Im Belauerungszustand

Rezession Die Krise galoppiert - doch die Politik ist vor den Wahlen zu einer angemessenen Reaktion nicht mehr in der Lage. Die nächste Regierung wird ein Himmelsfahrtskommando

Der Konjunkturgipfel im Kanzleramt ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Das war zu erwarten. Während der Internationale Währungsfonds und die Wirtschaftsinstitute Horrorzahlen eines konjunkturellen Absturzes verkünden, konnten sich die Vertreter von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften auf nichts Grundsätzliches einigen. Die gewerkschaftliche Forderung nach einem dritten Konjunkturpaket wurde abgeschmettert. Kein Wunder, denn die Parteien der großen Koalition belauern sich im Zeichen der kommenden Bundestagswahl nur noch gegenseitig. Sie sind nicht mehr in der Lage, gemeinsame Konzepte in größerem Umfang zu beschließen. Dass die Krise nicht ausgesessen werden kann, ist offensichtlich. Aber zusätzliche Programme spart man sich für den Wahlkampf auf. Sie werden auf die nächste Legislaturperiode verschoben, wer immer dann die Regierung stellt. In der Zwischenzeit heißt die Parole auf der Titanic: Abwarten, Tee trinken und berufsoptimistische Sprüche klopfen.

Schon das zweite Konjunkturpaket ist nicht nur zu klein, es kommt auch zu spät. Soweit die Maßnahmen (unter anderem Straßenbau und Schulsanierung) überhaupt greifen, laufen sie erst im nächsten Jahr an. Bis dahin wird der wirtschaftliche Absturz seine Eigendynamik entfaltet haben. Das Auslaufen der Abwrackprämie, die schon jetzt den Exporteinbruch nicht auffangen kann, reißt genau dann ein zusätzliches Loch in die Absatzzahlen der Autoindustrie. Nach dem Konjunkturgipfel können sich allein die Unternehmerverbände Hoffnung machen, dass ihre Klientel im Rahmen der explodierenden Kurzarbeit von den Sozialabgaben befreit wird. Diese Zeche wird nicht nur teuer. Diese Maßnahme trägt auch nicht weit. Nach den vorsichtigen Prognosen der Wirtschaftsinstitute wird die Arbeitslosenzahl in der BRD bis Anfang 2010 um ein bis zwei Millionen steigen. Viele kleinere Firmen können sich die Kurzarbeit ohnehin nicht leisten.

Die Wirkung eines dritten Konjunkturprogramms ist zweifelhaft angesichts der globalen Krisendynamik. Aber der Staatshaushalt wird damit einer Zerreißprobe ausgesetzt. Schon die bisherigen Staatsgarantien, Hilfsgelder und Investitionsprogramme sprengen alle selbst gesetzten Verschuldungsgrenzen. Auch das ist ein Grund, warum sich die auseinanderbrechende große Koalition die Finger nicht mehr schmutzig machen will mit neuen kostenträchtigen Eingriffen. Die nächste Regierung wird vermutlich ein Himmelfahrtskommando sein. Die Konjunkturgipfel nach der Bundestagswahl lassen desperate Notstandsprogramme erwarten. Bis dahin tut man so, als ob. Die politische Klasse glaubt eigentlich nicht mehr an sich selbst, obwohl alle jetzt den deutschen Obama mimen wollen. Der hat im übrigen auch kein Bewältigungskonzept; der Glamour der Obamania bröckelt schon nach wenigen Monaten. Vielleicht werden die Wahlverlierer die bequemere Position einnehmen. Einstweilen lässt man sich in den üblichen medialen Kampagnen treiben. Der Tee des Abwartens dürfte ein wenig schal schmecken.

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