Kein hundertprozentiger Trost

Bundestag Wachstums-Debatte ohne Frauen-Sachverstand? Rot-rot-grüne Abgeordnete fordern jetzt, die Enquete-Kommission zu vergrößern. Die Union sieht keinen Bedarf

Es kommt nicht sehr häufig vor, dass Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei zur gemeinsamen Aktion im Bundestag schreiten. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass dies dann oft „Frauenthemen“ betrifft: Ende April hatten die drei Oppositionsfraktionen erstmals eine gemeinsame Große Anfrage an die Regierung gerichtet, in der Auskunft über den Stand der Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung verlangt wird. Das passt bestens zu dem jetzt von den drei Fraktionen eingereichten Antrag: 119 Frauen fordern darin, die Zahl der Sachverständigen in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ um acht zu erweitern – damit doch noch Wissenschaftlerinnen an vorderster Stelle an der parlamentarischen Debatte um die Zukunft von Wirtschaftsweise und Konsumkultur teilnehmen können.

Diese zu bestellen, hatten die fünf Fraktionen nämlich nach der Einsetzung der Kommission im vergangenen Jahr schlicht vergessen. In einem Offenen Brief (siehe auch hier) hatten sich daraufhin Experten „irritiert“ darüber gezeigt, „dass keine einzige Frau in die Gruppe der 17 sachverständigen Mitglieder berufen wurde“, was nicht nur der politischen Vernunft widerspricht, sondern auch gegen das Bundesgremienbesetzungsgesetz verstoße. „Nachdrücklich“ wurden Bundestagspräsident und Fraktionsvorsitzende aufgefordert, die Sachverständigenbank „nachträglich mit mindestens einem Drittel Wissenschaftlerinnen zu besetzen“. Die Kommissions-Vorsitzende Daniela Kolbe von der SPD antwortete mit Verständnis, verwies aber darauf, „dass ich nicht in der Position bin, die Zusammensetzung der Enquete-Kommission zu ändern“. Angesichts der im Einsetzungsauftrag festgelegten Besetzungsliste sei „eine Erweiterung der Kommission um weitere Sachverständige ausgeschlossen“.

Die Obfrau der Linksfraktion in der Enquete zeigte sich zerknirscht. Es sei „ein Fehler“ gewesen, schrieb die Abgeordnete Ulla Lötzer an die Münsteraner Politikwissenschaftlerin Brigitte Young, die 2000 bereits als Sachverständige in die Globalisierungs-Enquete des Bundestags berufen wurde. Die Linke hatte ihre Sitze auf der Abgeordnetenbank mit zwei Frauen und einer Stellvertreterin „überquotiert“ besetzt – und dann offenbar "kein großes Problembewusstsein mehr". Lötzer schlug vor, „außerparlamentarisch“ zu versuchen, „die Enquete feministisch und kritisch zu begleiten“. Sie wies aber auch darauf hin, dass mit ihr und den beiden anderen Linken-Abgeordneten durchaus geschlechterpolitische Kompetenz in der Kommission sitze.


Auf ein ähnliches Argument wird wohl auch die Union pochen, wenn der rot-rot-grüne Antrag am Donnerstag im Plenum behandelt wird. In der Fraktion sieht man bei den Autoren der Offenen Briefe nämlich „ein grundlegendes Missverständnis zu Grunde liegen“. Weil die 17 Abgeordneten in der Enquete und die 17 Sachverständigen „formal und rechtlich gleichberechtigt“ sind, müsste man auch „bei einer Prüfung unter den Aspekten der Gleichstellung die Kommission in ihrer Gesamtheit“ betrachten.

Das das Ergebnis dann zwar nicht ganz so auffällig, aber keineswegs weniger erfreulich ausfällt, findet Ansgar Hollah, der Büroleiter des Parlamentsgeschaftsführers der Union, Peter Altmeier, nicht. Die Frauenquote liege auf der Abgeordnetenbank immerhin bei 47 Prozent, der Anteil von Frauen in der Kommission insgesamt bei 24 Prozent. „Das alles mag für den Ausschnitt der Sachverständigenbank kein hundertprozentiger Trost sein“, heißt es in der Antwort Hollahs auf einen der Offenen Briefe. Es zeige aber, „dass der Bundestag bei der Besetzung der Enquetekommission auch unter dem Aspekt der Gleichstellung eine sehr gut vertretbare Lösung gefunden hat“.

Eine Erweiterung der Kommission, wie sie nun mit dem rot-rot-grünen Antrag vorgeschlagen wird, lehnt Hollah nicht zuletzt ab, weil eine Vergrößerung das Gremium „an den Rand der Arbeitsunfähigkeit führen würde“. Acht Frauen führen eine Kommission wohin? Selbst wenn man ein solches Argument ernst nehmen würde, überzeugt es nicht – Platzmangel herrscht im „Wohnzimmer“ der Enquete, dem Sitzungssaal E 700 des Paul-Löbe-Hauses keineswegs. Und übrigens: Migranten sind unter den Sachverständigen bisher auch nicht. Einen Offenen Brief, der das kritisiert, gibt es auch schon.

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