Vor zwei Jahren erreichte die Lebensmittel vs. Biodiesel-Debatte ihren Höhepunkt. In mehreren Ländern war es wegen hoher Lebensmittelpreise zu Protesten und Unruhen gekommen. Verschiedene Studien machten die Ausweitung der Biospritproduktion für den weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise um bis zu 83 Prozent verantwortlich. „Die gesteigerte Biosprit-Produktion hat zu diesem Anstieg maßgeblich beigetragen“, hieß es etwa in einer Untersuchung der Weltbank. Zu ähnlichen Einschätzungen gelangten der in Washington ansässige Think Tank International Food Policy Research Institute (IFPRI) und die Welternährungsorganisation FAO. Hinzu kam Skepsis über die tatsächlichen Umweltvorteile von Ethanol, die ihren Widerhall in einer Rei
Reihe von Artikeln in westlichen Medien fand. Wohl in einem Anflug von Panik bezeichnete der damalige UN-Sondergesandte für Recht auf Ernährung, Jean Ziegler, im April 2008 Biokraftstoffe gar als „Verbrechen gegen die Menschheit“.Doch – und das wurde in der Diskussion gern überlesen – hatte die Krise am Lebensmittelmarkt hat nach Einschätzung der Weltbank durchaus verschiedene Ursachen – wie die Verteuerung von Energie und Düngemitteln, die Dollar-Schwäche, die weltweit wachsende Nachfrage nach Nahrung, aber auch die Exportstopps einiger Länder, die etwa bei Reis zu kurzfristigen Engpässen auf dem Weltmarkt geführt haben.Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva war der verkürzten Sichtweise bereits von Anfang an energisch entgegengetreten und machte „wirtschaftliche Interessen der Industriestaaten“ für die aufkommende Kampagne verantwortlich. Er verwies auf Agrarsubventionen und Importzölle in den USA und der EU als eigentliches Problem.Und tatsächlich unterscheidet sich die Situation zwischen Brasilien und den USA, den beiden weltweit führenden Ethanolproduzenten, gewaltig. Während die USA Ethanol vor allem auf der Basis von Mais herstellen, gewinnt Brasilien sein Ethanol aus Zuckerrohr, was als die effizientere Methode gilt. Laut FAO senkt aus Zuckerrohr hergestelltes Ethanol den Kohlendioxid-Verbrauch um 80 bis 90 Prozent gegenüber fossilen Energieträgern und ist damit bis zu achtmal effizienter als aus Mais gewonnenes Ethanol. Zudem braucht Ethanol aus Zuckerrohr in der Herstellung weniger Treibstoff, Düngemittel und Pestizide. Selbst kritische Organisationen wie Oxfam bezeichnen brasilianisches Ethanol als die beste Option aller Biokraftstoffe.Während der Preisanstieg in den USA für Mais – in vielen Staaten Lateinamerikas Grundnahrungsmittel – zwischen 2004 und 2007 fast alleine auf den höheren Einsatz von Agrarrohstoffen für Biokraftstoff zurückgeht sind die Preise für Zucker im selben Zeitraum weltweit gefallen. Ab 2012 soll in Brasilien zudem Ethanol aus Zellulose gewonnen werden können, zum Beispiel aus Pflanzenabfällen. Damit soll die Verwendung von Lebensmitteln zur Ethanolgewinnung weiter gesenkt werden.Die Weltbank-Studie gibt denn auch zu, dass zumindest in Brasilien kein direkter Zusammenhang zwischen Ethanolproduktion und Anstieg der Lebensmittelpreise besteht. Der Wirtschaftsexperte Rodolfo Hoffmann argumentiert, dass in Brasilien vielmehr Armut der Hauptgrund für Lebensmittelunsicherheit ist.Ethanol gilt als einer der Schlüssel für Brasiliens zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Bereits heute stammen 46 Prozent des brasilianischen Energiesektors aus erneuerbaren Energiequellen – gegenüber zwölf Prozent im weltweiten Durchschnitt. Die Ethanolproduktion boomt und die Aussichten werden von Regierung und Zuckerrohrindustrie in rosaroten Farben gemalt. Brasiliens Präsident Lula wirbt bereits seit Jahren für Ethanol als eine Art Wunderwaffe gegen Armut und Klimawandel. Ethanols als erneuerbare und „saubere“ Energiequelle helfe, die Gasemissionen zu reduzieren sowie das Wachstum in den Entwicklungsländern zu beschleunigen.Gefahr des AgrarkolonialismusAuf dem Brasilien-EU-Gipfel im Juli in Brasilia wurde bspw. ein Dreier-Abkommen geschlossen, in dem sich Brasilien und die EU verpflichten, bei Programmen zur Produktion von Ethanol und anderen Biokraftstoffen in Mozambique zusammen zu arbeiten. Die Programme sollen gleichzeitig zur Armutsbekämpfung dienen und anderen interessierten afrikanischen Staaten offen stehen. Doch das Vorhaben ist keineswegs so uneigennützig wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Brasilianische Zucker- und Ethanolkonzerne könnten durch die Produktion in Mozambique EU-Importzölle umgehen, die für die frühere portugiesische Kolonie nicht gelten. Nach demselben Muster verschaffen sie sich bereits durch Plantagen in der Karibik und Zentralamerika Zugang zum US-Markt. Doch die Ausweitung der Plantagen für Zuckerrohr und die Ölpflanze Jatropha verdrängt in Mozambique Kleinbauern von ihrem Land. Umweltorganisationen weisen daher auf die Gefahr eines brasilianischen „Argarkolonialismus“ hin.Auch sei die Ethanolgewinnung keineswegs so „grün“, wie von der Regierung gerne propagiert, warnen Experten. So erleichtert die Technik, nur die Blätter zu verbrennen, ohne das Rohr zu zerstören, zwar die Ernte per Hand und erhöht den Zuckergehalt des Rohrs, setzt aber zugleich enorme Mengen von Treibhausgasen und anderen Verschmutzungen frei. Brasilien hat zwar seine Emissionen vor allem im Transport und bei der Energieproduktion durch Wasserkraftwerke stark gesenkt, ist aber immer noch achtgrößter Produzent von Emissionen weltweit – nur knapp hinter China und Indien. Auch sei die Akzeptanz brasilianischen Ethanols nicht größer, da viele Staaten befürchteten, dass eine Produktionssteigerung auf Kosten des Amazonas-Regenwaldes gehe.Die brasilianische Regierung argumentiert dagegen, dass Zuckerrohr vor allem im Zentrum und Süden des Landes angebaut werde, also weit entfernt vom Amazonas oder Pantanal. Wissenschaftliche Experten wie Ariovaldo Umbelino, Geograf und Professor an der Universität São Paulo, widersprechen allerdings den Thesen der Regierung. Es gebe durchaus einen Dominoeffekt. Die Ausweitung der Zuckerrohrproduktion habe eine Verdrängung von Soja- und Maisanbau auf heute noch ungenutzte Flächen und deren Abholzung zur Folge. Zudem gehe sie zu Lasten anderer Nahrungsmittel wie Bohnen und Reis. Die massiven Investitionen in den Ethanolsektor haben zur Folge, dass viele Viehbauern bspw. ihr Land im Süden an Agrarkonzerne verkaufen und auf billigeres Land im Norden an der Grenze zum Amazonas umsiedeln.Keineswegs nachhaltigDie Förderung von Biokraftstoffen hat eine Ausweitung der Anbauflächen für Zuckerrohr zur Folge und bewirkt einen Anstieg der Bodenpreise. Eine echte Landreform steht in Brasilien seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda, lässt aber weiter auf sich warten. Anstatt die Bodenreform voranzutreiben und ungenutztes oder staatliches Land Kleinbauern zur Verfügung zu stellen öffnet die Regierung in Brasilia die Landwirtschaft der Gentechnik. Derweil erkauft sich die Regierung mit Hilfsprogrammen wie Bolsa Familia den sozialen Frieden. Und verspricht Qualifikationsprogramme für einen Großteil der in der Zuckerrohrindustrie Beschäftigten. Rund eine Million Menschen arbeiten schon jetzt für Brasiliens Ethanolindustrie, etwa 400.000 davon sind Zuckerrohrschneider.Vor allem deren Arbeitsbedingungen sind miserabel, Verstöße gegen das Arbeitsrecht an der Tagesordnung. Viele Arbeiter auf den riesigen Zuckerrohrplantagen werden gehalten wie Sklaven. Der Ethanolkonzern Cosan bspw. landete im Januar wegen Sklavenarbeit auf einer schwarzen Liste des Arbeitsministeriums bevor ein allzu eifriger Richter die Maßnahme wieder aufhob. Soziale Reformen werden durch Kapitalinteressen begrenzt. So verhindert die mächtige Agrarlobby im Kongress seit 2001 eine Verfassungsänderung, die eine effektive Bestrafung der Sklavenhalter möglich machen würde. Viele der Arbeiter sind ehemalige Kleinbauern, die oft mit Gewalt von ihren Farmen vertrieben wurden und sich nun als billige Arbeitskräfte verdingen müssen. Sie arbeiten im Akkord, bei glühender Hitze, zwischen Staub und Asche, ohne Schatten und oft ohne ausreichend Trinkwasser. Die Arbeit ist extrem hart und gefährlich, der körperliche Verschleiß immens. Die meisten Zuckerrohrschneider leiden unter Muskel- und Gelenkproblemen, Rücken- und Kreuzschmerzen. In den letzten Jahren sind nach Angaben der Gewerkschaften fünfzehn Arbeiter an Erschöpfung gestorben. Eine gewerkschaftliche Organisation fehlt zumeist. Nachhaltigkeit sieht anders aus.