Das Rot gehört in die Mitte!

Fahne Deutsche Winkelemente: Über einen Jungsozialisten als Verunglimpfer nationaler Symbole und seinen patriotischen Ankläger von der Jungen Union

Marc Reinhardt ist einer, dem der Kampf gegen Rechts ganz besonders wichtig ist. Aus keinem anderen Grund hat der Top-Jungunionist und Schweriner Landtagsabgeordnete im Herbst 2007 seine Partei davon überzeugt, bei weitem mehr Deutschlandfahnen aufzuhängen. Zum Beispiel vor Schulen, in denen die Kinder auch öfter das Deutschland-, das Mecklenburg- und Vorpommernlied singen müssten. Ein gesunder Patriotismus und mehr Empfinden für die deutsche Heimat müssten erwachsen im vaterlandsvergessenen Meckpomm. Denn nur wer sein schwarz-rot-gelbes Selbst ganz feste liebhat, haut andersfarbigen Selbsts nicht auf's Maul beim nächsten Sommerfest in Bützow oder anderswo. Die CDU fand's überzeugend.

Dergestalt bestärkt im humanistischen Kampf bot sich Reinhardt ein halbes Jahr später neuer Anlass, gegen Wegbereiter des Faschismus vorzugehen: Robert Hagen, Nordost-Landeschef einer traditionsgemäß vaterlandslosen Jugendorganisation, hatte ein Deutschlandfähnchen bei "studi-vz" eingestellt, allerdings in ungehörigem Ambiente: Das Winkelement lag in einer Kloschüssel. Wie gefährlich, entwickelte Reinhardt nach sachdienlichen Hinweisen wachsamer Gruschel-Patrioten seine Identitätstheorie: Wenn jetzt einer da reinkackt, dann wird doch alles braun! Insofern erklärte der Demokratieexperte in allen Medien: Wer ein "nationales Symbol" verunglimpfe, habe die "Reihen der Demokraten" verlassen – und müsse zurücktreten!

Zu Kreuze

Heute heißt der Juso-Chef an der Küste Bernd Woldtmann und guckt so windelweich von seinen PR-Fotos, dass man etwaige Statements zu seinem Vorgänger erst gar nicht lesen möchte. Der nämlich muss sich ab morgen vor Gericht verteidigen, obwohl er schon öffentlich zu Kreuze gekrochen ist, sein Bildchen ungehörig genannt und sein Motiv – "Abgrenzung vom Nationalismus" – mit Trunkenheit erklärt hat. Vom Gericht hieß es stirnrunzelnd: Es sei fraglich, ob derlei Kunst- oder Meinungsfreiheit sei. Hagen kann froh sein, nicht in der DDR zu leben. Dort hätte es fünf Jahre Knast für „staatsfeindliche Hetze“ gegeben. Jetzt stehen schlappe drei Jahre Höchststrafe auf „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“. So sieht Fortschritt aus!

Doch Stasi beiseite und Reinhardt sei dank. Macht das Nordost-Beispiel doch klar, wie gefährlich der durch...-äh-...mischte Zustand im Westen eigentlich ist. In Bonn hat sich nämlich fast zugleich ein nicht minder schwerer Fall zugetragen: Am Rand eines Junggrünen-Kongresses ließ sich ein Nachwuchsfunktionär namens Daniel Eichler von einem Springer-Volkskorrespondenten erwischen, wie er mit heruntergelassener Hose über einer Deutschlandfahne stand. Ob es tatsächlich plätscherte, ist ungeklärt. Außer Frage steht aber, dass auch hier ein gefährlicher Kryptofaschist identitätsmäßig verwirrte Jungbürger auf Ausländer hetzen und den rassischen Bürgerkrieg vorbereiten wollte. Doch von einer Anklage hat man nie gehört – und auch nicht von Fahnenapellen vor Schulen!

Nette Jungs

Dabei empfähle sich auch am Rhein dringend die Schwarz-Rot-Gold-Kur; schließlich hat sie sich an der Küste als überaus erfolgreich erwiesen. Bevor nämlich Reinhardt im Frühjahr 2008 begann, dem halben Land Flaggen zu überreichen, hatte dort besorgniserregende Zustände geherrscht. Sebastian Ehlers zum Beispiel, Reinhardts Vorgänger als JU-Chef, war noch im Frühjahr 2007 gelegentlich etwas verwirrt vor lauter „national“ und „demokratisch“ - und grölte in den Reihen von Hansa schon mal „Ruhrpott-Kanaken“. Am schlimmsten aber hatte es Jan Paulenz getroffen. Der Kreischef der Jungen Union Wismar war doch nur der Flagge gefolgt, als er am 1. Mai 2006 mit ein paar hundert netten Jungs durch Rostock zog und ein Jahr später durch Neubrandenburg marschierte. Wie hätte er auch wissen sollen, dass da gar kein Weiß drauf ist – und das Rot in die Mitte gehört? Das fand auch das Schiedsgericht der CDU. Und wies einen Parteiausschluss prompt zurück.

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Geschrieben von

Velten Schäfer

Redakteur „Debatte“

Velten Schäfer studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Afrikanistik in Berlin und promovierte in Oldenburg mit einer sportsoziologischen Arbeit. Nach einem Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland arbeitete er zunächst als freier Journalist. 2014 wurde er erst innenpolitischer und dann Wissenschaftsredakteur beim neuen deutschland. Anfang 2021 kam er zum Freitag, wo er sich seither im Debattenteil als Autor und Redakteur mit Fragen von Zeitgeist und Zeitgeschehen befasst.

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