Für Angela Merkel, die dieser Tage zwischen dem Weltfinanzgipfel in London, der NATO-Tagung in Straßburg und dem Treffen mit dem US-Präsidenten Barack Obama in Baden-Baden hin und her reist, muss die schmucklose Messehalle von Rostock ein deutlicher Kontrast gewesen sein. Hierher machte die Kanzlerin noch kurz vor ihrer Gipfel-Tour einen Abstecher – immerhin warteten tausend so genannte Entscheider aus der maritimen Wirtschaft auf die Regierungschefin, die immer ein „wohlwollendes Ohr“ für Schifffahrt, Werften und Marine hat.
Die maritime Wirtschaft ist für Merkel ein „prägendes Wirtschaftsmittel“ für ganz Deutschland. Schließlich arbeiten die Werftzulieferer in Maschinenbau und Elektronik vor allem in Süddeutschland und über die Rheinschifffahrt ist das Ruhrgebiet direkt an die Seehäfen und China angeschlossen. Die maritime Wirtschaft des Exportweltmeisters hat lange Zeit von der Globalisierung profitiert. Merkel: „Wir gehören zu den Besten auf der Welt.“
Wie zu Kaisers Zeiten
Tatsächlich ist Deutschland wieder wie zu Zeiten der Hanse und des kaiserliche Flottenprogramms vor dem Ersten Weltkrieg eine Seemacht. Eine Tatsache, die selbst an der Waterkant von Bremen, Hamburg und Rostock kaum bekannt ist. Dabei ist die deutsche Containerflotte die größte der Welt: Jeder dritte Frachter der Globalisierung gehört hiesigen Investoren. Der Hamburger Hafen hat längst London, Tokio und New York weit hinter sich gelassen und in Duisburg pulsiert der weltweit größte Binnenschiffhafen. Und auch der deutsche Schiffbau, eine Hightech-Branche auf Augenhöhe mit der Luft- und Raumfahrtindustrie, liegt in Europa auf Platz 1.
Selbst das Flottenprogramm und der damit einhergehende Rüstungsboom erregen bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. Dabei sind die neuen Hochtechnologie-Korvetten K130, die ab Herbst einsatzbereit sein sollen, und besonders die noch 2009 in Bau gehenden Marathon-Fregatten F125 die schlagkräftigsten und mit fünf Milliarden Euro teuersten Waffensysteme in der deutschen Geschichte. Die deutsche Marine wird erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm wieder ins Zentrum der Militärstrategie und der Außenpolitik gerückt.
Den neuen Kurs für einen beispiellosen Wachstumsprozess gab Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 mit seinen „Leitlinien zur Förderung der maritimen Wirtschaft“ vor. Damit stellten sich Staat und Regierung an die Spitze des ehrgeizigen Projekts „Maritimer Komplex“, in das Unternehmen und Verbände, Maschinenbau- und Logistikindustrie, Zulieferfirmen, Banken, Dienstleister vom Reeder bis zum Makler, aber auch Hochschulen und Gewerkschaften - es geht um 500.000 Jobs - sowie die Deutsche Marine eingebunden sind.
Füllhorn staatlicher Subventionen
Vor ein paar Tagen nun also feierte der Wirtschaftszweig, angeführt von Merkel, auf der 6. Nationalen Maritimen Konferenz sein Hochamt in Rostock. Die Erfolgsbranche soll nach dem Willen der Regierungschefin nach der Finanz- und Wirtschaftskrise neue Erfolge feiern können, mehr noch: „Wir wollen stärker aus der Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind.“ Entsprechend wurde in Rostock ein Füllhorn an staatlichen Subventionen ausgeschüttet, von der Innovationsförderung bis zur Dumpingsteuer für die Schifffahrt. Dazu gab es ein „Nationales Hafenkonzept“ und zwei neue Nachschubschiffe für die Marine.
Erstmals konnte das Bundesverteidigungsministerium einen eigenen „Workshop“ auf der Netzwerkkonferenz veranstalten – und auch der Klima- und Umweltschutz hatte mit einer eigenen Arbeitsgruppe in Rostock eine Premiere. Davon beflügelt rief das zuständige Ministerium „eine neue Epoche“ aus. Gezeitenkraftwerke und Windplattformen auf hoher See könnten alleine die europäische Stromversorgung sichern. Leider würden noch die vier großen Energiekonzerne bremsen, beklagte Staatssekretär Michael Müller in Rostock. Eon, RWE, Vattenfall und EnBW setzen lieber auf Kohle und Atom, besitzen aber laut Müller die meisten Lizenzen für Offshore-Windmühlen.
Im Strom aus der hohen See sieht Müller die Chance auf eine neue Basisökonomie, mit der – frei nach dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter – ein „ökologisches Jahrhundert“ aufgebaut werden könne, das die „Epoche der Finanzökonomie“ ablöse. Müllers revolutionäre Dynamik erhielt viel Beifall von den Managern der maritimen Wirtschaft, die auch aus den Konzernzentralen von Thyssen-Krupp, Siemens und Deutscher Bank angereist waren.
Neues Standbein Meerestechnik
Die breite Zustimmung für den Öko-Ansatz sollte jedoch nicht überraschen. Mit deutscher Technik und Finanzierung sollen Industrierohstoffe aus Manganknollen im Pazifik gewonnen werden, die blaue Biotechnologie verheißt Arzneien aus Tiefseealgen, und Offshore-Windmühlen auf hoher See sollen auch nach dem Willen eines großen Teils der Wirtschaft bald Energie liefern. Gerade wurde in Cuxhaven der landeseigene Offshore-Hafen eröffnet, von dem aus der erste Windpark auf hoher See angelegt werden soll. Kurzum, Offshore-Energie und Meerestechnik könnten weltweit zum neuen Standbein der deutschen maritimen Wirtschaft heranwachsen. Für die Deutsche Marine gibt es dann noch mehr zu schützen.
Von Autor erschien zuletzt: Seemacht Deutschland - Die Hanse, Kaiser Wilhelm II. und der neue Maritime Komplex, C.H. Links Verlag, 16,90 Euro.
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