Ein neuer Atomkonsens droht

Abschalten Bitte nicht schon wieder: SPD und Grüne überlegen, einem halbherzigen Atomausstieg zuzustimmen. Damit würden sie nicht nur das zügige Ende der Atomkraft aufs Spiel setzen

Heute war der letzte große Tag der Regierung, jetzt blicken alle auf die Opposition: Wird sie dem schwarz-gelben Atomausstieg in der geplanten Form zustimmen? SPD und Grüne sind durchaus aufgeschlossen, Bundeskanzlerin Merkel wirbt seit Tagen um einen parteiübergreifenden Konsens. (Die Linkspartei wird in dem Zusammenhang immer verschwiegen, vielleicht weil sie so schnell wie keine andere Partei aussteigen will.) Doch eine Zustimmung zum Merkel-Ausstieg würde SPD und Grüne nicht nur Wähler kosten. Gleichzeitig setzen sie damit auch das zügige Ende der Atomkraftnutzung aufs Spiel.

Nun hat also das Kabinett entschieden. Der Gesetzesentwurf kommt, wie er kommen musste. Was drin steht, hatte die Bundesregierung bereits am letzten Freitag ausgeplaudert: Acht Reaktoren bleiben vom Netz (einer im Standby-Modus), von den übrigen neun dürfen die meisten noch mehr als zehn Jahre weiterlaufen.

Bemessen an den Reststrommengen, die die Reaktoren noch produzieren dürfen, bevor sie abgeschaltet werden, entspricht das etwa dem rot-grünen „Atomkonsens“ aus dem Jahr 2000. Was spricht also dagegen, dass SPD und Grüne dem schwarz-gelben Ausstiegsplan zustimmen?


Erstens ist nach Fukushima nicht vor Fukushima. Und der rot-grüne Ausstieg war schon damals ein fauler Kompromiss, der sich an den Vorstellungen der AKW-Betreiber orientiert hat. Durch die Festlegung auf Reststrommengen gab es kein festes Abschaltdatum, die Konzerne konnten tricksen und ihre Reaktoren in eine schwarz-gelbe Regierungszeit retten. Jetzt gibt es für jedes AKW ein festgelegtes Ausstiegsdatum. Das ist gut, aber es reicht nicht.

Zweitens ist der neue Fahrplan genauso halbherzig wie der alte, denn er ist zu langsam. Atomkraft bis 2022? Zahlreiche Studien zeigen, dass es schneller geht – vom Öko-Institut über die Grünen bis hin zur Ethikkommission der Bundesregierung.

Drittens kann der Atomausstieg rückgängig gemacht werden. Weil acht Reaktoren vom Netz sind, dürfen die übrigen umso länger laufen. Und das wird dazu führen, dass in zehn Jahren eine neue Diskussion über den angeblich nicht zu schaffenden Zeitplan ins Haus steht.


Warum warten SPD und Grüne nicht auf die nächste Legislaturperiode und beschließen – falls sie die Mehrheit bekommen – einen schnelleren Ausstieg? Die Grünen fordern ein Abschalten bis 2017, die SPD dürfte auch für ein zügiges Ende zu haben sein. Atomkraft war schließlich das einzige Thema, mit dem sie im letzten Bundestagswahlkampf überhaupt punkten konnte.

Beide Parteien haben Angst, als Politikverweigerer dazustehen. Doch diese angebliche Schmollecke wird von den Medien herbeigeredet. Als die Grünen gerade zu ihrem Höhenflug in den Umfragewerten ansetzten, wurden sie als „Dagegen-Partei“ diffamiert. Genutzt hat es der Union nichts. Denn bei den Wählern zählen noch immer die Argumente, und keine platten Parolen. Dagegensein ist schließlich nicht per se schlecht.

Stutzig machen sollte die Grünen auch, dass Angela Merkel einen Konsens sucht. Das Gerede von der „Dagegen-Partei“ hat nicht funktioniert. Nun möchte sie den Grünen und auch der SPD das Wahlkampfthema Atomkraft wegnehmen.


Gleichzeitig würde den Parteien eine Zustimmung zum Merkel-Ausstieg auch Wählerstimmen kosten. Die Organisation Campact hat innerhalb weniger Tage 60.000 Unterschriften gesammelt, die von SPD und Grünen ein Nein fordern. Die Initiative Ausgestrahlt hat gestern einen Offenen Brief an die Grünen geschickt. Darin warnt sie vor neuen Brüchen mit der Anti-AKW-Bewegung.

In den letzten Jahren waren auf den großen Anti-Atom-Demos immer viele grüne Fahnen zu sehen. Wenn die Partei nun einen halbherzigen Ausstieg mitträgt, werden die Fahnen verschwinden, die Leute aber nicht. Dann traut sich niemand mehr, die Grünen-Fahne zu tragen.


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