Erst jüngst, kurz vor Weihnachten (strategisch gut gewählt) äußerte sich die katholische Kirche zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der vor der Einpflanzung des Embryonen in die Gebärmutter eben jener Embry auf Erbkrankheiten untersucht wird. Diese Methode soll es ermöglichen zu entscheiden ob ein von Erbkrankheiten oder Behinderten gefährdeter Embry eingeplanzt werden soll oder nicht. Die katholische Kirche beschränkt sich bei ihrer Entscheidung wieder einmal auf die reine Logik, dass jedes Leben lebenswert ist und daher zur Welt kommen soll. "Der Mensch dürfe sich nicht zum Herrscher über Leben und Tod machen" hieß es. Dies ist zwar als Meinung der katholischen Kirche nicht neu, beschränkt jedoch die gesamte Thematik auf ein "Every sperm is sacred", wie es Monty Python einst besang. Die KK lässt jedoch außer Acht, dass der Mensch letztendlich auch durch die von ihr propagierte Keuschheit als alleingültige Verhütungsmethode (respektive den Verzicht auf Geschlechtsverkehr) über Leben und Tod bestimmt. Einfach ausgedrückt wäre somit jeder nicht vollzogene Geschlechtsverkehr, der ja die Möglichkeit einer Schwangerschaft mit sich bringen kann, ein Eingriff in die natürlich vorgegebene Entscheidung über Leben und Tod.
Davon abgesehen führt die sexualitätsfeindliche Haltung der KK, die weiterhin Sexualität lediglich als Mittel zur Fortpflanzung annsieht, gerade auch bei jenen Behinderten, die sie gerne als Instrument für die Argumentation, dass Abtreibung, PID und Co. Mord wären und nur dafür geeignet sind, lebenswertes vom "lebensunwerten Leben" zu trennen, zu großen Problemen. Denn gerade auch geistig behinderte Menschen werden von der Gesellschaft gerne noch als asexuell angesehen, eine Entwicklung ihrer eigenen Sexualität gestaltet sich schwierig, auch weil Eltern und Pflegepersonal oft kaum wissen, wie sie mit jemandem umgesehen sollen, der geistig auf dem Niveau eines 5jährigen Menschen sich befindet, jedoch eine erwachsene Sexualität entwickelt (hat), die auch das Interesse am anderen Geschlecht beinhaltet.
Oft werden sexuelle Beziehungen zwischen geistig Behinderten daher gerade auch von Eltern oder Betreuern auf direkte oder indirekte Weise verhindert - die Angst vor dem "nächsten Behinderten" ist hier allgegenwärtig. Hier müsste also, folgt man der Logik, was die PID angeht, die KK eindeutig auch intervenieren und dafür sorgen, dass gerade in Bezug auf Sexualität und Behinderte mehr Aufklärungsarbeit betrieben wird. Dies passiert aber nicht, so dass gerade die geistig Behinderten oft mit ihrer Problematik alleingelassen werden.
Die paradoxe Entwicklung wird dann endgültig grotesk, wenn man bedenkt, dass es für Eltern daher, auch weil im Elternhaus selbst oft eine Angst vor Sexualität herrscht, am einfachsten wäre, dem geistig Behinderten wenigstens Möglichkeiten zu bieten, mit seiner Sexualität umzugehen, auch wenn kein Partner vorhanden ist (nicht zuletzt da sich die Partnerwahl außerhalb der "Behindertengemeinschaft" ja schwierig gestaltet) - dafür böten sich dann Masturbation und ggf. auch Pornokonsum an. Beides aber wird nicht zuletzt auch durch die Kirche wiederum abgelehnt, was zu der Situation führt, dass eben jene, die von der Kirche als Argumentation missbraucht werden, danach schlichtweg vergessen und sich selbst überlassen werden. Dass auch den Eltern, die ja nach Meinung der Kirche nie das Recht haben dürfen, sich auch gegen ein Kind zu entscheiden, hier keinerlei Hilfestellung abseits der "Der Herr gibt uns nichts auf, was wir nicht tragen können" geboten wird, ist dann kaum verwunderlich.
Die Diskussion um PID, Abtreibung und Geburtenkontrolle wird stets dadurch abgewürgt, dass sie sofort von Seiten der Gegner in einer Reihe mit Genozig und Euthanasie genannt wird - die Betroffenen werden hier jedoch nur selten in eine Diskussion miteinbezogen, die bisher komplett akademisch oder aber komplett emotional geführt wird.
Kommentare 16
Volle Zustimmung zu ihrem Blogeintrag.
Zum Thema Abtreibung, gab es jüngst bei "ZO" diese Leser-Blogs:
community.zeit.de/user/gerhard-stenkamp/beitrag/2011/01/03/anmerkungen-zur-abtreibungsdiskussion
community.zeit.de/user/jean-pierre-aussant/beitrag/2011/01/02/die-pyramide-der-ethik
und zum thema PID gab es hier
www.freitag.de/community/blogs/merdeister/antworten-und-fragen-zur-praeimplantationsdiagnostik-
auch eine diskussion, die noch längst nicht an ihrem ende angekommen ist
Das ist ein interessanter Bogen den Sie da schlagen. Mich würde auch interessieren, was Sie zu den im von rahab verlinkten Blog geäußerten Meinungen denken. Vielleicht haben Sie ja Lust.
Wenn Sie Ihren Beitrag mit PID "taggen" geht er nicht unter, falls jemand etwas zu dem Thema sucht.
Dankeschön, merdeister
Die Tags habe ich nachgeholt, die andere Diskussion werde ich mir erst einmal in Ruhe anschauen. Mir ging es in dem Fall aber nicht um pro oder kontra PID, was ein sehr sehr schwieriges Thema ist, sondern darum, dass die Kirche hier imho Behinderte schlichtweg für ihre Themen ausnutzt und dann aber sich nicht für sie interessiert.
Und gerade bei den anderen Debatten vermisse ich, das war aber nur die Randbemerkung am Schluss, eben die Debatten mit Betroffenen. Wie gehen Menschen damit um, dass der Nachwuchs Chorea Huntington-Träger ist, wie erleben sie es, wenn der Sohn/die Tocher stolpert usw? Wie würden sie sich mit PID entscheiden? Wie wird ihnen geholfen oder auch nicht? Oder auch: wie geht es Menschen, die z.B. schwerstbehindert auf die Welt kommen? Würden die wollen, dass man sie heutzutage auf die Welt bringt oder gibt es da auch welche, die klar sagen: Mann, hättet ihr das mal früher gewusst und mich abgehakt?
"Die KK lässt jedoch außer Acht, dass der Mensch letztendlich auch durch die von ihr propagierte Keuschheit als alleingültige Verhütungsmethode (respektive den Verzicht auf Geschlechtsverkehr) über Leben und Tod bestimmt."
Diese Aussage ist nicht haltbar. Nach Auffassung der rkK ist der Embryo bereits vollwertiges menschliches Leben. Aus ihrer Sicht findet die Entscheidung bei der PID damit über bereits existierendes Leben statt. Deshalb die Gleichsetzung mit Euthanasie. Bei Verzicht auf Geschlechtsverkehr ist dies nicht der Fall.
Was die Frage an Betroffene angeht, haben Sie ganz sicher Recht.
Das ist zwar die Ansicht der Kirche, aber wenn die Kirche sagt, dass man sich nicht zum Herrscher über Leben und Tod aufschwingen darf, dann müsste sie konsequenterweise anerkennen, dass bereits die Verhinderung von Leben im Sinne von "ich pfusche der Natur ins Handwerk, indem ich nicht mit meinem Partner ins Bett gehe und ggf. für Nachwuchs sorge" ein Eingreifen ist. Ein Nichteingreifen hieße: okay, ich habe Lust auf Sex, mein Partner auch, also hinein ins Vergnügen und wenn dann daraus ein Baby entsteht, dann soll es so sein.
Die Ansicht der Kirche ist in etwa so:
es ist Gottes Wille, dass ggf. aus einem Ei, Mehl und Zucker ein Kuchen entsteht. Wenn also Ei, Mehl und Zucker zusammen sind, dann soll eben ein Kuchen entstehen oder nicht. Wenn ich aber nun krampfhaft dafür sorge, dass Ei, Mehl und Zucker, obgleich ich danach "lechze", nicht zusammenkommen, dann ist dies letztendlich doch auch ein Eingriff, denn wenn Gott (an den ich ja in dem Fall glaube) schon dafür sorgt, dass Partner und ich spitz wie Lumpi sind, dann will er eben, dass wir miteinander Sex haben und dadurch dann ggf. neues Leben entsteht. Wenn ich also Gottes Lustgeschenk ignoriere, dann pfusche ich ihm ins Handwerk, finde ich.
Eines geht nur - entweder ich akzeptiere die Lust inclusive Sex inclusive ggf. Leben als gottgegeben und mische mich nicht ein, oder aber ich mische mich ein. Das andere ist imho nur noch graduell gesehen ein Unterschied, eine Einmischung ist es immer.
Ich kenn mich nun nicht so mit Theologie aus (und verstehe die heftigen Diskussionen hier im Forum deshalb auch nicht) aber war es nicht bis in 19. Jahrhundert so das die katholische Kirche den Fötus erst ab dem 40. Tag der Schwangerschaft (den weiblichen Fötus sogar erst ab dem 80. Tag) als beseelt ansah?
Erst Piux IX hat das 1869 geändert- ist also noch nicht sehr lange her.
Wie kann man dann die moralischen Positionen der Kirche für so integer und unfehlbar halten?
Tut mir leid, aber das ist Unsinn.
Die Position der Kirche wäre etwa so:
Durch den Freien Willen steht es dem Menschen zu sich für oder gegen eigene Kinder zu entscheiden. Aber wenn er einmal dafür gesorgt hat, dass neues Leben da ist, dann hat er es gefälligst nicht zu töten.
Sie setzen die Entscheidung _vor_ der Entstehung neuen Lebens mit einer Entscheidung _über_ entstandenes Leben gleich. Zumindest soweit es die Position der Kirche betrifft.
mandelbrot,
Ich habe lediglicht festgestellt, dass der proklamierte Logikfehler nur scheinbar ein solcher ist.
Über Integrität oder Unfehlbarkeit der rk Position habe ich keine Aussage gemacht.
Okay, danke - ich sehe das weiterhin etwas anders und halte die Position der Kirche daher für inkonsequent :)
"Oder auch: wie geht es Menschen, die z.B. schwerstbehindert auf die Welt kommen? Würden die wollen, dass man sie heutzutage auf die Welt bringt oder gibt es da auch welche, die klar sagen: Mann, hättet ihr das mal früher gewusst und mich abgehakt?"
Ich als einer dieser Menschen lebe mein Leben so gut ich kann und habe auch ein gutes Leben! Dennoch kann ich es sehr gut verstehen, wenn Eltern sich dagegen entscheiden ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Ich würde mich genauso entscheiden, wäre ich in dieser Situation.
Die Entscheidung das Kind zur Welt zu bringen kann nicht moralisch besser sein als die Entscheidung es nicht zu tun. In beiden Fällen trifft man eine Entscheidung für eine Persönlichkeit die sich potenziell entwickeln könnte und man wird nie wissen ob man die Entscheidung trifft, die diese potenzielle Persönlichkeit gewollt hätte. Die Entscheidung kann einem keiner abnehmen und es gibt keine richtige oder falsche Antwort.
@Twister
Ja.
Man kümmert sich nicht um die vielen jungen Menschen die weltweit alle 5 sek sterben. Drumherum schafft man dann eine kleine Industrie. Rotes Kreuz etc.
Die Behinderten werden instrumentalisiert. Da können noch Arbeitsplätze geschaffen werden, z. B. wo Sie dann arbeiten können Billige Arbeitskräfte sind sie allemal und einige Betreuer und Geschäftsführer, Regionalleiter...... dadurch auch ein Einkommen haben.
Da bin ich ganz radikal.
Das nenne ich Blutsaugerei und Verwahrlosung, mit päpstlichem Segen.
Danke für den Beitrag,
und darüber einen Anlass, den von @Rahab verlinkten Blog von @merdeister mal nachzulesen. Wollte das Thema weder "komplett akademisch noch komplett emotional" sehen. Wenn man nicht betroffen ist, nicht mal tangiert und auch nicht "von Amts wegen", dann sieht man "es" in der Regel überhaupt nicht.
Hallo Quarktasche,
weißt Du vielleicht auch, was andere Menschen in einer ähnlichen Situation dazu denken?