Millionen Wähler vergrault, Mitgliederzahl geschrumpft, häufig wechselnde Vorsitzende – die Liste der sozialdemokratischen Probleme ist lang. Nach der Wahlpleite vom Herbst soll nun alles anders werden. Doch die einen nehmen der aktuellen Spitze die Erneuerungspose nicht ab, andere haben etwas dagegen. Zum Beispiel die Sache mit dem Afghanistankrieg und der Basisdemokratie: In der Partei ist es das Thema, das manchen nicht gefällt. Außerhalb grassiert die Skepsis, es gehe der SPD um taktische Winkelzüge zur Aufpolierung ihres beschädigtem Image.
Am 22. Januar soll im Willy-Brandt-Haus mit Experten über Afghanistan beraten werden, drei Tage später wird Altkanzler Helmut Schmidt erwartet, der eine Beteiligung an dem Krieg ablehnt. Dann, so ist es geplant, wird der Parteivorstand eine Beschlussvorlage formulieren, diese soll den Gliederungen der SPD zur Diskussion gestellt werden und das Ergebnis später in eine Neufassung einfließen.
All das geschieht vor dem Hintergrund der Londoner Afghanistankonferenz Ende Januar – und in Zeiten, in denen auch der freiherrliche Verteidigungsminister dafür plädiert, einen konkreten Termin für den Beginn des Abzugs zu nennen. Im Übrigen ganz auf Linie des früheren sozialdemokratischen Außenministers, der eine solche Perspektive bereits im Wahlkampf gefordert hatte, ohne dass es der SPD auch nur einen Deut genutzt hätte.
Fragen von Krieg und Frieden
So wie seinerzeit wird nun auch wieder der Vorwurf erhoben, Gabriel und Nahles gehe es vor allem darum, innenpolitischen Nutzen aus einer außenpolitischen Abgrenzung zu ziehen. Aber warum sollte nun gelingen, was vor drei Monaten scheiterte? Warum ausgerechnet in Zeiten, in denen auch das schwarz-gelbe Parteienlager neue afghanistanpolitische Töne anschlägt – von einem baldigen Abzug der Bundeswehr über die Verhandlungsbereitschaft mit „gemäßigten Taliban“ bis zur Einsicht, dass ein an westlichen Maßstäben orientiertes Nation-building scheitern wird. Was ist überhaupt schlecht daran, dass sich Parteien, wenn auch sehr spät, an der Meinung einer Mehrheit orientieren, und sei es aus opportunistischen Gründen? Davon, dass CSU, CDU und FDP vor ihren Kehrtwenden die Mitglieder befragt haben, hat man übrigens noch nichts gehört.
Ein weiterer Einwand gegen die Basis-Debatte über den Afghanistan-Einsatz kommt aus der SPD selbst. Seeheimer und Netzwerker sehen eine Mitgliederbefragung als ungeeignetes Instrument an. Erstens: Ein solcher formaler Schritt ist ebenso wenig geplant wie ein Parteitagsbeschluss. Zweitens: Eine Wiederbelebung innerparteilicher Demokratie müsste aber doch gerade hier ansetzen. Dass „Fragen von Krieg und Frieden“ für den Anfang „gänzlich ungeeignet“ sein sollen, wie der Seeheimer Garrelt Duin meint, zeugt von jenem Misstrauen gegenüber der Meinung der Mitglieder, die in den vergangenen Jahren die Politik der SPD-Spitze bestimmt – und entscheidenden Anteil an ihrer gegenwärtigen Krise hat.
Verflogene Aufbruchstimmung
Und der Souverän der Partei? Die spannende Frage ist ja, ob die SPD-Mitgliedschaft die Einladung zu mehr Einfluss überhaupt annehmen will. Innerparteiliche Demokratie und Mitentscheidung können von oben ermöglicht, ja sogar erwünscht sein. Das allein aber bringt noch gar nichts, wenn die so entstehenden Räume nicht auch von unten ausgefüllt werden. Sigmar Gabriel und Andrea Nahles können hinter ihre basisdemokratische Rhetorik nicht mehr zurück – zugleich bleibt es bei einer solchen, wenn die Sozialdemokraten vor Ort nicht selbst aktiv werden.
Womöglich ist die Partei dazu nicht mehr oder noch nicht wieder in der Lage. Die Aufbruchstimmung, die es unter den Mitgliedern, den sich links verortenden zumal, nach der Wahlpleite und den Signalen der Erneuerung im Spätherbst durchaus gegeben hatte, scheint wieder verflogen. „Von einem Neuanfang nach dem Bundesparteitag“, hieß es zu Weihnachten bei der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD, „ist wenig zu spüren“.
Kommentare 4
Das freut mich für die SPD – eine große Chance nicht nur für die SPD, sondern auch für unsere politische Kultur, die unbedingt neuer Impulse bedarf.
Da kann man den SPD-Mitgliedern nur gutes Gelingen und Freude an der Erneuerung wünschen.
Gabriel, Nahles, Beck, Münte, Platzek... wie auch immer sie heißen mögen. Es fehlt nach wie vor die Marke SPD, die aber notwendig ist, damit sich Menschen zum Erwerb entscheiden. Die Sozialdemokratie in Form der SPD kommt ein wenig wie Karstadt daher - in den Regalen liegt irgendwie alles, aber sie sind zu dumm und altbacken, den Kram zu verkaufen. Vielleicht sollte auch die SPD übernommen werden - von wem auch immer. Dabei sollte nicht versäumt werden, das Management zu entsorgen. Dieses Mal aber bitte gründlich.
Eine klare Absage an die deutsche Aggression in Afghanistan ist das allermindeste was man von einer "linken" Partei erwarten sollte. Und das sich die SPD da nun endlich klarer positionieren will ist - das ist zugegebenermaßen eine Unterstellung - zum Hauptteil Machterwägungen und nicht der humanen Gesinnung geschuldet. Gabriel wirkt auf mich opportunistisch und "schröderesk". Die "Erneuerung" ist Taktik. Eine wirkliche Erneuerung müsste vor allem die verfehlte Wirtschaftspolitik der Agenda-SPD verwerfen. Das ist mit der gegenwärtigen Führungsriege nicht glaubwürdig machbar. Zumindest Steinmeier muss weg, an ihm könnte die SPD ein Selbstreinigungs-Rauswurf-Exempel statuieren, das würde ihr guttun. Warum passiert das eigentlich nicht?
Denken wir einmal anders.
Die (vermeintlich?) gewandelte SPD, die sich mit der Mehrheit der Bevölkerung eins ist, dass der Krieg in Afghanistan zunächst einmal ein Krieg ist und unsere Freiheit eben doch nicht am Hindukusch verteidigt wird, läßt auch dem Freiherrn wenig Spielraum sehr viel anders zu argumentieren. Will schreiben, ein auf Rückzug der SPD in Raten (welchen auch immer) zwingt unsere aktuelle Bundesregierung sich deutlicher zu positionieren - recht so. Das passiert verbal ja gerade auch und nicht nur durch den Freiherrn. Auch Guido Westerwelle ist recht deutlich unterwegs in Sachen geänderter Strategie, die mehr als nur nach mehr Soldaten ruft.
Bei der Frage nach dem Strategie.- und ggf. Bezeichnungswechsel der deutschen Politik geht es vor allem um Zeit. Wer eher mit einem weitreichenden Konzept in der Bütt steht für einen bundesdeutschen Ausstieg gewinnt. Traditionell muss hier die Opposition schneller sein. Das terminliche Ziel ist bekannt - Ende Januar 2010.