Etikettenschwindel

Mindestlohn-Debatte Die Leiharbeiter werden nicht ins Entsendegesetz aufgenommen. Die von der Koalition beschlossene Ersatzregelung lässt jedoch eine interessante Option erkennen

Mindestlöhne sollten Löhne sein, von denen man gerade so leben kann. 630.000 Menschen mit Voll- oder Teilzeitjobs bezogen Mitte 2008 zusätzlich zu ihrem Lohneinkommen Arbeitslosengeld II. Allein in der Leiharbeitsbranche, dem Gast- und Verkehrsgewerbe sowie den Reinigungsdiensten arbeiten ein Drittel der „Aufstocker“. Die Dunkelziffer derer, die diese Leistung aus Scham oder wegen eines zu hohen Einkommens des Lebenspartners nicht beantragen wollen oder können, darf großzügig geschätzt werden.

Da ist es normal, dass der Gedanke an Mindestlöhne aktuellen Umfragen zufolge selbst tief in der CDU-Wählerschaft auf Sympathien stößt. Was liegt da neun Monate vor der Bundestagswahl näher, als öffentlichkeitswirksam schnell noch weitere Mindestlöhne zu schaffen? Zumal die der Wirtschaft nicht wirklich wehtun, da sie weitgehend wirkungslos bleiben.

Für fünf weitere Branchen könnte es nach dem Willen der Koalition demnächst allgemein verbindliche Mindestlöhne geben. Die Entsorgungswirtschaft, die Pflegedienste, die Textildienstleister, das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie die Bergbau-Spezialarbeiter sollen in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Dies ist Voraussetzung dafür, dass bereits ausgehandelte Tarif-Mindestlöhne für allgemein verbindlich erklärt werden.

Ohne den Erfolg für die genannten Branchen zu ignorieren, darf man jedoch feststellen: Die wichtigste Branche, die eine branchenübergreifende Stellschraube für die übrigen Sektoren darstellt, blieb außen vor. Dem Druck von CDU und Wirtschaftsverbänden folgend, war eine Aufnahme der Zeitarbeitsbranche ins Entsendegesetz nicht möglich. Stattdessen strebt SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz für diesen Bereich nun eine Regelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) an. Per Regierungsbeschluss sollen auf diese Weise Lohnuntergrenzen definiert werden, die nur noch in einer bestimmten Spannbreite von den Stammarbeiter-Tariflöhnen der Entleihunternehmen abweichen dürfen.

Die ersten Reaktionen zeigen, wer sich als Gewinner fühlen darf. Während für die SPD im Wahlkampf eine solche Lohnuntergrenze als Mindestlohn durchgeht, sah die Union den Mindestlohn genau damit verhindert. "Der Mindestlohn, so wie ihn die SPD gefordert hat, wird nicht kommen", erklärte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Und Unionsfraktionschef Volker Kauder stellte klar, die Festlegung der Lohnuntergrenze werde sich am niedrigsten Tariflohn der Branche orientieren: „Das ist momentan der Tarifvertrag der Christlichen Gewerkschaft“.

Nach diesem Tarifvertrag kann der Stundenlohn für Leiharbeiter in den ersten sechs Monaten um bis zu 9,5 Prozent gesenkt werden – de facto der Normalfall, da das durchschnittliche Beschäftigungsverhältnis in den untersten Entgeltgruppen nicht länger als drei Monate dauert. Aus bereits unchristlichen 7,21 Euro in der Stunde Stunde können somit 6,53 Euro werden - verglichen mit dem vom Gewerkschaftsbund DGB im Jahr 2006 mit den beiden großen Zeitarbeitsverbänden IGZ und BZA ausgehandelten Tarifvertrag in der untersten Lohngruppe ein Unterschied von fast einem Euro pro Stunde.

Der in Aussicht gestellte „Mindestlohn“ für Leiharbeiter ist damit zwar ein Etikettenschwindel, weil er die Billig-Tarife der Christlichen Gewerkschaft festschreibt. „Profitieren“ werden davon nur die rund zehn Prozent der Beschäftigten, die in der Branche bisher gar keinen Tarifvertrag geltend machen können. Noch dazu stärkt es diese Christliche Gewerkschaft, die ihren Namen nicht verdient.

Auf lange Sicht gibt es mit der Fixierung durch das AÜG aber dennoch einen kleinen Hoffnungsschimmer. Denn der einmal eingeschlagene Weg würde es, anders als beim Entsendegesetz formal möglich, zukünftig erlauben, eine Blockade der Arbeitgeberverbände auszuschließen. Eine Option ist dies - freilich nur dann, wenn sich zukünftig eine Regierungsmehrheit für diesen Schritt bereit findet.

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