Was ist dran? 6 (Fehl-)Urteile

Elf Freundinnen Spielen Frauen langsamer als Männer? Gucken weibliche Fans lieber Frauenfußball? Sechs Urteile über einen Sport, in dem Blutgrätschen die Ausnahme sind


Samstag, Sportschau, Fußball. Erst Berichte aus der Zweiten Liga, dann die Erste, Spitzenspiele kommen gegen Ende der Sendung: Spannung bis zum Schluss. Frauenfußball wird nicht gezeigt, schon gar nicht auf dem besten Sendeplatz. Interessiert eh niemanden.
Stimmt – zumindest nicht im Vergleich zum Männerfußball. Nicht im Fernsehen und nicht im Stadion: 833 Zuschauer sahen in der vergangenen Saison im Schnitt die Partien der Frauen-Bundesliga live vom Spielfeldrand. Bei den Männern waren es durchschnittlich mehr als 42.000. Solche Zahlen geben Spöttern recht, die den Sport als Randerscheinung einstufen. Da mag der Frauenfußball vor der Weltmeisterschaft gefühlt noch so sehr im Aufschwung sein.

Jeder Vergleich mit der Popularität des Männerfußballs muss allerdings beachten, dass sich Männer schon von 1900 an im Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisieren konnten, Frauen dagegen bis 1970 warten mussten, ehe der DFB das bis dahin bestehende Verbot aufhob.

Absolut gesehen wird Frauenfußball in der Tat immer populärer, aber es braucht Zeit, sich in einer über 70 Jahre von Männern dominierten Disziplin zu etablieren. Nicht nur, was die Zuschauergunst angeht, auch Gehälter, Marketingverträge und Nachwuchsförderung sind erst auf dem Weg zum Standard der Herren. Ob sie dort ankommen, oder eine andere Geschichte schreiben, kann man erst in 70 Jahren wissen. Anna-Lena Krampe

2. Elf Frauen, die nach einem Ball treten, sehen einfach unästhetisch aus

Man schrieb das Jahr 1981, und die deutsche Frauennationalmannschaft hatte noch nie ein offizielles Spiel verloren, als ein Fußballspieler und -ästhet die These loswurde: „Ich finde Frauen, die gegen den Ball treten, schlichtweg unästhetisch. Frauenfußball ist geschmacklos.“

Wie jedes Stilurteil ist auch dieses kaum als richtig oder falsch zu bewerten. Es erlaubt jedoch Rückschlüsse auf den, der es fällt: etwa Neandertaler, Idiot oder Macho-King-Kong-Schwein. Man muss das Urteil allerdings im Licht seiner Zeit lesen. 1981 hatte die deutsche Fußball­nationalmannschaft der Frauen nicht nur kein offizielles Spiel verloren, sondern auch noch keines gewonnen. Es gab im DFB noch gar keine Frauennationalmannschaft; erst einige Jahre zuvor hatte der Verband ein aus „grundsätzlichen Erwägungen“ und „ästhetischen Gründen“ ausgesprochenes Fußballverbot für „Damen“ aufgehoben.

Im Jahr 1981 aber wurden die Fußballerinnen lauter, und der männliche Fußballer als solcher musste unter diesen Umständen sein Spielfeld verteidigen. Im Rückblick kann man das, was der Mann damals meinte, wohl am besten so umschreiben: Fußballerinnen sind so geschmacklos wie Frauen in Führungsetagen und Väter, die auf Kinder aufpassen. 1982 fand dann das erste Frauenländerspiel statt. Klaus Raab

3. Frauen spielen langsamer als Männer

Ein verbreiteter Spott-Spruch, der selbst bei Freunden des Sports ein Schmunzeln hervorruft, lautet: „Frauenfußball ist wie Pferderennen mit Eseln.“ Was auf jeden Fall stimmt: Schaltet man während eines Fußballspiels den Fernseher ein, ist selbst aus der Vogelperspektive schon nach ein paar Sekunden zu erkennen, ob es sich um ein Männer- oder Frauenfußball-Spiel handelt. Das liegt vor allem an der Geschwindigkeit.

Ganz klar, Frauenfußball ist langsamer als Männerfußball. Das Tempo hat sich in den vergangenen Jahren zwar deutlich gesteigert, stößt aber irgendwann an seine Grenzen: Selbst die fittesten Frauen laufen einfach etwas langsamer als die schnellsten Männer. Das ist beim Sprint so, im Hockey und im Fußball eben auch.

Dem Gewohnheitstier Fernsehzuschauer soll der Tempoverlust aber während der WM nicht mehr auffallen. Erstmals im Frauenfußball sollen 18 Kameras, zwei Steadicams und Torkameras jede noch so kleine Bewegung auf dem Spielfeld dokumentieren. Das bringt, neben mehr Übersicht, auch die Möglichkeit, durch schnelle Umschnitte die Spielgeschwindigkeit für den Zuschauer optisch zu erhöhen. Hinzu sollen virtuelle 3D- Grafiken und Spielanalysen kommen. Der Beginn neuer Sehgewohnheiten? Ende Mai haben ARD und ZDF jedenfalls die Übertragungsrechte für die Spiele der Nationalmannschaft verlängert. Im Paket enthalten sind auch die Spiele der Frauen-Bundesliga. Anna-Lena Krampe

4. Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen

Es ist eine simple, aber irgendwie bittere Einsicht: Auch Sätze können in die Jahre kommen. Sie kriegen dann einen Bart und werden grau. So wie unsere Männer. Der Satz, nein, diese Sentenz, die auf den im Vergleich zu Wayne Rooney unglaublich gut aussehenden britischen Ex-Stürmer Gary Lineker zurückgeht, scheint mir ein gutes Beispiel für diese Art der syntaktischen Vergänglichkeit zu sein.

Denn seit ich denken kann, verhielt es sich immer so: 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball, und am Ende werden die anderen Weltmeister. Meist sogar eine jener Mannschaften, bei denen zehn von elf Männern 85 Minuten hinten drin standen – um auch mal ganz lässig einen Fachausdruck zu benutzen und endgültig mit der Legende aufzuräumen, dass da irgendjemand irgendetwas nachjagen würde.

Dieses Jahr aber wird alles gut. Das sagen mir die Fußball-Sterne. Venus im dritten Haus. Und so werden unsere Mädels am Ende immer gewinnen. Egal, wer da kommt. Denn genau genommen haben sie noch nie was anderes getan. 40 Prozent aller Weltmeisterschaftstitel im Frauenfußball gingen bisher an uns. Eine irre Bilanz. Eine, von denen die Männer bisher nur träumen können. Jana Hensel

5. Frauen setzen sich auf dem Platz nicht durch

Die dribbelstarken Brasilianer der Neunziger haben gezeigt, wie Fußball sein soll: schnell und filigran, mit Übersteigern und Kurzpassspiel. Harte Fouls mit übermäßigem Körpereinsatz und Platzverweise hemmen nicht nur den Spielfluss, sie schmeicheln auch nicht dem Auge des Zuschauers.

Taktische Feinheiten und spielerische Finesse werden oft als Gradmesser für die Attraktivität des Frauenfußballs herangezogen. Hier gibt es zwar auch harte Zweikämpfe; Grätschen mit anschließendem Platzverweis aber bleiben die Ausnahme. Das bestätigen auch die Zahlen aus den vergangenen Weltmeisterschaften: Mit neun gelben Karten führt die deutsche Frauen-Nationalmannschaft selbst diese Statistik für die WM 2007 an. Portugals Männer stehen mit 20 gelben und zwei gelb-roten Karten während der WM 2010 deutlich darüber.

Was auf der einen Seite für die Attraktivität des Frauenfußballs spricht, befördert auf der andere Seite das Klischee, Frauen hätten auf dem Platz kein Durchsetzungsvermögen. Das Gegenteil beweisen Frauen wie Birgit Prinz. Sie sollte 2003 vom AC Perugia verpflichtet werden – für die Herrenmannschaft. Prinz lehnte dankend ab. Ein Zeichen der Akzeptanz unter Männern setzte das Transfergerücht trotzdem. Und dann gibt es da noch Bibiana Steinhaus. Sie wurde inzwischen als erste weibliche Erstliga-Schieds­richterin für die Männer-Bundesliga empfohlen. Anna-Lena Krampe

6. Weibliche Fans gucken besonders gerne Spiele von Frauenmannschaften

Die Zukunft der populärsten Sportart Deutschlands ist weiblich, prophezeite Joseph Blatter 2007. Deutschland ist das Land mit den meisten weiblichen Stadionbesuchern, und laut ARD sind 30 Prozent der Zuschauer der Sportschau weiblich. Unter den Besuchern von Frauenfußballspielen erfasste eine Marketingstudie 2009 eine Geschlechterverteilung von 60 Prozent Männern zu 40 Prozent Frauen – auf den Zuschauerrängen saßen zumeist Männer im mittleren Alter sowie junge Mädchen.

Bei den Fernseh-Zuschauern sticht eher die Altersverteilung ins Auge als die Frauenquote: Laut dem Onlineportal framba.de war beim letzten Spiel der deutschen Damen am 3. Juni die Mehrheit des TV-Publikums über 65 – wobei die Tendenz zeigt, dass Frauenfußball mit steigendem Alter der Zuschauer immer beliebter wird.

„Wir haben auch Zuschauer, die sich vom gut bezahlten Herrenfußball ab­gewandt haben, die Frauenfußball schön finden, weil es für sie noch ehrlicher Sport ist“, sagt Claudia von Lanken, zuständig für „Teammanagement und Kommunikation Frauenfußball“ beim Hamburger Sportverein. Firmen erhoffen sich durch Werbung mit Kickerinnen laut Angaben von Sport+Markt einen Imagegewinn als modern und sozial engagiertes Unternehmen. Helen Whittle


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