Im Gespräch Die Sprecherin des linken SPD-Flügels, Hilde Mattheis, über die Sozialdemokratie nach dem Berliner Parteitag und die Zusammenarbeit der Linken
Der Freitag: Frau Mattheis, wie bewerten Sie den gerade zu Ende gegangenen SPD-Bundesparteitag?
Hilde Mattheis: Der Parteitag war einer, der gezeigt hat, dass man in der SPD wieder diskutieren kann; dass es möglich ist, über Inhalte und den Austausch von Argumenten die Debatte ein Stück weit bestimmen zu können – ohne sofort in eine Art Machtdiskussion, wer siegt über wen, zu geraten. Das hat gut getan.
Es wurde diskutiert – allerdings verhält es sich ja so, dass sich die Linke in der SPD sowohl beim Thema Rente als auch beim Thema Steuern nicht durchgesetzt hat, und zwar insofern nicht, dass die Absenkung des Rentenniveaus nicht verhindert wurde und die Reichensteuer vom Tisch ist.
Wir sind mit Maximalpositionen in die Debatte hinein gegangen. Das is
euer vom Tisch ist.Wir sind mit Maximalpositionen in die Debatte hinein gegangen. Das ist richtig.Was ein Fortschritt ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren?Ja. Wir haben unsere Positionen mit offenem Visier angekündigt. Und wir haben dann im Prinzip bei beiden Themen – Rente und Steuern – ein Ergebnis erzielt, das für weitere Diskussionen ein guter Ausgangspunkt ist. Bei der Rente haben wir es geschafft, dass eine neue Kommission nun mit linken Leitplanken arbeiten wird. Und ich glaube schon, dass es gelingen wird, zu einem Ergebnis zu kommen, bei dem gesichert ist, dass die SPD die drei Komponenten – Schutz vor Altersarmut, Lebensstandardsicherung, flexible Übergänge – umsetzt und insbesondere das Rentensicherungsniveau im Blick hat. So hat sich die SPD nicht immer positioniert.Das ist jetzt bereits die neunte Rentenkommission in der SPD. Sie haben gesagt, die Arbeitsweise des nun eingesetzten Gremiums würde sich von der des alten unterscheiden, inwiefern?Es gibt einen klaren Zeitrahmen. Bis Mai, Juni 2012. Ein halbes Jahr. Es gibt einen klaren Prüfauftrag für die Kommission: Wie können die drei genannten Komponenten umgesetzt werden. Und, was noch im Bundesvorstand zu klären ist: Unter welchem Vorsitz wird die neue Kommission arbeiten.Und der Erhalt des Rentenniveaus, die eigentlich kritische Frage, die wird auch Bestandteil dieser Kommission sein?Ja, das wird Bestandteil des Arbeitsauftrages der Kommission sein.Die Reichensteuer, die ist vom Tisch. Sind Sie enttäuscht?Beim Thema Reichensteuer war von Anfang an klar, dass dies ein Punkt ist, den man unter Umständen nicht durchsetzen kann. Und deswegen war unsere Haltung von Beginn an: Der Schwerpunkt liegt für uns auf der Abgeltungssteuer. Und die auf dem Parteitag beschlossene Kompromisshaltung bedeutet, innerhalb der nächsten drei Jahre wird festgestellt, wie sich die Einnahmen aus der Abgeltungssteuer, die von 25 auf 32 Prozent angehoben werden sollen, entwickeln. Wenn diese Erhöhung der Abgeltungssteuer nicht die Steuereinnahmen bringt, die aus der synthetischen Besteuerung von Kapitalerträgen zu erwarten sind, dann kehren wir zur synthetischen Besteuerung zurück.Welche Einnahmen versprechen Sie sich denn?Vor 2008 lagen die Einnahmen bei 13,6 Milliarden, sie sind dann nach der geänderten Gesetzgebung eingebrochen auf 8,7 Milliarden Euro. Der Stand von 2008 muss mindestens wieder erreicht werden.Für die nächsten Jahre würde dennoch gelten, dass Kapitaleinkommen weiterhin weniger besteuert werden als Arbeitseinkommen.Dazu darf ich einfach einmal folgendes anmerken: Wir werden die nächsten zwei Jahre nicht regieren.Vielleicht ja doch.Nach heutigem Stand also ist es dann noch ein Jahr, während dessen wir uns das Steueraufkommen ansehen und dann entscheiden. Unter diesem Gesichtspunkt ist das schon ein schöner Erfolg.Sie sind nicht nur als Mitglied in den Parteivorstand der SPD gewählt worden, sondern auch, eine Woche zuvor, zur Vorsitzenden des Forums DL 21. Welches sind dort Ihre Ziele? Was wird sich in der SPD-Linken ändern? Die Arbeit der DL 21 hat ein Stück weit daran gekrankt, dass Diskussionsprozesse nicht offen geführt wurden und die Beteiligungsprozesse, die Beteiligungsmöglichkeiten der DL 21-Mitglieder nicht optimal waren. Das ist auf den ersten Blick vielleicht ein eher organisatorisches Ziel, aber Organisation hängt sehr stark mit Inhalten zusammen. Wir müssen als Parteilinke noch viel stärker die Möglichkeit eröffnen, sich für unsere Leitziele zu engagieren. Wir verstehen uns als DL 21 als basisorientiert, dem müssen wir gerecht werden. Unsere Inhalte müssen auf 2013 als zukünftige Regierungspartei zielen. Das ist die inhaltliche Herausforderung: Die Kontur der SPD von links zu schärfen. Die Bereitschaft zu fördern, sich stärker für soziale und ökologische Themen zu öffnen.Raus aus den Hinterzimmern also?Ja. Wir wollen schlicht und ergreifend signalisieren: Wir bieten Andockmöglichkeiten für die, die trotz dieses guten Parteitags weiter an unserer Glaubwürdigkeit zweifeln. Wir wollen Andockmöglichkeit für diejenigen bieten, die aus der Partei ausgetreten sind, die wir wieder zurückholen möchten. Wir schaffen Andockmöglichkeiten für linke Bewegungen generell. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen sehr viel stärker die Koordinierung aller linker Kräfte vorantreiben – vom Institut Solidarische Moderne, bis hin zur Denkfabrik, zur Parlamentarischen Linken und den Menschen, die sich in den Landesverbänden als links verstehen, die aber nicht organisiert sind. Das ist eine große Aufgabe, wieder mehr Zusammenhalt unter den Linken zu befördern.Die Reihen sind also zurzeit nicht geschlossen?Mein Verständnis ist es, das habe ich von Anfang an klar gemacht, sehr viel stärker auch in die Partei hinein zu wirken und, über die DL hinaus, unsere Anschlussfähigkeit an linke Kräfte zu mobilisieren.Wenn die Linke in der SPD ihre Position wieder stärker nach außen trägt, wie werden Sie mit den Medien umgehen, die noch jedes Mal, wenn die SPD drohte, nach links zu rücken, kräftig auf sie einschlug? Auch Medien darf man nicht davor bewahren, dazuzulernen. Ich glaube, unsere Gesellschaft war lang nicht so offen, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit aufzugreifen, wie zurzeit. Von daher habe ich ein großes Vertrauen, dass linke Inhalte, um die es geht – alle Fragen, die sich um Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit ranken – sich auch in der Medienlandschaft durchsetzen werden. Ich glaube, dass auch Medienvertreter diesen Zeitgeist spüren.Sigmar Gabriel hat in seiner Rede auf dem Parteitag gesagt, die Neuausrichtung der SPD sei jetzt abgeschlossen. Einverstanden?Die Neuausrichtung ist eine ständige Aufgabe. Politik hat immer etwas mit Prozessen zu tun. Von daher war das ein sehr gewagter Satz, den ich so nie formulieren würde.
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