Kim Jong-Il und die Bierflasche

Köln Ausgerechnet ein Berliner mit Müll-Hintergrund tritt als Bürgermeister-Kandidat für die Kölner CDU an. Die SPD hat nach zehn Jahren wieder eine Chance auf das Amt

Wer in den letzten Wochen versuchte, Kölner CDU-Granden zu einer Äußerung über die Frage des Oberbürgermeister-Kandidaten zu bewegen, musste sich stets auf eine herbe Abfuhr gefasst machen. Der nicht erneut antretende Fritz Schramma verwies auf den CDU-Kreisverbandschef Jürgen Hollstein. Der wollte „zur OB-Kandidatenfrage keine Aussage“ machen. Und sein Geschäftsführer Volker Meertz betonte: „Kandidatensuche ist wie Großwildjagd, es ist ein sensibles Geschäft!“

Schließlich haben die Kölner Christdemokraten doch noch jemanden gefunden: den ehemaligen Berliner Finanzsenator Peter Kurth. Das ist durchaus eine Angelegenheit von überregionaler Bedeutung. Immer länger – und peinlicher nämlich war zuvor die Liste derjenigen geworden, die sich den Tort nicht antun wollten. Illustre Namen wie der von Konrad Adenauer (Enkel), Wolfgang Bosbach (Fraktionsvize im Bundestag) und Ursula Heinen-Esser (Staatssekretärin) wurden genannt. Die Lokalpresse brachte sogar den nordkoreanischen Führer Kim Jong-Il ins Gespräch. Und zeitweilig hatte die Kölner CDU sogar einen parteilosen Kandidaten gesucht.

Schrammas belastendes Erbe

Mathematisch korrekt lässt sich also konstatieren: Peter Kurth ist nicht die allererste Wahl. Hat er dennoch eine Chance, Stadtoberhaupt der viertgrößten Kommune Deutschlands zu werden? Noch bevor Amtsinhaber Schramma seine erneute Kandidatur zurückziehen musste, lag der rot-grüne OB-Kandidat Jürgen Roters in Umfragen weit vorne. Kein Wunder: Schramma gilt zwar als ein optimaler Repräsentant kölscher Lebensart und machte sogar bei schwul-lesbischen Paraden und Aktionen gegen rechte Hetzer eine ausgezeichnete Figur.

Doch leider gehören auch die Aufgaben eines Verwaltungschefs zum Amt. Schrammas Arbeit wurde mitunter heftig kritisiert, auch von Parteifreunden – und meist öffentlich. Immer wieder machten außerdem Korruptionsvorwürfe die Runde. Zuletzt musste Schramma seinen Hut aus dem Ring tragen, weil sein Katastrophen-Management nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs von vielen als sehr suboptimal empfunden wurde. Er bleibt eine schwere Hypothek für seine Partei.


SPD-Kandidat von Grünen unterstützt

Ein weiterer Nachteil für die CDU: Roters Kandidatur wird von Grünen und SPD getragen, während die Linkspartei zwar nicht zur Wahl des Sozialdemokraten aufruft, aber auch keinen weiteren Konkurrenten ins OB-Rennen schickt. CDU-Mann Kurth hingegen muss sich das rechte Stimmenpotenzial mit dem FDP-Bewerber Ralph Sterck teilen – und mit Markus Beisicht, dem Kandidaten der extremen Rechtspopulisten von „Pro Köln“. Bei einer Wahl, die im ersten Urnengang entschieden wird, kann diese Konkurrenzsituation allein bereits ausschlaggebend sein.

Dabei hat Peter Kurth schon genug Sorgen mit der eigenen Partei: Die Kölner CDU befindet sich in einem miserablen Zustand. Von internen Kämpfen zerrüttet, wirft sie eine entscheidende Frage auf: Hat sie derzeit überhaupt ein Machtzentrum? „Nein, auch wenn sie gerade versucht, ein neues zu etablieren“, sagt FDP-Mann Ralph Sterck. „Die Partei befindet sich in einem zähen Prozess der Erneuerung.“ Sterck erinnert daran, dass „die Cliquen“ um die einst mächtigen Lokalgrößen Rolf Bietmann und Richard Blömer mühsam zurück gedrängt wurden. Teilweise fühlte sich sogar der CDU-Landesvorsitzende und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bemüßigt, in den internen Machtkampf zu intervenieren – um das Rest-Ansehen der Partei zu retten. Ralph Stercks Resümee: „Da war und ist viel zerstörerisches Potenzial!“

Die drei Makel des Peter Kurth

Zu allem Überfluss führt Peter Kurth einen Wahlkampf, der mit drei erheblichen Makeln behaftet ist: Er ist erstens Vorstandsmitglied der Alba AG, die ihre Umsätze mit Recycling und Entsorgung macht. Also mit Müll. Nach dem Korruptionsskandal um die überdimensionierte Müllverbrennungsanlage, der die Domstadt jahrelang erschütterte, könnte das bei vielen Wählern unangenehme Erinnerungen hervorrufen. Zweitens wurde Kurth erst nach langem Hickhack aus dem Hut gezaubert. Und er ist, drittens, noch nicht einmal Kölner: Kurth „kommt aus Berlin“, wie die führende Lokalzeitung fast schon ein wenig beleidigt schlagzeilt.

Also Jürgen Roters? Der Sozialdemokrat rechnet fest mit seinem Sieg. Und mit einer „ordentlichen rot-grünen Mehrheit“ im Rat der Stadt. Die Umfragen bestätigten zuletzt diese Hoffnung. Doch die machtbewussten Kölner Grünen – der Volksmund spricht von „rheinischen Realos“ – werden sich nicht unter Wert verkaufen. Sie sind in vielen Veedeln, wie der Kölner die Stadtviertel nennt, sogar stärkste Partei, ihnen wird ein Wahlergebnis um die 20 Prozent prognostiziert. Von einem kleinen Koalitionspartner kann also nicht wirklich die Rede sein. Schon fordern die Grünen selbstbewusst den Posten des Kämmerers für sich ein.

Kölsche Volksfront

Manche meinen, Rot-Grün beherrsche längst den Rat der Stadt – mal als „kölsche Volksfront“ im Bündnis mit den Linken, teils in Kooperation mit anderen Parteien. Allerdings ging es dabei zuletzt nicht immer reibungslos zu. Euphemistisch spricht Kerstin Ciba, die Sprecherin der Kölner Grünen, von einer „ganz passablen Zusammenarbeit“. Man müsse auch künftig „Schnittmengen erarbeiten, aber Dissens zulassen“.

Für Roters spricht, dass er als Polizeichef und Regierungspräsident langjährige Verwaltungserfahrung in der Domstadt sammeln konnte. Gegenüber dem Freitag weist Roters sich sogar als gemäßigter Privatisierungskritiker aus: „Die Kommune muss bei der Daseinsvorsorge das Sagen haben“, sagt der SPD-Mann. Zwar rechnet er damit, dass die kommunalen Finanzen unter der Wirtschaftskrise leiden werden. Aber er wolle Finanzmittel ganz gezielt einsetzen: in den Bereichen Jugendhilfe, Bildung und soziale Förderung.

Hans-Günter Bell ist da eher skeptisch. Der Ortschef der Linkspartei beurteilt Roters als „zu wenig sozial und zu wenig demokratisch“. Bell, einst ein Strippenzieher der SPD-Linken und Kölner Juso-Vorsitzender, hält seinen ehemaligen Genossen daher für „keinen überzeugenden Kandidaten“. Aber derzeit, so Bell, könne die SPD auch eine „Bierflasche als OB-Kandidaten aufstellen“. Und würde doch gewinnen.

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