„Sozialismus ist nichts anderes als die allseitige Verwirklichung dieses Gedankens der Demokratie, der aus einem System politischer Spielregeln zum inhaltlichen Prinzip der gesamten Gesellschaft, zur sozialen Demokratie, erweitert wird“, so hat es Wolfgang Abendroth einmal formuliert. Demokratie als Konzept ist daher voraussetzungsvoll: Neben der Herstellung demokratischer Gleichheit der Menschen ist die Einebnung des sozialen Gefälles eine der großen Herausforderungen. In Bezug auf die aktuelle Lage in der Bundesrepublik ist dazu festzustellen, dass zum einen die demokratische Gleichheit aller Menschen nicht gewährleistet ist, und zum anderen auch in ökonomischer Hinsicht die Ungleichheiten weiter zunehmen. Zugleich mehren sich die Stimmen, denen zufolge das Modell der repräsentativen Demokratie in einer Krise stecken solle, die mit mehr direkter Demokratie beantwortet werden müsse.
Die Debatte um politische Repräsentation ist aus einem unmittelbar politisch-strategischen Sinne für die politische Linke von großer Bedeutung: Geht man davon aus, das Kern eines neuen sozialdemokratischen Projekts eine Wirtschafts- und Industriepolitik sein muss, die sozial-ökologisches Wachstum schafft, stünde die SPD mit einem solchen Projekt weitgehend alleine da: Große Teile gerade der linken Grünen ergehen sich in Phantasien um ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ und Gedanken über eine post-industrielle Gesellschaft. Dies trifft ebenso Teile der Partei die Linke sowie in Gänze – soweit sich das überblicken lässt – die Piratenpartei. Ganz offensichtlich hat sich auf der politischen Linken ein Konflikt zwischen einer „individualistischen“ und einer „solidarischen“ Linie herausgebildet. Kern des Streits ist die Ablehnung politischer Großorganisationen und die Fokussierung auf Fragen des unmittelbaren persönlichen Lebensstils und der persönlichen Betroffenheit.
Dieser Trend ist nicht nur auf Seiten der „individualistischen Linken“ zu beobachten, sondern lässt sich quer durch alle politischen Lager feststellen, und wirkt sich direkt auf die Frage nach der Organisation von Demokratie und demokratischen Entscheidungen aus: Die repräsentative Demokratie steckt in einer Krise. Von Parlamenten getroffene Entscheidungen zum Bau eines neuen Bahnhofs in Stuttgart führen zu Massenprotesten und dem Vorwurf, die Entscheidung erfolge gegen den Willen der Bevölkerung. Entscheidungen über industriepolitische Vorhaben wie beispielsweise dem Bau neuer Kohlekraftwerke oder die Trassenführung neuer Verkehrswege führen zu Bürgerinitiativen und Protesten. Verbunden sind diese Proteste stets mit dem Verweis, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter in den örtlichen und überörtlichen Parlamenten würden den Willen der Mehrheit der Menschen nicht vertreten.
Mangelnde Akzeptanz als Problem
Eine sozial-ökologische Wirtschaftspolitik braucht gerade in Deutschland eine starke industrielle Basis. Ohne ausreichend Versorgung mit Energie, ohne gute Verkehrs-, Daten- und Logistikwege wird sich die Wirtschaft in Deutschland nicht weiterentwickeln lassen – weder sozial noch ökologisch.
Wenn zugleich aber die Akzeptanz gerade für große Infrastrukturvorhaben in (meinungsstarken) Teilen der Bevölkerung immer geringer wird, und die SPD als einzige Partei im linken politischen Spektrum noch ernsthaft den Anspruch auf Gestaltung von Ökonomie erhebt, wird diese mangelnde Akzeptanz zum Problem: Wenn ein großer Teil der linken Politikangebote nur noch individuelle Wohlfühlstimmen anzieht, und damit an der Wahlurne die Sozialdemokratie geschwächt wird, kann es gut sein, dass es trotz rechnerischer linker Mehrheiten nicht zu einem belastbaren parlamentarischen Block kommt – wie zuletzt in Berlin nach der Abgeordnetenhauswahl geschehen.
Die SPD muss sich deshalb aktiv in die aktuellen Debatten um Demokratie einmischen, und für eine solidarische Organisation von Gesellschaft und Demokratie werben, die tatsächlich nicht darauf beruht, wer seine Rechte am lautesten durchsetzt, sondern darauf, wessen Interessen es vor dem Hintergrund eines solidarischen Gesellschaftsverständnisses verdienen unterstützt zu werden.
Die Entscheidung über den Anschluss eines Wohngebietes an eine Bundesstraße mag noch im Belieben der jeweiligen Anwohner stehen. Die Entscheidung über die Anbindung einer ganzen Stadt an die Autobahn kann sicherlich nicht im Belieben der unmittelbaren Anwohner der geplanten Straße liegen. Dies gilt auch bezogen auf Entscheidungsrechte der Bundesländer: Die Suche nach einem Endlager für Atommüller kann nicht in das Belieben des jeweiligen Bundeslandes gestellt werden, und diesem ein Veto-Recht eingeräumt werden.
Wie schaffen wir Raum für solidarische Handeln?
Kurz: Zunächst gilt es ein Verständnis von Politik wieder herzustellen, dass gesellschaftliche Konflikte und Widersprüche mitdenkt, und nicht hinter vermeintlichen Sachzwängen oder vermeintlich einfachen Fragen von „Bürgerbeteiligung“ verschwinden lässt.
Gerade von links muss aber die Demokratiefrage doch genauso diskutiert werden: Wie schaffen wir Raum für solidarische Handeln? Wie schaffen wir Repräsentanz für alle Bevölkerungsgruppen in den staatlichen Institutionen? Wie schaffen wir es, dass Menschen auch in der Lage sind nachzuvollziehen, welche politischen Entscheidungen eigentlich aktuell zur Diskussion stehen und was die Alternativen sind?
Ganz praktisch setzt dies eine Entschleunigung von politischen Entscheidungen voraus. Auch wenn klar ist, dass ein Zurück zur Entscheidungsgeschwindigkeiten aus der Postkutschenzeit nicht möglich sein wird, so ist doch zu fragen, ob sich der in der „Berliner Glocke“ dank Tickern und Twittern permanent aufheizende „Entscheidungsdruck“ nicht auch anders regeln lassen würde. Das Aussitzen der aktuellen Euro-Krise durch die Bundeskanzlerin zeigt, dass dies in Maßen möglich (wenn auch im konkreten Ergebnis nicht gerade erfreulich) ist. Maßstab für eine notwendige Priorisierung müsste die gesellschaftliche Relevanz der Themen sein.
Parteien können nach wie vor der Bündelung und der Artikulation unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen dienen. Nun wollen wir nicht an dieser Stelle die aktuellen Demokratiediskussionen mit einer plumpen These von der Revitalisierung des klassischen Parteiensystems beenden – auch wenn eine inhaltlich und organisationspolitisch erneuerte Sozialdemokratie hier einen wichtigen Beitrag zu leisten hätte.
Bewegung ohne Richtung, Politik ohne Orientierung bleibt Spielball der jeweils machtbewusstesten gesellschaftlichen Interessen. In seinem Buch „Mut statt Wut“ bringt es Claus Leggewie so auf den Punkt: „Soziale Bewegung ist gut, aber ohne Institutionen laufen ihre Denk- und Handlungsanstöße leicht ins Leere. Dazu gehören Interessengruppen als verkannte Mittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie erlauben Routinen und erleichtern die Habitualisierung nachhaltiger Politik. Bürger, tretet in die Parteien ein!“
Gesamtgesellschaftliches Denken
Gerade bei vielen lokalen Initiativen wird deutlich, dass es nur um individuelle Interessen und Befindlichkeiten geht. Dabei kommt das gesamtgesellschaftliche Denken unter die Räder. „Am Ende der Eigeninitiative muss nicht das wohlgeordnete Ganze, schon gar nicht das Gemeinwohl stehen“, schreibt der Parteienforscher Franz Walter. „Die Addition von einzelnen Selbstorganisationen kann auch die tribalistische Gesellschaft sein, in der selbstständige Bürgerzusammenschlüsse in rivalisierender Konkurrenz mit- bzw. gegeneinander rangeln.“
Viele individuelle Befindlichkeiten und Betroffenheiten ergeben eben immer noch nicht ein gesellschaftliches Ganzes. Es ist gerade die Aufgabe von politischen Parteien und Verbänden einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden, und dies lässt sich in erster Linie über ein repräsentativ-demokratisches System herstellen.
Anstatt auf die Suche nach solchen Möglichkeiten zu gehen, bleibt in der öffentlichen Debatte selten mehr über, als der Ruf nach direkter Demokratie durch Volksentscheide und mehr Direktwahlen. Die Verlockung ist groß, dem einfach zuzustimmen, denn schließlich ist „mehr Demokratie“ grundsätzlich die richtige Forderung. Aber dieser Weg ist ambivalent: Anders als in den 1970er Jahren hat heute längst nicht mehr jede Initiative den Abbau von Herrschaft und Ungleichheit im Sinn. Auch der Berliner Politologie Wolfgang Merkel kommt in einer Studie über Volksabstimmungen zu ambivalenten Ergebnissen: So haben direktdemokratische Verfahren beispielsweise in den Bereichen „soziale Selektivität“, „Interessengruppen“, und „wachsende Ungleichheit“ im Vergleich zu repräsentativer Demokratie große Defizite.
Schief strukturierte Debatte
Daraus folgt für uns nicht die Ablehnung von mehr Volksentscheiden und Volksinitiativen, sondern die Erkenntnis, dass sie nur dann wirklich einen Demokratiegewinn sein werden, wenn alle Menschen auch die Voraussetzungen haben daran zu partizipieren. Leitschnur bei der Frage, wann Elemente direkter Demokratie zum Einsatz kommen sollten, müsste daher die Frage sein, wer von der Entscheidung betroffen sein wird. Die Entscheidung über ein neues Kraftwerk oder über Verkehrsinfrastruktur kann daher nur dann von den unmittelbaren Anwohnerinnen und Anwohnern getroffen werden, wenn sie die einzigen sein werden, die von den positiven oder negativen Auswirkungen des Projekts betroffen sein werden.
Eine Entscheidung über ein solches Verfahren kann daher nicht statisch gesetzlich normiert werden. Es wäre zu klären, wie praktisch sichergestellt werden kann, dass bei solchen Projekten gerade nicht nur die unmittelbaren Anwohnerinnen und Anwohner, sondern alle Einwohnerinnen und Einwohner eines Bundeslandes oder der Bundesrepublik insgesamt einen Volksentscheid einleiten können. Gleiches müsste für die politischen Vertretungen der jeweiligen Ebene gelten.
Die Diskussion zwischen repräsentativer und direkter Demokratie ist daher in der öffentlichen Debatte schief strukturiert: Es geht vor allem darum, wie Gesellschaft nachhaltig entlang von kollektiven Interessenlagen mobilisiert werden kann. Politik selber kann und muss einen Beitrag leisten, wenn gesellschaftliche Fragen endlich wieder als solche thematisiert werden, sprich: Wenn Politik wieder Richtung erkennen lässt. In diesem Sinne könnten dann auch parlamentarische und außerparlamentarische Interessenvertretungen gemeinsamer Teil eines gesamtgesellschaftlichen demokratischen Diskurses werden.
Thilo Scholle lebt in Lünen und ist Mitglied der Redaktion spw, der Zeitschrift der SPD-Linken. Jan Schwarz lebt in Weyhausen und ist stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender. Sascha Vogt lebt in Essen, ist Juso-Bundesvorsitzender. Der Text ist ein gekürzter Vorabdruck aus der neuen, in dieser Woche erscheinenden Ausgabe der spw Infos zur Zeitschrift gibt es hierund hier können Sie eine Langversion dieses Beitrags lesen.
Kommentare 4
Die SPD als "links" einzuordnen, ist schon ein Fehler! Da ist im Moment nichts mehr links - mit Steinmeier, Steinbrück etc wird es eher noch schlimmer. Da wird eindeutig das Kapital unterstützt. Kein SPD-Politiker möchte durch mehr Demokratie seine Pfründe verlieren.
Soziale Bewegung ist gut, aber ohne Institutionen laufen ihre Denk- und Handlungsanstöße leicht ins Leere?
Bürger, tretet in die Parteien ein?
Gerade die SPD hat aber doch immer wieder bewiesen wie soziale Bewegungen durch machtgeile Parteibonzen verkauft werden.
Dieser konsequente Verrat führte bereits zu Kaisers Zeiten zu dem schönen Spruch:
Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!
Schröder war keine Ausnahme, sondern linientreuer Vertreter sozialdemokratischer Traditionen. Seit der Bewilligung der kaiserlichen Kriegskredite, auch durch Sozialdemokraten, sind die Ideale dieser Partei käuflich.
"Linke" haben die SPD wie folgt verlassen: "USPD" und "WASG". Denkt mal drüber nach.
Ansonsten versucht doch mal, den gemeinsamen Text von "Sprechblasen" zu befreien. Er würde kürzer und vielleicht verständlicher.
Ihr wollt doch was bewirken. Das zumindest achte ich. Und wieder und abschließend: Denkt mal drüber nach...
Neee, nicht schon wieder diese angeblich sozialdemokratische Partei. Ich bin es ehrlich gesagt leid, mir immer diese Polemik anhören zu müssen. Politiker sollte man in die Wirtshaft stecken. Am besten ans Fließband oder in den Straßenbau. Damit sie mal wissen wie gearbeitet wird.
Heute will am liebesten jeder Politiker werden. Dumm daher reden, große Versprechungen machen um sich sein Einkommen zu sichern. Sich in Gesetzen zu verwirklichen. Ich bin das alles leid und hab die Nase voll von denen.
Es ist egal welche Partei an der Macht ist. Sie wird immer im Interesse des Kapitals entscheiden. Gehört doch auch mit zur Machtstruktur des Kapitals! Das habe ich ja nun schon lange genug erlebt. Ausserdem gehts in einer Partei nur um Macht. Und dann herrscht da auch noch dieser Gruppenzwang, diese Gleichschaltung des Denkens.
Parteien waren mal nach dem Krieg angebracht. Als die Menschen noch nach ihren Idealen und Werten handelten. Was wir heutzutage haben ist doch nur noch Narzissmus. Werte wurden schon lange abgeschafft. Stattdessen gibts nur noch Selbstdarsteller und machtbesessene Möchtegerne. Das Volk interessiert doch schon lange nicht mehr. Da hilft auch keine Transparenz. Weil eben nicht jeder Bürger sich politisch engagieren kann und will. Also wird das wiederum nur eine kleine Masse tun. Ändern tut sich damit nichts!
Parteien haben ausgedient. Ideologien verbreiten eh nur Unmut. Der Bürger kann sich auch ohne Partei organisieren. Und zwar auf kommunaler Ebene. Es reicht, wenn wir einen Ministerpräsidenten haben und einige wenige, die uns nach aussen vertreten. Wenn erstmal der "Weltsozialismus" gekommen ist brauchen wir auch nur noch einen "Herrscher".
Aber bevor dies kommt, werden sich die Menschen selber zerstören. Denn es fehlt ihnen im 21. Jahrhundert immer noch an Humanität! Und ohne diese wird es immer wieder auf das selbe hinauslaufen. Auf Intrigen, Machtansprüche und Unterdrückung. Nur Menschen die machtbesessen sind schaffen es an die Spitze einer Gruppe. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Und wenn man erstmal den Aufstieg geschafft hat, dann kann Macht sehr schnell den Menschen zum Nachteil verändern. Schröder ist das beste Beispiel. Der vergaß auch woher er eigentlich herkam. Nämlich aus ganz einfachen Verhältnissen. Einem Herrn Schröder hat das Volk nicht mehr interessiert. Und so wird es auch immer bleiben.
Hohle Prashen kann ich auch dreschen.