Vom Wandel der Kampfstoffe

1. Mai Früher sahen Autonome aus wie Punks auf dem Weg zum Banküberfall. Das waren noch Zeiten. Heute haben selbst die Berliner Polizisten ein ästhetisches Militanzproblem

Wenn am Sonntag am 1. Mai wie jedes Jahr der schwarze Block durch Kreuzberg zieht, wirkt das für viele sehr uniform und mancher denkt sogar, das wäre alles wie früher. Ganz falsch! Es hat sich nämlich in den letzten Jahren so einiges getan in der Szene – vor allem in modischer Hinsicht. Und gerade jetzt, wo die dritte Generation Carhartt-Jacken tragender Autonomer in den Ruhestand geht, steht der Mai-Chic wieder an einem Scheideweg.

In dieser Saison scheint sich flächendeckend Kleidung der Marke „mobaction“ durchzusetzen, farblich dazu werden passende Airwalk-Nike-Stiefel getragen. Großer Beliebtheit erfreut sich auch eine Kombination aus Northface-Jacke und Röhren-Jogginghosen. Wer nur Facharbeiterkind ist, muss sich allerdings mit einem schwarzen Neoprenkittel aus dem Discounter begnügen.

Doch egal, ob markengebrandete High-End-Riot-Kleidung oder Kampfstoff in der Billigvariante: Die Autonomen sehen heute immer mehr aus wie Trauer tragende Fußballprofis beim Presse-Trainings-Termin. Dieser Fitness-Aspekt wirkt gerade auf ältere Demonstrationsteilnehmer eher abschreckend. Doch gegen den Hang zur Sportkleidung, der für diese immer jugendlicher werdende Politikbranche Fetischcharakter zu besitzen scheint, ist kein Mittel gewachsen. Man denke nur an die Kapuzenpulli-Obsession der neunziger Jahre zurück, als die Antifa wie ein Trupp von Personal-Jogging-Trainern aussah und in ästhetischer Hinsicht allemal als europäisches Gegenstück zur amerikanischen Fernsehserie Baywatch durchgehen konnte. Während sich David Hasselhoff und Pamela Anderson in die pazifischen Wellen stürzten, stemmten sich Anna und Anton dem Strahl des Wasserwerfers entgegen.

Als jemand der in den achtziger Jahren sozialisiert wurde, denke ich oft wehmütig an die Zeit zurück, als Autonome noch aussahen wie Punks auf dem Weg zum Banküberfall. Das hatte Stil und setzte das Infragestellen der bürgerlichen Gesellschaft auf einer Ebene fort, die sonst gerade mal gut genug ist, um Menschen nach modischen Zwangsvorstellungen performativ zu gendern.

Feuerwehrmann in Ausgehuniform

Aber der Siegeszug postmoderner Beliebigkeit betrifft längst nicht nur die linke Szene. Nein, das ästhetische Militanzproblem macht auch vor der Polizei nicht halt. Die neuen Wannen der Freunde und Helfer in metallicgrau und blau sehen aus wie Fahrzeuge des Gasag-Entstörungs-Dienstes. Und trotz leerer öffentlicher Kassen ist die Zeit nicht fern, da alle Berliner Beamten ebenfalls in blauen Uniformen stecken werden. Wie soll man da noch einen Polizisten von einem Feuerwehrmann in Ausgehuniform auf dem Weg zum Stadtteilfest unterscheiden? Und was bringt die Zukunft?

In zwei Jahrzehnten tragen die Autonomen womöglich enganliegende Latex-Catsuits, wie sie momentan in stylischen Science-Fiction-Filmen wie Matrix und in SM-Studios Verwendung finden. Mit dem Outfit lässt sich sicher auch gut eine Kampagne des postdigitalen Sklavenaufstandes inszenieren. Wie die Polizeibeamten bis dahin aussehen, will ich mir lieber gar nicht vorstellen. Tragen die dann Matrosenanzüge oder pyjamaähnliche Uniformen wie Captain Kirk und Spock? Nicht eben vielversprechend. Aber wer weiß, am 1. Mai ist ja immer alles möglich. Der soll dieses Jahr ja ohnehin in Neukölnn stattfinden. Und vielleicht stehen sich da dann doch wieder ganz klassisch Irokesenschnitt und Schnauzbart gegenüber. Lassen wir uns überraschen!

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