Wer schwach ist, muss sich stark reden. Wenn Frank-Walter Steinmeier dieser Tage gefragt wird, warum er glaubt, dass die raubtierkapitalistische FDP in einer Ampelkoalition gebändigt, in einem Bündnis mit der Union dagegen von der Leine gelassen würde, wachsen dem 20-Prozent-Spitzenkandidaten regelmäßig dicke Muskeln. Die „vielen starken Sozialdemokraten“ hätten der großen Koalition erst ihren rosa Anstrich verpasst. Und wer Angela Merkel zu einer „Politik des Augenmaßes“ zwingen könne, dem werde das mit den Neo-Liberalen erst recht gelingen.
Ob in der SPD wirklich noch jemand davon ausgeht, Guido Westerwelle könnte am Wahlabend seine demonstrative Ablehnung einer Ampelkoalition vergessen? Es spricht zu viel dagegen – mehr als nur Marketinggründe wie der, dass die Liberalen kein Interesse daran haben können, wieder als Umfallerpartei dazustehen. Im Jahr 1 nach Ypsilanti wiegt so etwas schwer.
Drittes Rad am rot-grünen Wagen
Mehr noch könnten taktische Erwägungen ins Gewicht fallen. In einem Ampelbündnis wäre die FDP immer so etwas wie ein drittes Rad am rot-grünen Wagen, die Liberalen würden es alles andere als einfach haben, ihre wirtschafts- und steuerpolitischen Duftmarken zu setzen, was schnell dazu führen könnte, dass die von der „sozialdemokratisierten“ Union enttäuschten Wechselwähler wieder abwandern. Hinzu kommt, dass es kaum Erfahrungen mit solchen Konstellationen gibt und eine rot-gelb-grüne Bundesregierung in der Länderkammer keinen Rückhalt findet.
Wie klein der gemeinsame politische Nenner ist, lässt sich bei der Lektüre der Wahlprogramme kaum übersehen: Steuererhöhungen gegen Steuersenkungen, staatliche Arbeitsplatzprogramme gegen Marktsteuerung, Mindestlohn gegen „Deregulierung“, Bürgerversicherung gegen Gesundheitsschutz je nach Portemonnaie, Atomausstieg gegen Kernkraftverlängerung. Auf dem Papier handelt es sich weniger um potenzielle Partner als um Musterkonkurrenten. Das wird man auch angesichts kleinerer Gemeinsamkeiten auf den Feldern Bürgerrechte und Bildungspolitik kaum ignorieren können.
Potemkinscher Wahlkampf
Warum tut die SPD dann trotzdem so, als wäre diese Koalition ihre erste Wahl? Weil sie sonst keinen „Kanzlerkandidaten“ hätte nominieren müssen. Die Ampel ist die einzige nicht ausgeschlossene Variante, in der die Sozialdemokraten noch das Anrecht auf den größten Stuhl am Kabinettstisch hätten. Als sich jetzt Finanzminister Steinbrück lobend über die große Koalition geäußert hat, sahen seine Genossen das auch nicht als politisches Problem, sondern als ein psychologisches: „Wen das jetzt motivieren soll, das weiß nur der Peer“, wird einer aus der Fraktionsspitze zitiert. „Nach Angriff sieht das jedenfalls nicht aus.“ Und ein anderer warnt davor, dass ein allzu offenen Signal für die Fortsetzung des Merkel-Bündnisses die Verhandlungsmasse der Sozialdemokraten am Wahlabend schmälern könnte.
Hinter den Kulissen dieses potemkinschen Wahlkampfes, in dem man aus Motivationsgründen ein Wahlziel vorgibt, in Wahrheit aber ein anderes verfolgt, hat längst ein neuer Wettlauf begonnen – der um die Zukunft der Partei. Personelle Fragen verbinden sich dabei mit der strategischen, ob eine Juniorrolle in einer Regierung vorzuziehen wäre (Gestaltungsanspruch), oder nicht doch der Gang in die Opposition (Erneuerungsauszeit). Den fürchtet die alte Schröder-Garde, weil er einige von ihnen hinwegfegen könnte (Steinbrück, Müntefering) und andere sich nur dann halten werden, wenn sie Zugeständnisse an die innerparteiliche Konkurrenz machen. Rettet sich Frank-Walter Steinmeier dagegen noch einmal in die Regierung, werden es jene, die als neue starke Frauen und Männer der SPD schon gehandelt werden, weit schwerer haben, sich in Position zu bringen.
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