Während des Gaza-Krieges waren die Stimmen derer, die in Israel und Palästina gewöhnlich energisch Einspruch erheben gegen Krieg, Gewalt, Zerstörung – zumindest in Europa – nur leise zu vernehmen. Gab es ein selbstauferlegtes Schweigen der Künstler auf beiden Seiten der Mauer? Haben sie mittlerweile gelernt, die Bombe zu lieben? Oder hatte der Kanonendonner die Musen übertönt? Wie reagieren israelische und palästinensische Künstler auf die Versteinerung des Verhältnisses zwischen ihren Kollektiven? Was denken sie über die neue israelische Rechtsregierung, deren Außenminister vor einigen Jahren noch bewaffnet mit einer Fahrradkette auf Araber-Jagd gegangen ist? Welche Befürchtungen haben sie – welche Hoffnungen?
Geht heraus!
Der jüdische Autor Ronen Eidelman hatte während der Gaza-Offensive ein Bändchen gegen den Krieg unter dem Titel Lazet! („Geht heraus!“) mit Gedichten, Essays und Zeichnungen von 67 Künstlern herausgegeben. Eidelman betont, dass die Proteste der „Tausenden von Juden und Arabern, die gemeinsam für den Frieden marschiert und sich geweigert haben, Feinde zu sein“ von den israelische Medien ebenso ignoriert worden seien, wie Hunderte von Künstlern, die sich solidarisiert hatten.
Von der neuen Regierung erwartet Eidelman keine weitere Verschlechterung der politischen Lage. Warum? Weil sie kaum aussichtsloser werden kann: Während Außenministerin Livni einen angeblichen Dialog mit den Palästinensern geführt habe, erläutert Eidelman seine Position, „haben wir zwei Kriege erlebt inklusive schrecklichen Massakern an der Zivilbevölkerung in Gaza, eine große Expansion der Siedlungen und eine neoliberale Politik der Privatisierung“. Eidelman, der sich ein sozialistisches Israel wünscht, hält sogar eine Rekonsolidierung der israelischen Linken für möglich: „Gegen eine rechte Regierung mit klarer Linie können wir viel besser eine entschlossene und kämpferische Opposition aufbauen als gegen eine so genannte moderate, die eine freundliche Miene zieht und damit die eigene Bevölkerung und die ganze Welt täuscht.“
Noch mehr Gewalt?
Pessimistischer ist der Maler und Fotograf David Reeb aus Tel Aviv: „Diese schreckliche neue Regierung wird noch weniger bereit zur Versöhnung sein als die vorherige. Wahrscheinlich wird es noch mehr rücksichtslose Militäraktionen, noch mehr Unterdrückung und Gewalt gegen die Palästinenser geben“, so seine düsteren Visionen. Die Beteiligung der Arbeitspartei in der Regierungskoalition hat nach Reebs Ansicht eine Feigenblatt-Funktion: „Sie wird wahrscheinlich verhindern, dass Xenophobie und antidemokratische Legislatur unverhohlen zum Ausdruck kommen.“ Reeb will auch eine weitere Radikalisierung der israelischen Gesellschaft nicht ausschließen: „Es ist durchaus denkbar, dass der nächste Ministerpräsident Lieberman heißt.“
Der arabisch-israelische Dichter und Übersetzer Salman Masalha, der aus der Kleinstadt al-Maghar in Galiläa stammt und heute in Jerusalem lebt, spricht von einer „tiefen Krise“. Von der neuen Regierung erwartet er vor allem eines: „Die Vertagung einer Auseinandersetzung mit dem Kernproblem, das das Land seit Jahrzehnten bluten lässt – dem palästinensisch-israelischen Konflikt.“ Die vom amtierenden und zukünftigen Verteidigungsminister Ehud Barak forcierte Entscheidung seiner Arbeitspartei, der Regierungskoalition beizutreten, so Masalhas mehrdeutig formulierte Vermutung, „deutet womöglich an, dass es Vorgänge im Verborgenen gibt, denen Israel in naher Zukunft begegnen muss und mit dem iranischen Atomprojekt zusammenhängen.“
Bittere Bestandsaufnahme
Voller Bitterkeit die Bestandsaufnahme von Künstlern in den besetzten Gebieten: „Noch vor zehn Jahren gab es Palästinenser, die bereit waren, Kompromisse mit ihren Kolonialherren zu schließen. Aber nun, wo sie sehen, wie Israel Tag für Tag aufs Gröbste das Völkerrecht missachtet, spüren die Palästinenser, dass ein Frieden mit diesen Kriegsverbrechern nicht möglich ist“, so die verhärtete und resignative Position von Ramallah Underground. Das 2003 von den palästinensischen Künstlern Boikutt, Stormtrap and Aswatt gegründete Kollektiv schafft eine Verbindung zwischen arabischen elektronischen Klängen, Hip Hop und Trip Hop. Die Musiker verstehen sich als politisches Projekt von widerständigen „Besetzten gegen die Besatzer“ und alternative, progressive Stimme der arabischen Welt. Die neue israelische Regierung sei nicht anders als ihre Vorgänger, meinen Ramallah Underground. „Links oder rechts – der Zionismus bleibt eine Ideologie, die auf ethnischen Säuberungen basiert.“
Der palästinensische Maler Ashraf Sahwiel ist Leiter des Gaza Center for Culture and Arts, das seine Arbeit teilweise einstellen musste. Der Grund: Die israelische Blockade verhindert die Lieferung von dringend benötigtem Material. Sahwiel – sein Haus in Gaza-Stadt wurde durch die israelischen Bombardement beschädigt, seine Familie hat aber unverletzt überlebt – äußert sich gemäßigt; seine Prognosen sind aber nicht minder hoffnungslos: „Mit der neuen israelischen Regierung wird es keinen Fortschritt im Friedensprozess geben“, ist sich Sahwiel sicher. „Mit ihrer Verweigerung eines Dialogs wollen sie die palästinensische Führung vor den Palästinensern bloß stellen.“ Aufrichtige Friedensinitiativen erwartet der Künstler auch nicht von der Arbeitspartei: „Ihr Regierungsbeitritt dient lediglich der Rettung der Partei.“
In dieser „historischen Finsternis“, wie der israelische Historiker Moshe Zuckermann unlängst die Situation in seinem Land beschrieb – ist der Nahost-Konflikt überhaupt noch lösbar? In dieser Frage sind sich die meisten palästinensischen und israelischen Künstler einig. „Der erste Schritt wäre zu verstehen, dass keiner als Sieger hervorgehen kann“, sagt Dana Darvish, Collagen- und Videokünstlerin aus Tel Aviv. „Wie Israel die Gewalt und seine Kriegspropaganda beenden muss, müssen die Palästinenser einsehen, dass ihr eigenes Regime ihr Leiden in manipulativer Weise benutzt.“ Wirkmächtig könne aber nur eine global herbei geführte Lösung sein. Auch Ashraf Sahwiel setzt auf Intervention: „Die US-Administration muss den Friedensprozess retten.” Nur die internationale Gemeinschaft, meint auch Salaman Masalha, könne den nötigen Druck entfalten, damit Israel die Okkupation beendet und die Palästinenser Israels Existenzrecht anerkennen.“
Ronen Eidelman sieht keine Lösung. Aufgrund des Mangels an Alternativen, erklärt der Mitherausgeber von Israels führendem Online-Kunst-Magazin Maarav, habe er aber keine andere Wahl, als auf ein Wunder zu hoffen: „Begin hat Frieden mit Ägypten geschlossen, Rabin hat Arafats Hand geschüttelt“, sagt Eidelman mit einem leichten Anflug von Ironie. „Vielleicht wird Netanyahu sich mit Haniya treffen und Lieberman beschließen, dass es sein wahrer Wunsch ist, Friseur zu werden und die Politik zu verlassen.“
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