Alte Fahrensleute der Umweltbewegung beklagen gern einmal die verbreitete „Seeblindheit“ – das Unwissen an Land über die Bedeutung des Meeres. Dabei bedecken Ozeane und Meere drei Viertel der Erdoberfläche und was auf ihnen geschieht, wirkt sich stark auf das Weltklima aus. Das gilt nicht zuletzt für die Seefahrt.
Einerseits belasten Schiffe von allen modernen Verkehrsmitteln die Umwelt am wenigsten. Gemessen an den gefahrenen Tonnenkilometern kreuz und quer über den Globus ist die Ökobilanz hervorragend. Doch es gibt ein andererseits: Tag für Tag kreuzen 37.836 Riesenfrachter, Fischfangschiffe und Luxusliner über die Weltmeere – die meisten davon sind Dreckschleudern. Sie jagen Millionen Tonnen Kohlendioxid durch den Schornstein, i
rnstein, im Ballastwasser gelangen fremde Organismen in neue Lebensräume und immer mehr unverrottbarer Plastikmüll fällt von Bord. In absoluten Zahlen gehören Tanker und Containerriesen zu den größten Umweltverschmutzern auf dem Globus.Der Grund ist der billige Treibstoff für die PS-starken Schiffsmotoren. Er wird aus Dieselöl und Schweröl gemischt. Schweröl fällt bei der Raffinierung von Erdöl als Abfallprodukt an. Diese gummiartige, bei Verbrennung stark rußende Masse wäre eigentlich Sondermüll. Daher wurde dieser Treibstoff für Kraftwerke und Fahrzeuge längst aus dem Verkehr gezogen. An Land ist nur ein minimaler Schwefelanteil von 0,001 Prozent erlaubt – in der Seeschifffahrt sind laut der Internationalen Maritimen Organisation IMO 2,7 Prozent üblich, der 2.700-fache Wert!Ein Teelöffel ÖlSeit 1959 kümmert sich die IMO von London aus um die Sicherheit in der Seefahrt. Seit den siebziger Jahren versuchen die „Vereinten Nationen des Meeres“ auch, die Umwelt vor Verschmutzung zu schützen. Dabei sieht man sich auf gutem Kurs. Trotz des rasanten Wachstums der Schifffahrt hätten beispielsweise die Ölunfälle um 85 Prozent abgenommen, betont der Grieche Efthimios Mitropoulos, Generalsekretär der IMO: „Tanker verlieren weniger als einen Teelöffel Öl, wenn sie fünf Millionen Liter transportieren.“ Für die Zukunft soll auch der Ausstoß von Schwefel und Treibhausgasen stärker reguliert werden.Für eine frische Brise auf hoher See könnte die Weltgemeinschaft dieser Tage sorgen. Was auf dem Klimagipfel in Kopenhagen global noch misslang, soll nun mit einem Kopenhagen 2.0 zumindest für drei Viertel der Erdoberfläche gelingen. 167 Mitgliedsländer der IMO treffen sich in London zur richtungweisenden Verhandlungsrunde: Es geht um neue Umweltnormen.In einigen Regionen tut sich bereits etwas. Seit Jahresanfang dürfen Schiffsabgase in allen EU-Häfen nur noch 0,1 Prozent Schwefel enthalten. Das ist technisch leicht machbar, weil Schiffe statt mit dem dreckigen Schiffsdiesel auch mit hochwertigen, teureren Kraftstoffen betrieben werden können. Ab Juli wird in den „Emissions-Überwachungsgebieten“ Nord- und Ostsee nur noch Schweröl mit 1,0 Prozent Schwefelgehalt gestattet (bisher 1,5 Prozent). Ähnliche Sonderzonen sind vor der nordamerikanischen Küste und im Mittelmeer geplant.Rekordzahlen trotz KriseNichtregierungsorganisationen fordern natürlich mehr. Auch die EU-Umweltkommission hält die globalen IMO-Normen für „schlicht unzureichend“. Angesichts des weltweit rasant wachsenden Seeverkehrs würde dadurch die Luftverschmutzung nicht verringert, sondern nur deren Zunahme verlangsamt. Selbst im wirtschaftlichen Krisenjahr 2009 wurde im Weltschiffbau mit 3.477 abgelieferten Schiffen erneut ein neuer Rekord aufgestellt. Mangels Straßen und Schienen wird die blaue Autobahn für ökonomisch rasch aufstrebende Länder wie China, Nigeria oder Brasilien immer wichtiger.In London könnte nun erstmals ein globales Abkommen über Schiffsabgase geschlossen werden. Technisch ist Vieles machbar: Spezielle Schiffsrümpfe könnten Treibstoff sparen helfen, emissionsarmes Flüssiggas und Landstrom im Hafen schmutziges Schweröl ersetzen. Der finnische Motorenhersteller Wärtsilä und die niedersächsischen Umwelttechniker von Couple Systems haben die ersten Frachter mit Schwefel-Waschanlagen ausgestattet. Die Palette reicht von optimierten Propellern – so der Fachbegriff für Schiffsschrauben – bis zum Segelantrieb. Die Hamburger Firma Skysails testet seit 2008 Zugdrachen auf Frachtern als Windantrieb.Je dreckiger, desto billiger„Doch wenn sie wirklich was bewegen wollen, müssen sie über die IMO gehen“, warnt ein Sprecher des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg vor europäischen Alleingängen. Die deutsche Behörde will in London Flagge zeigen. Unterstützung kommt dabei vom Verband für Schiffbau und Meerestechnik, der bislang nicht als grüner Ritter aufgefallen war. Doch nun wittert der Verband neue globale Märkte für die Werften und ihre bundesweite Zulieferindustrie. Die verschärfte Umweltdiskussion in der Schifffahrt gehe in „die richtige Richtung“, lobt ein Sprecher.Indessen gehen beispielsweise einige Häfen und Reederverbände lieber auf Schleichfahrt. Langsamer Fahren reicht manchem (in der Krise) als Umwelthilfe aus. Schon ein um wenige Knoten vrmindertes Tempo spart exponentiell viele Treibstoffkosten ein. Eine weitere Bruchstelle in der IMO gibt es zwischen Industriestaaten sowie Schwellen- und Entwicklungsländern. Für Schiffstreibstoffe gilt die Faustformel „je dreckiger, desto billiger“ – und so kreuzen notgedrungen die ärgsten Sünder vor den Küsten Asiens, Afrikas und Südamerikas. Diese Länder wollen verständlicherweise nicht die ökologische Zeche für die reichen Industriestaaten zahlen.