Nachdem die FDP ihre Steuersenkungspläne aufgeben musste, muss Philipp Rösler zumindest die Kopfpauschale (sprich Gesundheitsprämie) in der gesetzlichen Krankenversicherung durchsetzen. Da er hierfür auf keine zusätzlichen Steuermilliarden für die Finanzierung des Sozialausgleichs hoffen konnte, hat er sich an die Quadratur des Kreises herangemacht, und es scheint ihm gelungen! Aber zu welchem Preis?
1.
Von der alten Übersichtlichkeit ist nichts geblieben: Bis vor wenigen Jahren reichte die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge aus, um die Gesundheitsausgaben der gesetzlich Versicherten zu bestreiten. Heute schießt der Staat Milliarden über den Gesundheitsfonds zu und die Versicherten werden über dive
en über diverse Zuzahlungen, Zusatzbeiträge und Notopferprogramme immer öfter und immer stärker zusätzlich zur Kasse gebeten. Die jetzt vorgestellten Pläne werden die Finanzierung der Gesundheitskosten weiter verkomplizieren: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen zukünftig jeweils 7,3 Prozent vom Arbeitnehmerbrutto in den Gesundheitsfond zahlen. Die Geringverdiener sollen über die Beträge entlastet werden – bei einem Bruttoverdienst von nur 1000 Euro werden nur 4,9 Prozent statt 7,3 Prozent an Abgaben fällig. Dies entspricht rund 30 Euro, die der Versicherte seinerseits an anderer Stelle, nämlich an seine Krankenkasse, abzuführen hat (Voilà – der Sozialausgleich). Die Kassen bekommen im Gegenzug für jeden Versicherten 30 Euro weniger vom Gesundheitsfonds überwiesen, dieses Geld müssen sie auf eigenes Risiko von den Versicherten eintreiben. Ein derartig kompliziertes System verspricht nichts Gutes für die Zukunft, in der die Kosten der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung allein deshalb exorbitant ansteigen werden, weil sich derzeit die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre in großen Schritten dem Rentenalter nähern. Hier kann auf der Finanzierungsseite nun künftig an unterschiedlichen Stellschrauben gedreht werden – den je nach Einkommen unterschiedlichen Beitragssätzen, der je nach Kasse unterschiedlich hohen Kopfpauschale sowie einem sich aus mehreren Bestandteilen zusammensetzenden Steuerzuschuss. Transparenz buchstabiert sich anders.2.Wirklich überraschend an dem Rösler'schen Vorschlag ist, dass die als unsozial assoziierte Kopfpauschale nun mit dem sozialstaatlichen Element eines progressiv gestalteten Beitragssatzes zusammengebunden wird: Bei gleichen Leistungen zahlen Geringverdiener einen niedrigeren Satz als Verdiener an der oberen Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 Euro. Dies ist im Grunde genommen das Gegenteil von dem, was die FDP fordert – eine gleich hohe Pauschale für Sekretärin und Chef, die für die GeringverdienerInnen mit einem steuerfinanzierten Zuschuss abgemildert wird.3.Am stärksten in die Pflicht genommen werden die Krankenkassen, auf die die zusätzlich Arbeit zukommt, den Sozialausgleich über die Beiträge zu realisieren. Sie werden die Einkommen der Versicherten überprüfen müssen, so dass nicht ein Versicherter mit niedrigem Erwerbseinkommen, aber hohen anderweitigen Einkünften, in den Genuss des reduzierten Beitragssatzes kommt. Da die Beitragsermäßigung für die Armen aber nicht über eine Beitragserhöhung für die Besserverdienenden kompensiert wird, müssen die Mindereinnahmen über den Steuerzuschuss an den Gesundheitsfond ausgeglichen werden. Außerdem stehen die Krankenkassen nun vor der Herausforderung, von ihren Versicherten die Pauschale einzutreiben. Die Erfahrungen mit dem so genannten „Krankenhausnotopfer“, mit dem die Versicherten für die Dauer von drei Jahren zum Zwecke der Instandhaltungskosten der Krankenhäuser einen Sonderbeitrag in Höhe von jährlich 20 Euro an die Kassen zahlen sollten, versprechen einen massiven Verwaltungsaufwand und etliche Einnahmeverluste zu Lasten der Kassen.4.Der Wettbewerb wird nun auch künftig weiterhin über die Höhe der Pauschale stattfinden, denn diese kann auch höher oder niedriger sein als 30 Euro. Millionen von Versicherten haben bereits ihre Kassen gewechselt, nachdem diese einen Zusatzbeitrag von acht Euro erhoben haben oder gar, was sich aber nur die wenigsten Kassen trauten, den „kassenindividuellen Zusatzbeitrag“ von maximal bis zu 37,50 Euro. Es ist absehbar, dass viele kleine Kassen aufgeben oder mit größeren Kassen fusionieren werden. Am Ende werden wenige große Kassen übrig bleiben, und dies ist wohl auch politisch gewollt. Unter Wettbewerbsvielfalt stellt man sich gemeinhin aber etwas anderes vor.5.Dieses „Reform“vorhaben ist ein sich ins Unerträgliche steigernde Herumgemurkse, das über die erhöhte Pauschale bestenfalls für kurze Zeit etwas mehr Geld in die Krankenkassen spült. Die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Finanzierung des Gesundheitssystems wird weiter verschleppt: nämlich die seit Beginn der Großen Koalition im Jahr 2005 zurückgestellte Frage, ob eine echte Kopfpauschale mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich eingeführt wird oder eine universale Bürgerversicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einzahlen.Die ersten Reaktionen auf Röslers Vorschlag, auf dem nebenbei noch der Druck lastet, den kompletten Gesichtsverlust der FDP in der Regierungskoalition zu verhindern, weisen auf ein weiteres Problem hin: Die Finanzierung der Gesundheit ist so kompliziert, dass sich Veränderungen kaum durchsetzen lassen: die Arbeitgeber haben schon vorgerechnet, dass sich die Arbeitskosten um zwei Milliarden Euro im Jahr erhöhen werden, die Gewerkschaften sehen die paritätische Finanzierung immer mehr schwinden, die Rentenversicherung will für die Krankenversicherung der Rentner nicht 20 Millionen Euro im Jahr mehr ausgeben und die Krankenkassen schrecken – zu Recht – vor dem gewaltigen Verwaltungsaufwand zurück, der ihnen der Einzug der Pauschale und die Feststellung des individuellen Kassenbeitrags der Geringverdiener bescheren wird. Die BeitragszahlerInnen selber verharren in Schockstarre, denn sie können die Folgen einer solchen Reform für sich selber nicht abschätzen. In einer solchen Situation aber sollte eine Reform der Krankenversicherung so lange aufgeschoben werden, bis eine klare politische Mehrheit den Befreiungsschlag ermöglicht. Solange muss die Finanzierung durch einen höheren Bundeszuschuss sichergestellt werden – auf nichts anderes läuft ja auch der vorliegende Vorschlag hinaus.