Der Freiherr räsonniert

Sicherheitspolitik Ein Umbau der Bundeswehr ist dringend nötig. Doch CSU-Minister Guttenberg behindert mit seinen Schnellschüssen die Arbeit „seiner“ eigenen Kommission schon im Vorfeld

Der Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hält derzeit das sicherheitspolitische Berlin in Atem. Kein Festvortrag ist mehr sicher davor, zum Ort einer neuen, grundlegenden Überlegung über die zukünftige Gestalt der Bundeswehr zu werden. Die Spannung entsteht dabei nicht so sehr ob des Wagemuts und der Innovationskraft dieser Beiträge, sondern wegen ihrer schieren Zahl und kurzen Lebensdauer.

Es scheint ein bisschen so, als ob die ganz plötzlich eingetretene Erkenntnis über die Endlichkeit des Staatshaushalts ungekannte Energiereserven freigesetzt hätte. Substanz freilich ist von Konzepten, die in derartigen Situationen entstehen, eher selten zu erwarten.

Ein Gegenstand fast aller dieser kurzatmigen Räsonnements des Ministers ist die Wehrpflicht. Und das hat einen guten Grund: Sie ist das sichtbare Zeugnis für die Ausrichtung der Bundeswehr an längst überholten sicherheitspolitischen Erwägungen. Lang ist die Reihe der Minister, die sich an ihr abgemüht haben, ohne jemals den entscheidenden Schnitt zu tun. Dabei scheint sie so etwas wie der gordische Knoten der deutschen Sicherheitspolitik zu sein, ohne dessen Lösung die Bundeswehr nie wirklich effizient neu ausgerichtet werden kann.

Die Wehrpflicht der Bundesrepublik hat ihren Ursprung in der Idee der territorialen Landesverteidigung. Um im Falle eines Angriffs der Sowjetunion und ihrer osteuropäischen Verbündeten abwehrbereit zu sein, musste die Bundeswehr im Zweifelsfall auf ein großes stehendes Heer und ein militärisch geschultes Reservoir ehemaliger Wehrpflichtiger zurückgreifen können. Dazu kam der Wunsch, nach den Erfahrungen aus der Nazizeit die Entstehung eines militärischen Staats im Staate zu verhindern. Die Wehrpflicht war also integraler Bestandteil einer Idee der Bundeswehr, die spätestens seit 1990 an der weltpolitischen Situation vorbeiging. Ihre hehre staatspolitische Motivation, die Zivilisierung des Militärs durch Einberufung junger Männer aus allen Teilen der Gesellschaft, wurde durch sinkende Einberufungszahlen und die de facto Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst zur leeren Hülle.

Fällt dieses hehre Motiv weg, dann muss genau hingeschaut werden, wie ein derart tiefer Einschnitt in die Freiheit junger Menschen, eine Formulierung des ehemaligen Bundespräsidenten Herzog aus dem Jahr 1995, begründet werden kann.

Die Argumente, die an dieser Stelle regelmäßig vorgebracht werden, lassen sich leicht entkräften. Einzig die Nachwuchsgewinnung bleibt als glaubhafte Begründung übrig. Dass die Rekrutierungs- und damit Attraktivitätsprobleme der Bundeswehr aber den Zwangsdienst hunderttausender junger Männer im Jahre legitimieren könnten, ist eine sehr gewagte Annahme.

Sicherheitspolitisches Problem

Einem Umbau der Bundeswehr zur effizienten Erfüllung ihrer Aufgaben im 21. Jahrhundert steht die Wehrpflicht aus mehreren Gründen entgegen. Dass sie kostspielig ist, dass sie dringend benötigte Ressourcen bindet, ist offensichtlich und scheint auch von Minister Guttenberg erkannt worden zu sein. Anders ließe sich die Verknüpfung seiner Sticheleien mit der plötzlich erkannten Notwendigkeit zum Sparen nicht erklären. Sie ist aber auch ein sicherheitspolitisches Problem.

Die Bundeswehr des 21. Jahrhunderts ist ein Instrument bei der Erfüllung der friedens- und sicherheitspolitischen Ziele und Verpflichtungen Deutschlands im Rahmen seiner internationalen Partnerschaften. Sie trägt dazu bei, die politischen Entscheidungen der Weltgemeinschaft im Ernstfall auch militärisch durchzusetzen. Das ist eine komplexe Aufgabe, die ein großes Spektrum militärischer wie auch ziviler Fähigkeiten braucht und als Teil des demokratischen Diskussionsprozesses jedes Mal aufs Neue begründet werden muss. Die komplexe Sicherheitslage unserer Zeit verlangt in unserer Demokratie eine intensive Debatte, die sich mit der zivilen Krisenprävention ebenso auseinandersetzt wie mit eventuellen Militäreinsätzen.

Eine Bundeswehr ohne Wehrpflicht kann diese Debatte befördern. Wenn die Sicherheitspolitik und die Bundeswehr sich nicht mehr auf den Automatismus der Wehrpflicht berufen können, wächst die Notwendigkeit politischer Begründung. Wer Menschen mit den verschiedensten Qualifikationen dazu bewegen will, in der Bundeswehr zu arbeiten, muss jeden Einsatz noch genauer abwägen und darlegen, muss die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft erhöhen, muss klar machen, dass er das Leben seiner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform nur nach Ausschöpfung aller zivilen und diplomatischen Möglichkeiten aufs Spiel setzt.

Grundlegende Reformen gefragt

Es ist also einerseits begrüßenswert, dass Karl-Theodor zu Guttenberg nun die Frage nach der Wehrpflicht zur Diskussion zu stellen scheint. Bedenklich ist dabei aber die Form. Zu Beginn der Legislaturperiode hatte er angekündigt, zur Strukturreform eine Kommission einzusetzen. Das ist prinzipiell ein guter Gedanke, aber nicht ganz problemlos. Denn es gibt eine lange Tradition der Reformkommissionen, die zwar oft sehr gute Vorschläge gemacht haben, deren praktische Umsetzung aber meist sehr begrenzt blieb. Wären die Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission, der ein großes Spektrum militärischer und ziviler Experten angehörte, umgesetzt worden, hätten wir die meisten der gegenwärtigen Probleme nicht.

Guttenberg macht sich nun mit seinen Schnellschüssen daran, die Arbeit „seiner“ eigenen Kommission schon im Vorfeld zu behindern. Damit wird die so dringend benötigte Grundsatzarbeit unterminiert und jeder noch so sinnvolle Vorschlag von vornherein mit dem Geruch des politischen Opportunismus versehen: Politik nach Kassen- und Stimmungslage. Guttenberg unterstützte zu Beginn seiner Amtszeit die sicherheits- und fiskalpolitische Dummheit des sechsmonatigen Wehrdienstes, gebar kurze Zeit später die damit absolut unvereinbare, weil enorm kostspielige Idee, internationale Militäreinsätze müssten für Deutschland zum Regelfall werden, und scheint erst jetzt, fast ein Jahr nach dem Amtsantritt der Regierung den Ernst der haushaltspolitischen Lage eingesehen zu haben.

Herrscher ohne Haus

Im Interessengeflecht zwischen den Anforderungen eines kohärenten Regierungshandelns und den Ansprüchen aus der Bundeswehr wird er nun einen schweren Stand haben. Er muss sich das Vertrauen, nicht zuletzt in seinem eigenen Haus, jetzt neu erarbeiten. Denn wenn er es ernst meint mit den Reformen, dann wird er eine große Standfestigkeit brauchen, um die Vorschläge „seiner“ Kommission auch tatsächlich umzusetzen.
Der Parforceritt Guttenbergs in den letzten Wochen hat sehr oft demonstriert, dass er die Diskussion in seinem eigenen Haus und in dessen sicherheitspolitischem Umfeld nicht kennt oder ignoriert. Will er tatsächlich grundlegende Reformen durchsetzen, geht dies aber nicht gegen seinen eigenen Apparat. Das Festhalten an der Wehrpflicht ist in diesem Kontext ein zentraler Teil des Problems. Er steht aber auch für zahlreiche weitere Herausforderungen. Man denke zum Beispiel an die grundlegenden Veränderungen, die mit der bündnis- und fiskalpolitisch wünschenswerten engeren Bindungen an die Partner in EU und NATO einhergehen. Karl-Theodor zu Guttenberg hat hier das Reformpotenzial, das die politische Lage eigentlich bietet, leichtfertig auf dem Altar der Tagespolitik gefährdet.

Es ist für uns deshalb umso nötiger, auf nachhaltige Reformen in der Bundeswehr zu drängen und tragfähige und glaubwürdige Ideen vorzulegen. Von zu Guttenberg und der Bundesregierung sind sie auf absehbare Zeit nicht mehr unbedingt zu erwarten.


Omid Nouripour, Jahrgang 1975, rückte einst für Joschka Fischer in den Bundestag nach und ist seit November 2009 sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen sowie Obmann im Verteidigungsausschuss. Sein Beitrag erschien zuerst im Forum des Freitag-Kooperationspartners Progressives Zentrum.

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