Emotionen werden geweckt, wenn ein machtpolitischer Poker wie beim jüngsten Klimagipfel in die Selbstblockade führt. Wie auch immer, Den Haag war ein schwerer Rückschlag für viel geistige Vorarbeit und manch harte Kontroverse um die beste internationale Klimapolitik. Wie konnte es dazu kommen? In Kyoto war 1997 das Ziel konkretisiert worden, für 38 Industrieländer eine durchschnittlich fünfprozentige Reduzierung von sechs Treibhausgasen in der Zeit bis 2008/2012 gegenüber dem Basisjahr 1990 durchzusetzen - ein zur Stabilisierung des Klimasystems zwar wenig ehrgeiziges Ziel, aber doch ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch die Instrumente dazu waren benannt worden, in ihrer Ausgestaltung aber verdächtig offen geblieben. Um deren Konkretisierung sollte es in Den Haag gehen: Um die Bedingungen für die Durchführung gemeinsamer Maßnahmen (joint implementation), um den internationalen Handel mit Emissionsrechten (emission trading) und um einen Mechanismus zur Einbindung der Entwicklungsländer (clean development mechanism), denen im "Kyoto-Protokoll" noch keine Emissionsreduzierungen auferlegt worden waren, auf deren "saubere Entwicklung" es klimapolitisch sehr wohl ankommt.
Bei all diesen Instrumenten habe man in Den Haag kurz vor dem notwendigen Kompromiss gestanden, sagen alle. Doch der kritische Punkt war nicht der Emissionshandel - von vielen Umweltschützern verteufelt und von manchen Geschäftemachern heiß ersehnt. Zur Bruchstelle wurde die "Senken-Frage" - der Streit um die Anrechnung von forst- und landwirtschaftlichen Methoden, mit denen Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen, also gespeichert werden kann. Es entstand eine zweifach "verkehrte" Welt: Die kulturhistorisch einmalige Situation, dass die technik-euphorische Neue Welt - die USA, Kanada, Australien, Japan - die "Wald-Option" spielte und die wald-romantische Alte Welt - Europa - davon nichts wissen wollte und statt dessen die "Technik-Option" hochhielt. Überdies gab es die verhandlungstaktisch ungünstige Lage, dass ausgerechnet der strittigste Punkt zum Erfolgskriterium der Konferenz gemacht wurde.
Der Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut, das es ohne internationale Absprachen in dem nötigen Umfang nicht geben wird. Absprachen, mit denen man sich seiner Ungewissheiten versichert, sind da wenig sinnvoll, denn während über die ökologische Effektivität und die ökonomische Effizienz von joint implementation und emission trading viel geforscht und diskutiert wurde, ist die Rolle von Wäldern und Agrarflächen als Klimafaktor weiter höchst strittig. So bemerkt etwa der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen" (WBGU) zu Den Haag, die Biosphäre könne Emissionen langfristig nicht binden. Deshalb sei die Absicht einer Reihe von Industrieländern, sich immer mehr natürliche Funktionen von Wäldern und anderen Ökosystemen "gut schreiben" zu lassen, verwerflich.
Was hätte angesichts derartiger Positionen getan werden müssen? Klarheit muss her - und wenn sie in einer solch wichtigen Frage nicht rechtzeitig zu haben ist, dann hätte eine kluge Konferenzleitung diesen Punkt von der Tagesordnung streichen müssen. Wenn aber nicht auszuschließen ist, dass sich in der "Senken-Frage" überhaupt kein politischer Verhandlungsstatus erreichen lässt, dann müsste eine andere Konsequenz ins Auge gefasst werden - dann sollte man eine eigenständige internationale Waldkonvention vorbereiten oder im Rahmen der Biodiversitätskonvention ein Wald-Protokoll aushandeln. Ob und wie Klimaschutz durch forstwirtschaftliche Maßnahmen erzielt werden kann, würde dann zwar strittig bleiben; unstrittig aber ist, dass Erhalt und Aufforstung von Wäldern zum Schutz der Biodiversität des Planeten dringend nötig sind.
Den Haag hat aber noch ein anderes, ein strategisches Dilemma erkennen lassen. Nicht alle sehen im "Kyoto-Protokoll" den unverrückbaren, notwendigen Markstein einer international abgestimmten Politik, die den Klimawandel zwar nicht mehr verhindern, aber doch in Grenzen halten könnte. Wären die Europäer auf den Kompromissvorschlag des Vorsitzenden Jan Pronk eingegangen, hätten sie einerseits das "Kyoto-Protokoll" aufgeweicht, andererseits aber keineswegs darauf vertrauen können, dass Washington es wirklich ratifiziert. Dies wird so schnell nicht geschehen, wer auch immer neuer Präsident der USA wird.
Deshalb bleiben jetzt nur zwei Möglichkeiten: Die Europäer tun alles, um die Fortsetzungskonferenz in Bonn (Mai 2001) auch ohne die USA zum Erfolg zu führen. Oder sie starten eine groß angelegte Bildungs- und Medienoffensive, um ökologisches Unwissen und naiven Glauben an technischen Fortschritt zu überwinden. Auf alle Fälle wird es nun länger dauern, von einer Verschwendungswirtschaft zu einer ressourcenschonenden Ökonomie zu kommen.
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