Schatten der Abschiebung

Kurdisches Neujahr Das diesjährige Newroz-Fest ist für die aus Syrien geflüchtete kurdische Familie Ali kein Grund zum Feiern. Ein Abkommen lässt sie die Abschiebung fürchten

Der Frühlingsanfang bringt nicht nur die lang erwarteten Sonnenstrahlen, sondern für Kurden in aller Welt auch den Jahreswechsel. Achtmal schon beging die Familie Ali das Newroz-Fest in Deutschland – dieses Jahr jedoch in drohender Ungewissheit. Die Alis sind Immigranten aus Syrien und sie sind Kurden. Die Familie fürchtet um ihre neue Heimat im niedersächsischen Kreis Cloppenburg. Denn seit dem 3. Januar 2009 ist ein zwischen Deutschland und Syrien geschlossenes Rückführungsabkommen in Kraft, nach dem Migranten ohne Pass abgeschoben werden können. Die Regelung könnte auch die kurdische Familie Ali treffen, die als Staatenlose nach Deutschland geflüchtet waren.

Hungerstreik vor dem Ministerium

Das Newroz-Fest ist für die Alis eine kurze Pause – angespannte Wochen liegen hinter ihr. Vater Salah Ali war sogar in den Hungerstreik getreten, protestierte im März zehn Tage lang mit anderen kurdischen Einwanderern vor dem Innenministerium gegen die drohende Abschiebung. Eigens dafür war er nach Berlin gereist, schlief nachts auf einer Isomatte in einem kurdischen Vereinshaus. Öffentliches Echo auf ihre Aktion gab es kaum. Schließlich brach Ali, der tumorkrank ist, das Hungern ab. Auch die anderen beendeten den Streik – zum Teil im Krankenhaus.

"Wenn ich in Syrien auf dem Flughafen ankäme, würde ich sofort verhaftet werden," sagt Ali, der politisch aktiv war und für die verbotene kurdische Yakiti-Zeitung geschrieben hat." Asyl erhielt seine Familie dennoch nicht, auch nicht der jüngste von sieben Kindern, der neunjährige Rakan, der hier geboren wurde. "Was könnten wir in Syrien anfangen?" fragt Tochter Avin, 22 Jahre alt. "Als Kurden dürfen wir dort weder wählen noch öffentlich arbeiten." Sie hat selbst zwei kleine Kinder, möchte sie hier zur Schule schicken. Und sie will eines Tages nicht mehr von Lebensmittelgutscheinen leben. Die bekommen die Alis, die in Niedersachsen nur mit Duldungsstatus leben, seit neun Jahren.

Das Auslieferungsabkommen ermöglicht der deutschen Regierung, alle abgelehnten Asylbewerber zurückzuschicken. Das Innenministerium habe „dabei direkt mit einem Folterstaat" kollaboriert, kritisiert Pro Asyl. Bernd Mesovic von der Flüchtlingsorganisation sagt, die Behörden zeigten "null Problembewusstsein gegenüber Menschenrechtsverletzungen in Syrien“, obwohl der Lagebericht des Auswärtigen Amtes hier eine deutliche Sprache spricht. Erfahrungsgemäß setzt Syrien rückkehrende Familien unter Druck, um Informationen über den Verbleib von politisch aktiven Angehörigen zu bekommen, hat das Syrian Human Rights Commitee dokumentiert.

„Moderne Standards“

Für die deutsche Regierung ist der Fall einfach: Das Abkommen nach "modernen europäischen Standards" stelle "einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der illegalen Migration aus dem Nahen Osten dar". Betroffen sind hierzulande rund 7.000 syrische Flüchtlinge. Die Familie Ali fühlt sich weder als "illegal" noch als kriminell. Sie hat längst Freundschaften aufgebaut, der 17-jährige Sohn Furad hat hier seinen Schulabschluss gemacht und muss nun die Abschiebung fürchten. Die gewünschte Mechaniker-Ausbildung darf er gar nicht erst anfangen.


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