Die Lounge-Atmosphäre ist gewollt. House-Musik klingt durch das Foyer der Hamburger Kammerspiele, unweit der Universität. In den hinteren Räumen stehen große, weiße Sofas, Kellnerinnen in Uniformen drängen sich durch die gut 200 Gäste und verteilen Freigetränke an alle, die an der Tür ein rotes Armband bekommen haben.
Danial Ilkhanipour steht derweil an der Eingangstür und begrüßt die Gäste. Heute ist ein erster Stimmungsmesser, wie er im Bezirk ankommt. Seit einigen Tagen schon hängen die Plakate mit seinem Porträt in Hamburg-Eimsbüttel, dazu die Einladung, heute Abend hier an seinem Wahlkampfauftakt teilzunehmen. Er scheint zufrieden zu sein: „20 wären peinlich, ab 60 ist es in Ordnung, wir haben je
r haben jetzt so 140 bis 150 gezählt“, sagt er.Dass es so gut laufen würde, war nicht selbstverständlich. Es ist gut ein halbes Jahr her, da wurde aus dem damals weitgehend unbekannten Vorsitzenden der Hamburger Jusos eine bundesweit Aufsehen erregende Figur – und das zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. In der SPD brachen Mitte November die Flügelkämpfe wieder offen hervor. Franz Müntefering hatte gerade Kurt Beck als SPD-Chef abgelöst. Der ehemalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement trat beleidigt aus der Partei aus, weil er sich in einem Ordnungsverfahren eine Rüge abgeholt hatte.Ein Fall von Unterwanderung?In diesem Klima gewann Ilkhanipour die entscheidenden Abstimmung über die Nominierung des SPD-Kandidaten für die Bundestagswahl im Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel gegen den Mandatsinhaber, den prominenten Partei-Linken und Außenpolitikexperten Niels Annen – mit einer Stimme Vorsprung. Das pikante daran: Ilkhanipour hatte seine Kandidatur erst erklärt, nachdem alle Delegierten, die laut Satzung den Kandidaten bestimmen, bereits gewählt worden waren.Sofort wurden Spekulationen laut. Waren nicht überraschend viele Jusos unter den Delegierten? Und war Ilkhanipour nicht früher Mitarbeiter von Johannes Kahrs, dem Sprecher des rechten Seeheimer Kreises der SPD und damit natürlicher Feind des Linken Annen? War das, was in Eimsbüttel passierte also kein Ausdruck demokratischer Willensbildung, sondern eine generalstabsmäßig organisierte Unterwanderung des als links geltenden SPD-Kreisverbandes Eimsbüttel durch konservative Kräfte?Rote Bastion vor dem FallFakt ist: Formaljuristisch kann man Ilkhanipour nichts vorwerfen. Doch das hält einige in der Hamburger SPD nicht ab, massiv Stimmung gegen den eigenen Kandidaten zu machen. Nicht nur an der Basis rumort es, denn es steht viel auf dem Spiel. Der Wahlkreis Eimsbüttel ist seit 1957 durchgehend rot. Er ist das, was man gemeinhin eine SPD-Hochburg nennt. Viele davon gibt es derzeit nicht mehr. Umso größer ist die Angst bei Mitgliedern und Funktionären, dass auch noch diese rote Bastion fällt. Und dafür gibt es bereits Anzeichen.In Internetforen rufen SPD-Mitglieder offen dazu auf, diesmal ihre Erststimme einer anderen Partei zu geben. Eine Gruppe Sozialdemokraten hat sich bereits zur „Initiative Maulwurfsfreies Eimsbüttel“ zusammengeschlossen. Sie wollen in ihren Ortsverbänden Anträge einbringen, den Wahlkampf Ilkhanipours nicht zu unterstützen.Besonders der Bezirk Stellingen begehrt auf: In der Mitgliederzeitung des Ortsverbands wird die Wahl Ilkhanipours mit dem Kapp-Putsch verglichen, einem Umsturzversuch rechter Militärs im Jahr 1920 gegen die junge Weimarer Republik. Auf der Webseite des Bezirksverbandes kommen dann schließlich zwei ehemalige Hamburger Bürgermeister zu Wort: Ortwin Runde warnt unter dem Verweis auf Eimsbüttel: „ein demokratisches Gemeinwesen kann undemokratische Verfahren nicht akzeptieren“. Sein Amtsvorgänger Henning Voscherau wird noch deutlicher. In einem Video spricht er von Täuschung und Betrug und warnt: „Sollte deshalb sein Wahlkreis nicht an ihn, sondern wie bei Christian Ströbele in Berlin an einen Grünen fallen, dann wird man wohl noch ganz anders mit ihm reden.“Mantel des SchweigensSolche Töne sind in den Kammerspielen nicht zu hören. Die Eimsbütteler SPD übt sich in Geschlossenheit – und wird dabei prominent unterstützt. „Man muss keinen Mantel des Schweigens über die Geschichte legen“, sagt Michael Neumann, Fraktionschef der SPD in der Hamburger Bürgerschaft in einem Grußwort – und vermeidet dann tunlichst jedes weitere Wort über die Umstände der Nominierung. Es gebe schließlich Zeit für Streit und Zeit für Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, „und das ist immer die CDU“.Mehr Beifall bekommt Peter Schulz. Der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs erzählt aus seiner Zeit als Hamburger Juso. Damals, Anfang der fünfziger Jahre, war die Wiederbewaffnungsdebatte in vollem Gange. Schulz war dafür, die meisten Jusos allerdings dagegen. Also organisierte Schulz kurzfristig eine Abstimmung und sorgte dafür, dass seine Unterstützer auch wirklich auftauchten. Ergebnis: Die Hamburger Jusos sprachen sich dann – für Schulz nicht ganz überraschend – für eine Wiederbewaffnung der BRD aus. Seinerzeit ein kaum vorstellbares Votum. „Man hat mir damals stalinistisches Verhalten vorgeworfen“, so Schulz, „das fand ich aber übertrieben“.Schulz' Botschaft ist klar: Solche Spielchen gehören auch zur Politik. Wir haben das früher so gemacht, jetzt machen sie es halt heute auch so.Grüne Konkurrenz: Krista SagerIlkhanipour hört sich die Geschichte gerne an. Er weiß, dass Schulz sein Joker ist, um die Partei wieder um sich zu sammeln. Und das ist auch bitter nötig. Denn die Konkurrenz in Eimsbüttel ist hart. Im Januar hat die ehemalige Grüne Fraktionschefin im Bundestag, Krista Sager, ihre Kandidatur für Eimsbüttel angemeldet. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einem SPD-Kandidaten die nötigen Stimmen für das Direktmandat abnimmt. Schon 1994 kostete sie die Sozialdemokraten einen Wahlkreis.Ilkhanipour jedoch zeigt sich von der Konkurrenz unbeeindruckt: „In Hamburg gewinnen wir in der Regel alle sechs Wahlkreise“, ruft er am Ende seiner Rede ins Publikum. Dann gibt es Schnittchen. Die Harmonie will sich an diesem Abend schließlich niemand kaputt machen lassen – wer weiß wie lange sie noch anhält.