Dimension des Elends

Hessens Linke Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen, die hessische Linke könnte es den Einzug in den Landtag kosten: Kurz vor der Neuwahl mehren sich Austritte aus der Partei

„Massenaustritte erschüttern SPD“ - solche Schlagzeilen waren vor fünf Jahren keine Seltenheit. Die Politik der Sozialdemokraten unter Kanzler Gerhard Schröder ließ Tausende Mitglieder der Partei den Rücken kehren. Manche suchten nach Alternativen – und bald entstand die Wahlalternative, die später mit der PDS zur Linkspartei fusionierte. Heute liest man in Zeitungen, die schon mit Hingabe den rot-grün-roten Bündnisversuch torpediert haben, „Massenaustritte“ würden deren hessischen Landesverband erschüttern: „Der Linken laufen die Mitglieder davon“.

Was sich vergleichbar anhört, muss dies nicht unbedingt sein. Schon allein zahlenmäßig spielen sich die Abgänge in weit auseinanderliegenden Sphären ab. Unter dem Strich hat die Linkspartei in Hessen im vergangenen Jahr deutlich zugelegt, die Austritte zählen lediglich in den Dutzenden. Und auch die Gründe sind keineswegs dieselben. Dennoch gibt es ein verbindendes Element: Enttäuschung. Wollten seinerzeit langjährige Sozialdemokraten den sozialpolitischen Paradigmenwechsel der Schröder-SPD nicht länger mitmachen, herrscht in Hessens Linker heute vor allem Ernüchterung über den inneren Zustand der Partei.

In dieser Woche hat mit Pit Metz erstmals ein auch bundesweit bekanntes Mitglied die Partei verlassen. Er nehme die „innere Verfasstheit“ des hessischen Landesverbandes „als unheilbar desolat wahr“, heißt es in seinem Austrittsschreiben. Einen Weg aus dieser Krise sehe er nicht, sondern sei vielmehr „vollkommen ratlos“. Es sind dabei offenbar nicht so sehr explizit politische Differenzen, die Metz zu seinem Abschied motivierten. Die Gründe liegen, den Eindruck jedenfalls hinterlässt das Schreiben, eher „auf der menschlichen Ebene“.

Konflikte um Posten und Pfründe

Zum „Panorama des Elends“, das Metz erblickt haben will, gehören auch Vorfälle, die schon in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand öffentlicher Erregung waren. Seit Wochen wird über Streitereien in dem Landesverband berichtet. Dass die Frontverläufe völlig unübersichtlich sind, hat die Medien nicht davon abgehalten, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen. Zum Verständnis der Konflikte trägt auch nicht gerade bei, dass Kritiker des Vorstandes von links mit Kritiker eher konservativer Provinienz in einen Topf geworfen werden. Der Spiegel zum Beispiel schreibt von einem „Konflikt zwischen basisdemokratisch orientierten Mitgliedern und großen Teilen der Parteiführung sowie der Landtagsfraktion”, denen vorgeworfen wird, „Inhalte zugunsten von Eigeninteressen und Machtpolitik” aufgegeben zu haben. Anderswo ist von persönlichen Differenzen die Rede. Und wer das Zusammengehen von PDS und Wahlalternative lange genug verfolgt hat, wird auch Nachwehen des Fusionsprozesses als Ursache anführen. Zudem stehen die Kandidaturentscheidungen für die Bundestagswahl bevor, was neuerliche Konflikte um Posten und Pfründe erwarten lässt.

Es gibt wenig Anlass, die Probleme der Linken in Hessen kleinzureden. Aber stimmt auch die Dimension, in der sie geschildert werden? In der Öffentlichkeit wird der Streit bisweilen mit wirksamen Schlagwörtern wie „Stasi-Seilschaften” geführt, was von den Medien begierig aufgegriffen wurde und den Landesvorstand mehrfach zu Dementi veranlasste. Kurz vor den Neuwahlen wird die Partei das Bild einer völlig desolaten Partei, der die Mitglieder davonlaufen, kaum noch korrigieren können.

Organisierte Parteiaustritte kurz vor der Landtagswahl?

Ob es zu den von Pit Metz unter anderem beklagten „Verschwörungstheorien“ gehört, wenn Landeschef Ulrich Wilken inzwischen die Frage aufwirft, „in wessen Interesse” es eigentlich geschehe, „wenn kurz vor einer Landtagswahl Parteiaustritte offensichtlich organisiert werden“, sei einmal dahingestellt. In Umfragen liegt die Linke in Hessen aber bei alles andere als sicheren fünf Prozent, Anfang 2008 übersprang man die Hürde ins Parlament mit 5,1 Prozent nur äußerst knapp.

Gelingt es der Linkspartei nicht, am 18. Januar erneut in den Landtag einzuziehen, sind neuerliche Streitereien programmiert. Vielleicht gehen sogar abermals einige Dutzend Genossen von Bord. Die Medien werden sich dann wohl nicht mehr in derselben Weise dafür interessieren.

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