird gelacht, die Geschäfte haben geöffnet. Alltag kehrt ein.

Und doch: Auf Arbeit, im Café, in der Bahn und bei zufälligen Begegnungen auf der Straße immer wieder ein Thema, das die Menschen in der Stadt beschäftigt. Rechter Terror – zwei Menschen sind tot, brutal ermordet, weitere schwer verletzt, viele weitere haben in unmittelbarer Nähe der menschenverachtenden Gewalttat entsetzliche Minuten durchleben müssen und noch viel mehr haben intensiv wahrgenommen, wie es sich anfühlt, Angst zu haben – um sich selbst, um andere, um die Gemeinschaft.

Solidarität

Viele haben erlebt – und so ehrlich dürfen wir sein: Es ist etwas anderes, wenn die Bedrohung, wenn der Terror direkt vor der eigenen Haustür stattfindet und nicht hunderte oder tausende Kilometer entfernt. Es ist etwas anderes, wenn man täglich an den Orten vorbeikommt, die Millionen nur aus dem Fernsehen oder von verwackelten Videobildern kennen. Das Flatterband auf dem Fußweg. Die Markierungen der Polizei auf Asphalt und an Häuserwänden. Die unzähligen Symbole der Trauer und Anteilnahme vor der Synagoge, dem Döner-Imbiss und auf dem Marktplatz. Es trifft uns viel tiefer.

Und gleichzeitig merken wir, wie unser Selbstschutz sehr schnell aktiviert wird: Der Schrecken verblasst, die Sorgen des Alltags übernehmen, man geht zum Sport, ins Kino, ins Restaurant. Der Kopf beschäftigt sich nur allzu gern wieder mit anderen Dingen. Es wird verdrängt, völlig normal – aber nicht vergessen. Das wäre auch fatal.

Noch während in Halle am 9. Oktober die Polizei weite Teile der Innenstadt abgeriegelt hielt, brandete durch die sozialen Medien eine starke Welle der Solidarität. Spontane Kundgebungen in anderen Städten, Anteilnahme von vielen Menschen, Organisationen und Institutionen aus Deutschland und dem Ausland. Noch am Abend kamen in Halle mehrere Hundert Menschen auf dem Marktplatz zusammen, um still zu gedenken und am Donnerstag waren es Tausende auf mehreren Veranstaltungen, am Freitag wieder Tausende, am Sonntag über 2.000 auf einer Solidaritätsdemonstration. Solidarität ist eine starke Kraft. Die Bilder berühren, manch einen überwältigen sie diese Tage.

Ärger, Empörung, Wut, Frustration

Und dann sind da auch Ärger, Empörung, Wut, Frustration. Und damit sind nicht mal die schwer in ein Wort zu fassenden Emotionen in Bezug auf den rechtsextremen Terroristen gemeint. Über ihn wird bereits zu viel gesprochen, geschrieben, spekuliert. Nein, da ist der Ärger über die Boulevard-Medien, die jede Minute der Tat genüsslich ausweiden und dabei alle Grenzen des Anstands und des Respekts überschreiten. Da ist die Empörung über die rechten Brandstifter, die ihre Anteilnahme in die Sozialkanäle heucheln und mit dem Finger auf ganz viele andere zeigen, nur nicht auf sich selbst, die das geistige Fundament solcher Taten mitgegossen haben. Da ist die Wut auf die Troll-Armee der rechten Brandstifter, die Falschmeldungen produziert und selbst aus einem unwiderlegbar rechtsextremen Terroranschlag Profit für rechte Stimmungsmache zu schlagen versucht.

Da ist die Frustration über politische Amts- und Mandatsträger*innen, die so blind scheinen für die rechten Dynamiken in unserer Gesellschaft, die sich in ihrer angeblichen Überraschung als kurzsichtig, blauäugig, grob fahrlässig oder berechnend entlarven. Von denen einige noch gefühlt gestern die Kürzung von Mitteln im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus und die Untergrabung von einschlägigen etablierten zivilgesellschaftlichen Akteuren auf den Weg gebracht haben. Die vor nicht allzu langer Zeit Institutionen wie den Verein Miteinander e. V. in Sachsen-Anhalt existentiell beschädigen wollten. Die bei jeder rechten Gewalttat, bei jedem rechten Anschlag „aber die Linken sind genauso schlimm“ rufen. Die Polizei und Justiz mit viel Aufwand auf Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen, engagierte Antifaschist*innen oder linke Zentren ansetzen, statt sie gründlich gegen Neonazis ermitteln zu lassen. Die sich schließlich angesichts rechter Netzwerke hoffnungslos überfordert oder absolut unvermögend zeigen, die Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten. Die dann aber Kränze niederlegen und zum gesellschaftlichen Zusammenstehen aufrufen und versprechen, dass jetzt wirklich etwas getan werde.

Ich würde das gerne glauben. Ich würde mir wünschen, dass die Mittel für Organisationen und Projekte, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzen und für Demokratie und Menschenrechte werben, enorm aufgestockt werden und bewährte Strukturen erhalten bleiben. Ich würde mir wünschen, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien jenseits der AfD damit aufhören, rechte Ressentiments zu bedienen (von der AfD ist das einfach nicht zu erwarten). Ich würde mir wünschen, dass alle im Bundestag, in den Landtagen und in den kommunalen Räten vertretenen Parteien jenseits der selbsterklärten „Alternative“ die AfD konsequent als Partei der rechten Brandstifter einordnen und die Unionsparteien bis in die kleinsten Gemeinden aufhören, mit Abgeordneten der AfD zusammenzuarbeiten, ja auch nur eine ihrer Positionen zu unterstützen. Ich würde mir wünschen, dass es zum NSU endlich Aufklärung gibt, dass alle nachweislich politisch rechten Straftaten auch als solche eingeordnet würden, dass die vielen untergetauchten rechten Straftäter in den Bau wandern. Und ich würde mir wünschen, dass die auf solidarische und freiheitliche Perspektiven orientierten Fundamente unserer Gesellschaft – das Bildungssystem, soziale Institutionen und Hilfen sowie die Kulturinstitutionen – nicht länger finanziell ausgetrocknet werden.

Bis dahin: Erfreuen wir uns an der Solidarität, die wir gerade erleben. Sorgen wir dafür, dass sie stark bleibt, dass sie weiterwächst. Dass noch mehr Menschen sich solidarisch einbringen.

Der Beitrag erschien zuerst im Transit Magazin.

Autor: Simon Manske
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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