Wer sich in diesen Tagen im Fall Dieter Althaus an Nordkorea erinnert fühlt, liegt gar nicht so falsch. Der Vergleich mit den immer wieder aufflackernden Spekulationen über den Gesundheitszustand Kim Jong Ils steht natürlich etwas schief in der politischen Landschaft. Und es mag auch Vorbehalte geben, überhaupt solche Mutmaßungen über einen erkrankten Politiker anzustellen, der sich dagegen nicht zur Wehr setzen kann.
Blogger Mehmet Goldkorn überSex und Politik in Thüringen
Aber genau darin liegt ja das Vergleichbare: Dieter Althaus' Nichtexistenz als öffentliche Figur, das Verschwinden aller aktuellen Bilder, von der die Politik heute mehr denn je lebt, das stellvertretende Verlautbaren durch einen Stab von engen Mitarbeitern. Und immer dieselbe Frage: Wie geht es ihm wirklich?
Kandidatenkür ohne Kandidat
Die Thüringer CDU hat sicher nicht an Kim Jong Il gedacht, als sie sich in dieser Woche dazu entschlossen hat, Dieter Althaus zum definitiven Rückkehrer zu erklären. „Ich trete an“, lautet der letzte Satz jener dürren schriftlichen Erklärung, die die Landespartei verbreitet. Auch auf eine Unterschrift unter einem Papier, dass die Bereitschaft zur Kandidatur für die Landesliste in Abwesenheit bekräftigt, wird immer wieder verwiesen – um so Erwartungen zu zerstreuen, der amtierende Ministerpräsident könnte wenigstens am 14. März zur Kandidatenkür auftreten. Man malt sich in Gedanken aus, wie diese Veranstaltung abläuft: Wo sonst Konfetti regnet und „We are the Champions“ erklingt, wird Betretenheit herrschen, auch ehrliche Sorge um den unsichtbaren Kandidaten – und es wird laut die Frage beschwiegen werden, was das jetzt alles für die Thüringer CDU heißen mag.
Hinter Althaus gibt es offenbar niemanden in der Landespartei, der einer Kandidatur gewachsen wäre. Als vor ein paar Wochen hinter vorgehaltener Hand über die Notwendigkeit eines Planes B getuschelt wurde, beeilte man sich, die Debatte zu beenden. Beobachter mussten den Eindruck bekommen, dies sei nicht das Resultat eines deutlichen Machtsignals aus der Rehaklinik am Bodensee, sondern eher auf das Eingeständnis eigener Profillosigkeit zurückzuführen. Auch aus der Bundes-CDU ist kein Versuch bekannt geworden, in einen Vorgang einzugreifen, der sich auch auf die Bundestagswahl auswirken kann. Stattdessen geht die Partei auf Distanz: Was in Thüringen passiere, liege „in alleiniger Verantwortung“ der Landes-CDU.
Mäßigungsdruck im Wahlkampf
Der Wahlkampf im Freistaat hat längst begonnen. Das ist allein schon eine Zeitfrage, denn vor den Landtagswahlen im Spätsommer finden Anfang Juni parallel zur Europawahl die Kommunalwahlen statt. Die Konkurrenz von SPD und Linkspartei hat jetzt mehrfach erklärt, den Unfall von Althaus nicht zum Thema zu machen – womit die Ankündigung bereits ihr Verfallsdatum erreicht hat. Es handelt sich um inszenierte Rücksichtnahme. Niemand will sich gern sagen lassen, Althaus' Schicksal ausgeschlachtet zu haben. Dies auch vor dem Hintergrund von Umfragen, in denen sich eine Mehrheit für die Rückkehr von Althaus ausspricht. Die in anderen Wahlkämpfen übliche Abrechnung mit der Politik der bisher regierenden Partei könnte ebenfalls unter einem gewissen Mäßigungsdruck stehen. Und abgesehen davon sollte man erst einmal abwarten, ob der auffällig kurze Prozess gegen Althaus und die Frage, ob ein deutlich angeschlagener Politiker noch die Stärke besitzt, ein Bundesland zu führen, wirklich ausgeklammert bleiben.
Was das alles am Ende für das Rennen der drei im Erfurter Landtag sitzenden Parteien bedeutet, entzieht sich jeder Prognose. Im Januar stand die seit fast zehn Jahren allein regierende CDU vier Prozent schlechter da, als bei der Landtagswahl 2004. Ob FDP und Grüne ins Parlament zurückkehren können, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen. Und doch zeichnet sich eine Vorentscheidung über den Ausgang der Wahlen bereits ab – und das hat gar nichts mit Dieter Althaus und seinem Unfall zu tun.
Matschies Bedingung stützt Althaus
Am Wochenende kommen die Thüringer Sozialdemokraten zu einem Landesparteitag in Gera zusammen, um die Kandidatenliste für die Wahl im August zu beschließen. Der als gesetzt geltende Spitzenkandidat Christoph Matschie will die Nominierung offenbar nutzen, um die Befürworter einer rot-roten Koalition ohne Vorbedingungen endgültig kaltzustellen. Obwohl seine Partei in Umfragen mehr als zehn Prozent hinter der von Bodo Ramelow angeführten Linken liegt, hat Matschie die Losung ausgegeben: keine rot-rote Koalition ohne SPD-Ministerpräsident. Gegenspieler wie der frühere Innenminister Richard Dewes bekamen Matschies wachsende Hausmacht zu spüren. Auch der vom Landesvorstand beschlossene Listenvorschlag ist eher ein Dokument der Ausgrenzung als der Versöhnung der beiden Flügel: Matschies Gegenspielerin in der Fraktion, die Landtagsabgeordnete Dagmar Becker, steht auf dem Listenplatz 22, der Sozialpolitiker Walter Pilger erst auf Platz 36. Und das in einer Partei, die bei der vergangenen Wahl nur 15 Mandate erreichte.
Matschie hat sich trotz angekündigten Widerstandes optimistisch gezeigt, nach dem Parteitag in Gera „organisierte Mehrheitsverhältnisse“ zu haben. Eine große Koalition wird damit wieder ein Stück wahrscheinlicher – geführt vom derzeit unsichtbaren Dieter Althaus.
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