Erdhügel oder Erdgipfel

Johannesburg 2002 Nicht wenig wurde erreicht - aber zentrale Fragen der Energiepolitik und der Finanzierung blieben ungelöst

Wenn es bei diesem Gipfel ein Wort gibt, das jeder auf den Lippen tragen sollte, wenn es ein Konzept gibt, das alles verkörpert, was wir in Johannesburg zu erreichen hoffen, dann ist es gegenseitige Verantwortung (mutual responsibility), Verantwortung für den Planeten Erde und vor allem Verantwortung für die Zukunft. Es heißt, alles habe seine Zeit. Lasst es nun eine Zeit sein, in der wir eine lange überfällige Investition in das Überleben und die Sicherheit künftiger Generationen tätigen." Schöne Worte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, am Montag, zwei Tage vor Ende des Erdgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg.

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als erster Regierungschef des Nordens das Wort ergriff, fand schöne Worte - und er wurde sehr konkret dabei. Angesichts der dramatischen Zunahme an Naturkatastrophen rief er zum entschlossenen Kampf gegen die weitere Umweltzerstörung auf. "Der Klimawandel ist inzwischen bittere Realität", so sagte er. Die schlimmste Flutwelle in der deutschen Geschichte wie die Verwüstung ganzer Landstriche in anderen Teilen der Welt zeigen, dass rasches Handeln erforderlich sei. Mit deutlichen Worten appellierte er an die USA und an Russland, das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz alsbald zu ratifizieren. Staaten, die diesen Vertrag ablehnen, sollten zumindest einen gleichwertigen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgase leisten. Und er forderte die Einigung auf konkrete Ziele und Schritte zur Einführung und Nutzung erneuerbarer Energien, wie Wind, Biomasse und Fotovoltaik.

Selbstverpflichtungen: Von der Artenvielfalt bis zum Trinkwasser ...

Der UN-Generalsekretär wie der Bundeskanzler hatten ihre knappe Zeit in Johannesburg, und sie haben sie genutzt. Doch was erreichten die Delegierten auf dieser bisher größten Konferenz aller Zeiten? Sie bastelten und verhandelten einen sogenannten Aktionsplan, der fast das gesamte Alphabet umfasst, lauter kleine Erdhügel, die aber, bis Montagabend, noch keinen Erdgipfel ausmachten.

Artenvielfalt:

Bis zum Jahr 2010 soll die derzeitige Geschwindigkeit des Artensterbens "deutlich reduziert" werden.

Chemikalien: Die negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur sollen bis zum Jahr 2020 minimiert werden.
Erneuerbare Energien: Der Beschluss sieht eine "bedeutende Steigerung" des Anteils erneuerbarer Energien vor, die "dringend" erforderlich sei. Ein konkretes Ziel und ein Zeitplan werden nicht genannt.
Fischerei: Die Fischbestände sollen nicht überfischt werden; schon dezimierte Bestände sollen sich, "wo möglich", bis zum Jahr 2015 erholen können.
Handel: Umweltschädigende Subventionen sollen, diesmal allerdings ohne Zeitvorgabe, abgebaut werden. Internationale Umweltabkommen sollen der Welthandelsorganisation (WTO) gleichgestellt, nicht untergeordnet werden.
Kyoto-Protokoll: Die 70 Staaten, die das Klimaschutzabkommen bereits ratifiziert haben, appellieren nachdrücklich an alle anderen, dies auch zu tun. Tuvalu, der vom Klimawandel existenziell bedrohte Inselstaat kündigte (schon zum zweiten Mal) an, die USA und Australien wegen unterlassener Überlebenshilfe vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen zu wollen.
Sanitäre Anlagen und Trinkwasser: Der Anteil der Weltbevölkerung, der noch nicht an eine Abwasserversorgung angeschlossen ist (derzeit etwa 2,4 Milliarden Menschen), soll bis zum Jahr 2015 ebenso halbiert werden wie der Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser (derzeit etwa 1,2 Milliarden Menschen).

... aber noch kein Meilenstein globaler Verantwortung So weit, so gut? Lobenswert ist sicher, dass sich Staaten auf quantitative Ziele und Zeitrahmen (targets and time-tables) für bestimmte Sektoren der internationalen Politik eingelassen haben. Aber der zentrale Bereich, der Energiesektor, blieb aufgrund des Widerstands der USA, der OPEC und auch großer Teile der Entwicklungsländer außen vor. Zum anderen gehören aber auch mehr Buchstaben zum Alphabet, die buchstabiert und durchdekliniert werden müssten.

Da fehlte das A für Agenda 21, jenes Aktionsprogramm von Rio 1992, das in Johannesburg hätte reaktiviert werden können, weil es nur ansatzweise und nicht weltweit umgesetzt wurde. Da fehlte auch eine großzügige Diskussion des Buchstaben F, wie Finanzierung als Voraussetzung für die ansonsten löblichen sektoralen Ziele. Der Buchstabe L, wie Landwirtschaft, wurde zwar heftig diskutiert, doch ob die Subventionen für die europäische und US-Landwirtschaft wirklich reduziert und ob diese Märkte für die Entwicklungsländer auch geöffnet werden, bleibt offen. Und dann ist da noch der Buchstabe U für Umsetzung von Umwelt- und Entwicklungspolitik, für ein zu reformierendes UN-Umweltprogramm, das zu einer effektiven UN-Sonderorganisation für Umwelt und Entwicklung umgebaut werden müsste.

Lob, frühzeitiges Lob, kam aber von einer Seite, von der man sonst eher nur kritische Worte hört. Die Deutschen seien die "Lokomotive von Johannesburg" gewesen, meinte der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände. Und der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) begrüßte die Ankündigung der Bundesregierung, in den nächsten fünf Jahren 500 Millionen Euro für erneuerbare Energien und 500 Millionen für Energieeffizienzmaßnahmen in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.

War dieser "Erdgipfel" ein Gipfel oder doch nur ein Hügel? Wie und wann kann man das feststellen? Schon am Tag nach der Konferenz in Johannesburg? Oder ist das Ganze doch eher als Prozess zu sehen, so dass man vielleicht erst in einem Jahrzehnt die Antwort weiß, wenn es heißen wird: "Johannesburg plus 10"?

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