Maikäfer, flieg ...

VERMEIDEN, MINDERN, ANPASSEN Wie begegnen wir dem Klimawandel - auf dem Rücken liegend und mit den Beinen strampelnd?

In diesem Jahr hat das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - das Gremium der ökologischen Weltweisen - durchaus Sinn für Dramaturgie bewiesen. Es offenbart seine Wahrheiten auf Raten und hat sich dabei für eine Art Drei-Klang entschieden. Im Januar kam aus Schanghai ein erster Bericht mit der neuesten Analyse des globalen Klimasystems und seiner Veränderungen. Im Februar folgte aus Genf ein zweiter Bericht und konzentrierte sich darauf, Auswirkungen des Klimawandels abzuschätzen. Für März harrt der Dreiklang seiner Abrundung. Der letzte Teil des IPCC-Reports 2001 wird mit Strategien zur Vermeidung und Minderung beziehungsweise Anpassung an ein verändertes Klima aufwarten.

"Vermeidung, Minderung, Anpassung" - was da auf einen ersten Blick zur Formel gerinnt, spielt in Wirklichkeit auf abgestufte Reaktionen an, zu denen sich die Gesellschaft - der Einzelne als Produzent und Konsument, der Staat und die Wirtschaft - entschließen können, um den Klimawandel zu "vermeiden", zu "mindern" oder sich ihm "anzupassen".

Schon die bisher vorliegenden Analysen des IPCC wirken hinsichtlich ihrer Leitindikatoren wie ein Schock. Oder sollte man besser von einem Menetekel sprechen? Wird tatsächlich bis gegen Ende dieses Jahrhunderts eine durchschnittliche Erderwärmung um bis zu 5,8° Celsius eintreten (und die heutige Qualität von Klimabeobachtung und Klimamodellierung lassen daran kaum Zweifel) - bei einer durchschnittlichen Erdtemperatur von derzeit 16,8° Celsius käme dies schlicht einer Katastrophe gleich, zumal die Erwärmung über den Landflächen der Erde erheblich höher sein dürfte als im Durchschnitt. Der Meeresspiegel kann nach den jüngsten Berechnungen um bis zu 88 Zentimeter steigen, die Schnee- und Eisbedeckung wird erheblich zurückgehen.

Diese Erwärmung provoziert schwerwiegende, irreversible Folgen für die agrarische Produktion, die Artenvielfalt, die Trinkwasserreserven und für menschliche Agglomerationen. Was die regionalen Folgen des Klimawandels angeht, so werden die Küstengebiete der Erde und damit zahlreiche große Städte besonders betroffen sein. Auch in Europa. Das IPCC prophezeit, dass in den Alpen jeder zweite Gletscher schmilzt und dass nicht nur Hochgebirgsregionen in der Schweiz, in Österreich, Frankreich, Italien oder Deutschland, sondern auch andere Gebiete - etwa die norddeutsche Tiefebene - durch Überschwemmungen betroffen sein werden. Zugleich drohen Südeuropa verheerende Dürreperioden, müssen wir uns dort und anderswo in der Welt auf die Wieder-Verbreitung von Krankheiten wie Malaria und Cholera einstellen. Am stärksten wird es jedoch die Entwicklungsländer und hierbei viele Inselstaaten treffen, nicht nur wegen ungünstiger geographischer Bedingungen, sondern auch und besonders wegen fehlender finanzieller und institutioneller Kapazitäten.

Unter diesen Umständen also steht wie erwähnt der dritte - der Strategiebericht - des IPCC an, und es drängt sich die Frage auf, ob seine Aussagen den Schock möglicherweise potenzieren.

Man sollte nicht in Panik verfallen, obwohl eines jetzt schon klar scheint: Wenn um Politik - um Strategien - gerungen wird, geht es immer auch um Macht, um die Frage: Welche kurzfristigen, partiellen ökonomischen Interessen setzen sich durch? Und welche Chancen haben dagegen langfristige, ganzheitliche Werte wie intertemporale Gerechtigkeit und internationale Solidarität? Nehmen die jetzt Lebenden - Politiker, Unternehmer, Gewerkschafter, Konsumenten, Bürger - Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen? Nehmen die Reichen - die Industrieländer, die Autofahrer, die Flugtouristen - Rücksicht auf die Armen und Zu-kurz-Gekommenen? Die Klimafrage stellt die alte (und ungelöste) soziale Frage neu, und sie fügt die ökologische hinzu. Es geht dabei, wie Albert Schweitzer einmal äußerst prägnant formuliert hat, "um Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will ..."

Insofern muss der Strategieteil des IPCC-Berichts wohl sogar einen tiefen Schock auslösen. Soll es wirklich noch gelingen, den Klimawandel zu vermeiden, wird es um mehr oder weniger drastische Mengenbegrenzungen für den Ressourcenverbrauch, die Schadstoffemissionen, ja es wird auch um den Wohlstand der Reichen und Privilegierten gehen müssen - um unseren Lebensstil, vorrangig den American way of life. Dann müssen weitreichende und durchgreifende technische und soziale Innovationen her.

Soll hingegen der Klimawandel nur gemindert werden, dann genügt es, mit Emissionszertifikaten zu handeln, die europa- und weltweite Einführung einer Energiesteuer zu beschließen, die Kräfte-Wärme-Kopplung zu verbreitern, Abgaben auf den zivilen Flugverkehr und Ferntourismus zu erheben - und sich im Wesentlichen darauf zu beschränken.

Sollte man - sei es auch nur mehrheitlich - der Meinung sein, dass es lediglich auf Anpassung an den Klimawandel ankommt, dann wird dies zumindest ein riesiges Investitionsprogramm auslösen. Man wird Deiche bauen und erhöhen, Städte klimatisieren, die Häuser sturmsicher machen, Umsiedlungen vornehmen - und damit schon während der kommenden Jahrzehnte beginnen müssen.

Was also werden wir im Hinblick auf die künftige Klimapolitik sein? Sarkastische Pessimisten oder strukturelle Optimisten? Spießbürger oder Weltbürger? Egoisten oder Altruisten - oder Realisten? Wie werden wir reagieren und vor allem agieren - als Maikäfer, die auf dem Rücken liegen und mit den Beinen strampeln?

Udo Ernst Simonis ist Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin, Mitglied des UN-Komitees für Entwicklungspolitik und Mitherausgeber des Jahrbuchs Ökologie 2001.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden