Wenn Hürlimann jodelt

Schweiz Viele politische Konflikte haben zwei Seiten, eine possenhafte und eine ernsthafte. Das gilt auch für die Kontroverse um die Steueroase Schweiz und das Bankgeheimnis

Der in Berlin lebende, schweizerische Bergdichter Thomas Hürlimann, geboren in der Steueroase Zug, glaubt noch, das Bankgeheimnis sei erfunden worden, um die Guthaben jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz zu schützen. Historiker wissen, dass die Schweiz 1934 den Straftatbestand „Bankspionage“ einführte, nicht um die Vermögen jüdischer Flüchtlinge zu schützen. Sie tat es, um die seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 in die Schweiz gesickerten Gelder von Steuerbetrügern juristisch abzusichern. So entstand der „Finanzplatz“ Schweiz und die politisch wie moralisch restlos verkommene Unterscheidung zwischen „legaler“ – für die Schweiz lukrativer – Steuerhinterziehung und strafbarem Steuerbetrug. Um diese Unterscheidung zu rechtfertigen, braucht man Theologen oder Berg-Lyriker vom Format Hürlimanns. Mit „wir“ oder „wir Schweizer“ beginnen viele seiner Sätze und die haben alle kräftigen Hautgout. Außer einer Vorliebe für alpinen Kitsch verrät Hürlimanns national imprägniertes Jodeln eines: der Autor scheint an national bedingter Dauererektion – medizinisch: Priapismus, volkstümlich: genitalem Alpinismus – zu leiden.

Wer nicht den Hofnarren spielt

Ernsthaft wurde die Sache nicht in den deutschen Feuilletons, sondern in der schweizerischen Innenpolitik. Die Universität St. Gallen, eine Kaderschmiede für das kleine Einmaleins des Geldverdienens, wollte dem „kapitalen“ Image entgegenwirken und richtete einen Lehrstuhl für „Wirtschaftsethik“ ein. Aber man verrechnete sich. Die berufenen Wirtschaftsethiker erwiesen sich als Wissenschaftler, nicht als Hofnarren. Sie spielten und spielen dem abgewirtschafteten Neoliberalismus seine Melodie vor und entlarven damit die Verlogenheit der „Universität“.

Die Folgen erfuhr der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann jetzt hautnah. Ende März referierte er vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in Berlin über das Schweizer „Bankgeheimnis“. Besonders beklagte er, in der Schweiz fehle für den moralisch und politisch doppelten Boden dieses „Geheimnisses“ jedes Unrechtsbewusstsein. Eine triviale, empirisch unangreifbare Feststellung. Und selbst wenn es sich „nur“ um eine Expertenmeinung handelte, wäre sie doppelt gedeckt. Erstens durch den Schweizer Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre, zweitens durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Aber wo Geld, Bankgeheimnis und Schweizertum regieren, taugen Grundrechte allenfalls als Festdekoration. Selbst die zurückhaltende Neue Zürcher Zeitung sprach von Thielemann als „Aufklärer“ in Anführungszeichen, so als ob er gelogen hätte, als er die korrupte Doppelmoral der Schweizer Banken benannte. Ex-Professoren der kapitalen „Universität“ St. Gallen und Politiker forderten gleich den Rücktritt des „Nestbeschmutzers“, der Rektor schwadronierte öffentlich über „Entlassung“, und der Emeritus Rolf Dubs – eine der trübsten Gestalten dieser kapitalistischen Kaderschmiede und nebenher Berater von Roland Koch in Sachen Bildungspolitik – gab zu Protokoll: „Thielemann hat die akademische Freiheit missbraucht.“ Merke: In der Schweiz missbraucht man die akademische und die Meinungsfreiheit, wenn man sich ihrer jenseits kapitalistischer Interessen bedient.

Wer kein Augenmaß hat

Bei der Woche für Woche mehr nach rechts abdriftenden, ehedem liberal-demokratischen Weltwoche legte man nach. Ein Kommentator hielt dort Thielemann vor, er werde seit 1988 vom Schweizer Steuerzahler „finanziert“, aber nicht länger, wenn er vom Ausland her „auf seinen Brötchengeber spuckt“. So also stellen sich die intellektuellen Fußtruppen der Blocher-Partei Meinungsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre vor.

Eines ist jetzt schon sicher. Der Dozent Thielemann wird an der Kapital-Universität St. Gallen wohl nie Professor. Der Rektor verzichtete zwar auf Sanktionen und beließ es gnädig bei der obrigkeitlichen Zurechtweisung, Thielemann habe in Berlin „das Augenmaß in erheblichem Maße vermissen lassen“, und beteuerte gleich: „Die Freiheit von Forschung und Lehre ist das höchste Gut.“ Außer man reklamiert es für sich! Der possierliche Alpenpoet Hürlimann schwadroniert derweil von der „Staatsfrömmigkeit“ der Deutschen.

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