Wenn der Regierungssprecher verkündet, die Koalition sei beim Streit um einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche „unverändert“ bemüht und „mittendrin“ in der Konsenssuche, verheißt das nichts Gutes. Eigentlich wollten Union und SPD schon Ende Januar ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem ein im Januar nach monatelangem Tauziehen gefundener Kompromiss umgesetzt werden sollte: eine Lohnuntergrenze über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das die Leiharbeit regelt.
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Offen war bislang noch, wo die Grenze gezogen werden soll: Auf der Höhe eines vom Deutschen Gewerkschaftsbund mit den Arbeitgeberverbänden BZA und IZA vereinbarten Tarifwerks? Oder dem deutlich darunter liegenden Niveau eines Vertrages, den die Christlichen Gewerkschaften mit dem Unternehmerverband AMP geschlossen haben? Unter Hinweis auf die Tarifautonomie argumentierte die Union, bestehende Regelungen dürften nicht durch einen per Gesetz festgelegten Mindestlohn verdrängt werden.
Die DGB-Gewerkschaften haben vorgerechnet, dass eine Entscheidung für den niedrigeren AMP-Tarif unter dem Strich Gehaltsunterschiede von über 140 Euro im Monat ausmachen könnten. In einer ohnehin von Niedriglöhnen dominierten Branche ist das kein Pappenstiel. Inzwischen hat die Union einen noch schlechteren – und gerade einmal für 4.000 der insgesamt über 600.000 Branchen-Beschäftigten geltenden – Tarifvertrag ins Spiel gebracht, der ebenfalls die Handschrift der Christlichen Gewerkschaften trägt und mit der Bundesvereinigung Deutscher Dienstleistungsunternehmer BDV abgeschlossen wurde. Auch dieser dürfe nicht unterschritten werden.
Wenn die SPD nun darauf dringt, die im Koalitionsausschuss getroffenen Verabredungen einzuhalten, ist das sicher gut gemeint – könnte aber nach hinten losgehen. Der vorläufigen Einigung nach hatten sich die Regierungsparteien nämlich nur darauf verständigt, dass „im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Lohnuntergrenze etabliert“ werden soll, „die die Tarifautonomie wahrt“.
Das läuft auf die Anerkennung des schlechtesten Lohn-Vertrages in der Branche hinaus. Vielleicht ergibt sich in der Koalition noch eine Kompromiss-Variante, in welcher der zweitniedrigste Tarif zur Orientierung für alle wird. Aber was wäre damit gewonnen? So oder so untergräbt eine solche Lösung jene Tarifautonomie, die sie schützen will. Gewerkschaften aus dem DGB-Lager klagen, dass sich die Debatte um den Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche bereits auf die laufenden Tarifverhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden BZA und IZA auswirkt. Welche Veranlassung sollten die Unternehmen auch haben, mit dem DGB höhere Entgelte abzuschließen, wenn sie es bei den christlichen Gewerkschaften oder gar per Gesetz deutlich billiger haben könnten, warnt der Leiter der Verdi-Grundsatzabteilung Tarifpolitik, Jörg Wiedemuth. Würden nicht auch jene Arbeitgeberverbände Mitglieder verlieren, die bisher mit den DGB-Gewerkschaften Verträge abgeschlossen haben? Würde das die Basis für die Tarifpolitik der DGB-Organisationen nicht noch weiter schmälern und damit den Gewerkschaftsblock, der noch die höchsten Abschlüsse anstrebt?
Union sieht sich von der FDP getrieben
Flächendeckende Mindestlöhne für die Leiharbeiter sind nicht nur wünschenswert, sondern auch dringend nötig. Die einen bemühen das Kaufkraftargument, die anderen die Forderung nach einem Lohn, von dem man nicht nur „überleben“ kann, sondern der auch soziale, kulturelle und demokratische Teilhabe ermöglicht. Man kann darüber streiten, ob die vom DGB für die Leiharbeiter vereinbarte Tarifspanne zwischen 6,42 und 7,51 Euro in der Stunde, diesen Anforderungen wirklich gerecht wird.
Aber selbst auf dieses nicht einmal besonders hohe Niveau wird sich die Koalition nicht einigen können. Die Union hat klargestellt, dass sie sich ein Einknicken in der Frage der Verdrängung von Tarifverträgen, so schlecht sie auch seien, nicht leisten kann – weil dies noch mehr Wähler der FDP in die Arme treiben würde. Es gibt weitere Gründe, zu den auch personelle Verflechtungen gehören: Der Bundesvorsitzende des Christlichen Gewerkschaftsbundes zum Beispiel ist inzwischen wieder CSU-Budnestagsabgeordneter.
Was ist für die Sozialdemokraten da noch zu gewinnen? Statt in der gegenwärtigen Lage noch auf einen schlechten Kompromiss zu dringen, sollte die SPD deshalb die Gespräche lieber scheitern lassen. Es besteht dann immerhin die Möglichkeit, so formuliert es Wiedemuth, „einen neuen Anlauf gegen den gemeinsamen Gegner zu starten“.
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