Verhandelt jetzt!

Afghanistan Die Entscheidung über einen Abzug der Bundeswehr muss schnell fallen. Regionale Waffenstillstände können den Weg ebnen – die Chance darf nicht länger ignoriert werden

Am 4. September vergangenen Jahres haben deutsche und afghanische Friedensorganisationen in Berlin einen gemeinsamen Friedensplan vorgelegt. Der Kern: Die Bundesregierung solle in Gesprächen mit den unterschiedlichen Gruppierungen der afghanischen Opposition einschließlich der Taliban und mit der afghanischen Regierung eine neue Tür für Gespräche öffnen und einen Verhandlungsprozess nach Kräften fördern. Die Bundesregierung schwieg dazu.

Am 31. Juli dieses Jahres haben die Friedensorganisationen diesen Plan durch einen Vorschlag für regionale Waffenstillstände, namentlich für die Region Kundus, ergänzt. Die Kommandeure der Aufständischen signalisierten ihr Einverständnis zu entsprechenden Verhandlungen. Die Bundesregierung schwieg dazu.

Am 4. September diesen Jahres warfen US-Kampfflugzeuge auf Anforderung durch einen Bundeswehr-Oberst zwei schwere Bomben auf entführte Tanklastwagen ab, die im Kundus-Fluss feststeckten. Mehr als 50 Aufständische und 30 Zivilisten wurden getötet. Deutlicher konnte die Absage an die Verhandlungsbemühungen nicht formuliert und effektiver konnte die Rekrutierung weiterer Aufständischer nicht unterstützt werden.

Militärisch nicht zu gewinnen

Die deutsche Afghanistan-Politik steht damit vor einem Scherbenhaufen. Die Bundesregierung weiß ebenso wie die NATO und die US-Militärs, dass der Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist und doch ist sie nicht bereit, die wertlos gewordene militärische Karte fallen zu lassen.

Vorsichtig denken sich jetzt Koalitionspolitiker bis hin zur Kanzlerin an das Thema Abzug heran. Am weitesten wagte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit einem Vorschlag vor, bis 2013 sollten die Voraussetzungen für einen Abzug der Bundeswehr geschaffen werden. Doch auch er setzt immer noch auf einen militärischen Sieg, wenn schon nicht der Bundeswehr und der NATO, dann doch wenigstens der afghanischen Armee und Polizei. Bis zum Abzug der Bundeswehr müssten genügend Soldaten und Polizisten ausgebildet werden, dann könnten diese das blutige Geschäft übernehmen.

Illusionär sagen Experten, die wissen, wie viele der frisch ausgebildeten afghanischen Soldaten und Polizisten schon jetzt mitsamt ihren neuen Waffen zu den Aufständischen überlaufen. Da wirken familiäre Bindungen, da lockt auch ein mehrfach höherer Sold. Nach Einschätzung des renommierten Londoner ICOS-Instituts sind die Aufständischen mittlerweile auf 80 Prozent des afghanischen Territoriums ständig präsent und aktiv. Ihr Zulauf ist ungebrochen.

Waffenstillstand verhindert Blutzoll

In dieser Situation müssen NATO und Bundesregierung realistisch die für sie bittere Wahrheit eingestehen, dass ihr Krieg in Afghanistan verloren ist. Nur dann können sie vielleicht die wenigen verbliebenen Möglichkeiten nutzen, Afghanistan auf dem Weg zum Frieden zu helfen, den innerafghanischen Dialog zu fördern und die Besatzungstruppen geordnet abzuziehen. Bessere Möglichkeiten wurden in den vergangenen zwölf Monaten leichtfertig verspielt. Die Vereinbarungen und der Zeitplan des sowjetischen Abzuges 1989 zeigen jetzt einen realistischen Weg. Waffenstillstandsvereinbarungen können darüber hinaus helfen, in dieser Schlussphase den Blutzoll zu verringern und damit nicht nur Afghanen, sondern auch Bundeswehrsoldaten das Leben zu retten. Doch dann muss die grundsätzliche Entscheidung zum Abzug jetzt schnell fallen.

Die Alternative heißt weitere Truppenverstärkung – auch der Bundeswehr – und damit eine weitere Eskalation des Krieges ohne jede Aussicht auf Erfolg. Das historische Vorbild heißt Vietnam, das Ende ist bekannt.


Otmar Steinbicker, Jahrgang 1952, ist seit 2003 Vorsitzender des Aachener Friedenspreis e.V., seit 2006 einer der Sprecher der Kooperation für den Frieden, einem Zusammenschluss von 50 Organisationen und Initiativen der deutschen Antikriegsbewegung

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