Kurz vor der Landtags- und Bundestagswahl in Schleswig-Holstein gibt sich Cornelia Möhring optimistisch: Alle Umfragen, sagte die Landessprecherin der Linkspartei in Schleswig-Holstein Anfang der Woche, sähen ihre Partei im Kieler Landtag. Die Wähler wüssten, dass die Linkspartei "verlässlich an der Seite der Menschen" stehe, sie wollten "eine parlamentarisch verankerte linke Partei", im Wahlkampf erfahre sie viel Zuspruch. Tatsächlich geben die Demographen Möhring recht. Unter sechs Prozent wurde die Partei in den letzten Wochen kaum einmal gelistet, es sieht eigentlich nach einer sicheren Sache aus.
Dennoch muss Möhring verbal vorbauen: "Wir wollen das Land friedlicher und gerechter machen. Dieser Weg ist mit inneren Klärungen verbunden. Nicht
en. Nicht alle wollen ihn mitgehen", sagt sie – und meint den öffentlichkeitswirksamen Austritt etlicher Parteimitglieder in Neumünster kurz vor der Landtagswahl.Nicht nur publizistischer SchadenDie Linke kennt solche demonstrativen Aktionen kurz vor einem Wahllgang schon aus Hessen. Doch anders als dort ist der Schaden nicht nur ein publizistischer. Der Kreischef von Neumünster, Jörn Seib, ist der Initiator des Gruppenaustritts; ihm wird die gesamte fünfköpfige Rathausfraktion der Linkspartei in der kreisfreien Stadt folgen. Über 13 Prozent hatte die junge Partei dort bei den Kommunalwahlen 2008 aus dem Stand geholt, sie ist die drittstärkste Kraft. Seib, ein Ex-CDU-Mann, kündigt weiter an, dass auch Teile der Kreisfraktion in Plön und "ein Mitglied eines Landesgremiums" der Partei zu den Austrittswilligen gehören – nicht nur wahlkampftechnisch, sondern auch strukturell ist das ein gehöriger Aderlass. Die Medien im Land, die über die traditionellen Streitigkeiten der Nord-Linken gern in epischer Breite berichten, werden die Causa gehörig auswalzen.Seib ist einer der Köpfe einer Parteigruppierung "Neumünsteraner Kreis", die sich selbst mit NK abkürzt und für einen flügelübergreifenden, der parteipolitischen Vernunft zugeneigten Zirkel hält. Politisch ist die Gruppe schwer einzuordnen in der üblichen Flügellogik der Linkspartei: Nachdem im Frühjahr durch eine interne Indiskretion Fotos des pragmatischen rot-rot-grün gesinnten Lübecker Linken-Chefs Ragnar Lüttke an die Presse gelangt waren, die diesen auf einer satirischen Mottoparty beim Anschneiden einer Stalin-Torte zeigten, führte der NK über Wochen eine Kampagne gegen den vermeintlichen "Stalinismus" in der eigenen Partei.Gleichzeitig paktierte der NK auf Parteitagen gern mit dem "linken" Parteiflügel, der die Öffnung der Listen für DKP-Mitglieder will, die beim Thema Stalinismus eher unsensibel sind. Nachdem sich im vergangenen Herbst der vom NK unterstützte Kandidat für das Landessprecheramt nicht durchsetzen konnte, fochten die Neumünsteraner die Delegiertenzusammensetzung vor der Bundesschiedskommission an. Mit Erfolg: Wegen eines Fristverstoßes musste sich einer der beiden Landessprecher im Winter erneut zur Wahl stellen. Das alles hat viel böses Blut in der Partei geschaffen. Bei den Wahlen zur Bundestags und Landtagsliste hatten NK-Leute keine Chance.Lückenschluss im NordenNach all dem werden viele in der Nord-Linkspartei froh sein, wenn Seib und Getreue tatsächlich gehen. Es sei denn, der kalkulierte politische Maximalschaden tritt ein und die Linke rutscht doch noch unter die fünf Prozent. Möhring glaubt allerdings, dass sich die Wähler in den vergangenen Jahren bereits an die Querelen in der Partei gewöhnt hätten. "Die Menschen in Schleswig-Holstein wissen, dass wir eine junge und wachsende Partei sind. Einiges ist noch in Klärung", sagt sie. Um die Bedeutung eines Parlamentseinzuges in Schleswig-Holstein wissen dabei alle in der Partei. Es wäre nicht nur, wie Möhring sagt, "die Lücke im Norden", die geschlossen würde. Nach der aus Linkspartei-Sicht knapp gescheiterten Bayernwahl und dem Sonderfall Saarland ist es sehr wichtig für das Karl-Liebknecht-Haus, den landespolitischen Siegeszug im Westen fortzusetzen.Dass das trotz der Austrittsaktion vom Donnerstag gar nicht so unwahrscheinlich ist, liegt letztlich an CDU-Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen: Durch die von ihm durchgesetzte Neuwahl am Bundestags-Termin steigen die Chancen der Linkspartei erheblich.Auch wenn der Trend abnimmt, neigen Wähler bei solchen Terminüberschneidungen noch immer dazu, bei beiden Wahlen die gleiche Partei anzukreuzen. Carstensen wollte so den Berliner Rückenwind in die Segel nehmen und zu Schwarz-Gelb durchmarschieren. Zuletzt sank der Stern der Tigerente aber auch im hohen Norden. Sollte Carstensen sich verrechnet haben und am Sonntag wäre rechnerisch ein Rot-Rot-Grün unter Einbezug der Minderheitspartei SSW möglich, käme allerdings die nächste Zerreißprobe auf die junge Linkspartei zu. Völlig ausgeschlossen hat in Kiel niemand irgendetwas.