Schmalspur nach Johannesburg

Zwischen Weltwirtschaft und Weltökologie Zehn Jahre nach Rio steht mit dem "Erdgipfel" Ende August in Südafrika keine entspannte Geburtstagsfeier auf dem Programm

Vier Monate bleiben bis zum "Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung" in Johannesburg, so dass die Frage mehr als berechtigt erscheint, ob in dieser Frist noch mit "strategischen Initiativen" zu rechnen ist, die den qualitativen Sprung von einer Konferenz zum Gipfel erlauben. Oder ob man sich weiter in kleinteiligem Geplänkel um partikulare Interessen verliert: Nord gegen Süd, Industrie- gegen Entwicklungsländer, globalisierte Reiche gegen lokalisierte Arme, Wachstumsfetischisten gegen Umweltschützer.

Der Weg zu dieser dritten großen UN-Konferenz erschien zunächst durchaus hoffnungsvoll. Endlich einmal ein integriertes Leitbild: sustainable development - Nachhaltige Entwicklung! Noch 1972 ging es in Stockholm nur (sic!) um human environment - menschliche Umwelt. Damals ein gelungener Start für aktive nationale Umweltpolitik, aber auch nicht mehr. 1992 in Rio dann das gespaltene Leitbild: environment and development - Umwelt und Entwicklung, was alles andere als ein Zufall war. Dem Norden ging es um ein wenig mehr Umweltschutz - auch und besonders auf internationaler Ebene -, dem Süden um Entwicklung, vereinzelt um Armutsbekämpfung, jedenfalls nicht um eine Priorität für den Schutz der Umwelt. Was nachhaltige Entwicklung - was eine natur- und menschenfreundlichere Zivilisation sein könnte, blieb merklich diffus oder verflüchtigte sich in ein um mehr Weitsicht bemühtes Management des Gewohnten.
Dabei war Rio 1992 in programmatischer Hinsicht nachgerade progressiv. Die Deklaration des Gipfels verzeichnete ein Recht auf Entwicklung - Fairness-Prinzipien wurden fixiert: das Prinzip gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortung der Staaten oder das Prinzip geteilter Lasten und geteilter Gewinne. Vor allem brachte Rio die Klimarahmenkonvention auf den Weg, dazu die Biodiversitätskonvention (Verpflichtung zum Schutz der Vielfalt vorhandener Ökosysteme, Arten und Gene), die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenausbreitung, die Agenda 21 (den Aktionsplan für Nachhaltige Entwicklung) und schließlich die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD), das wichtigste institutionelle Ergebnis der Konferenz - eine multilaterales Gremium auf Ministerebene.
Dennoch, zum Mythos hat es Rio ´92 nie gebracht. In der Erinnerung erscheint die Konferenz wie das bekannte Vexierbild: Je nach Erwartung zeichnet sich eine junge Frau oder eine alte Dame ab. Verträge wurden unterzeichnet, aber nicht umgesetzt - Hoffnungen erweckt, doch mit den eigenen Anstrengungen nahm man es nicht allzu ernst.
Von der Überlegung, beispielsweise 125 Milliarden Dollar für die Agenda 21 im Süden bereitzustellen, blieb nichts übrig, sieht man von der Globalen Umweltfazilität (GEF) ab, die aber nicht für lokale, sondern nur für globale Umweltgüter zuständig und zudem bescheiden dotiert ist. Der Status der Agenda 21 ist so höchst ambivalent: Während sie in einigen Ländern zur Reaktivierung und ökologischen Kompetenzerweiterung der lokalen Demokratie beitrug, ist sie andernorts völlig unbekannt geblieben; das gilt nicht nur für ein so introvertiertes Land wie die USA, auch für weite Teile Afrikas. Den globalen Anspruch der Agenda zu reanimieren, ist zweifellos eine der Herausforderungen, vor denen Johannesburg steht. Dies vor allem deshalb, weil das Konzept zwei Perspektiven Nachhaltiger Entwicklung verknüpft: das lokale, alltägliche Handeln am global Verträglichen auszurichten und möglichst viele Akteure auf die ökonomische, soziale und ökologische Dimension von Nachhaltigkeit zu verpflichten. Fairness zwischen den Staaten und Generationen, Demokratie vor Ort und Teilhabe an der Verfügungsmacht über Ressourcen und beim Schutz der Umwelt - all das birgt diese Agenda als programmatischen Schatz, der vielerorts erst noch zu heben ist. Leider ist das Dokument viel zu umfangreich und zu kompliziert formuliert, als dass es überall und für jeden Einzelnen relevant werden kann.

Eine Gerechtigkeits-Tragödie vermeiden



Sicher wurde seit Rio in der globalen Umweltpolitik einiges bewegt, man denke an die Klimarahmenkonvention und das darauf ausgerichtete Kyoto-Protokoll (das noch vor Johannesburg in Kraft treten soll) oder auch die Biodiversitätskonvention. Dokumente, die nach einem gerechten Interessenausgleich suchen und dem Prinzip Fairness folgen. Pflichten werden dabei (vorerst) nur dem Norden auferlegt, die dem Süden entstehenden zusätzlichen Kosten für den Klima- und Biodiversitätsschutz müssen finanziell und technologisch kompensiert werden. Die genannten Konventionen folgen einem ausgeklügelten Fahrplan und bedürfen insofern in Johannesburg nicht der Detailverhandlungen, gebraucht wird allerdings eine hinreichende organisatorische wie finanzielle Ausstattung dieses Teils internationaler Umwelt- und Entwicklungspolitik.
So sind die globalen Kohlendioxid-Emissionen noch weit von jener Dimension entfernt, die bis 2050 zu einer Reduktion um die Hälfte führen würde (s. Übersicht). Das Kyoto-Protokoll zielt in die richtige Richtung, doch nicht weit genug. Mit dem Clean Development Mechanism (CDM) und dem Klimafolgenfonds lassen sich weder die dringend erforderliche Umstrukturierung von Energie- und Verkehrssystemen, noch die Anpassungskosten an ein sich wandelndes Klima finanzieren.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat in einem Sondergutachten für Johannesburg Entgelte auf die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter (global commons) vorgeschlagen: Mit einer geringfügigen Besteuerung des Luft- und Seetransports wären Summen denkbar, mit denen sich globale Umwelt- und Entwicklungspolitik besser finanzieren ließe - dies könnte ohne großen Widerstand über die Bühne gehen.
Trotz Biodiversitätskonvention hat sich die Geschwindigkeit, mit der Wälder abgeholzt, Meere überfischt und Böden degradiert werden, kaum geändert; allenthalben dünnen die Ökosysteme weiter aus. Dies liegt nicht am Vertragstext, der höchst innovativ ist, sehr wohl aber am mangelnden Willen zur Umsetzung und an ungelösten Finanzierungsfragen. Auch die Ressource Wasser wird immer knapper mit der Konsequenz, das noch immer 1,1 Milliarden Menschen nicht genug Wasser zum Leben haben (s. Übersicht). Gegenmaßnahmen im UN-System bleiben aus. Warum sollten die Vorarbeiten, die mit der Wasserkonferenz Ende 2001 in Bonn geleistet wurden, nicht zu einer Weltwassercharta führen?
Mit anderen Worten, wer von Weltumweltpolitik redet, muss sich schon der Mühe unterziehen, jene Trends des globalen Wandels in den Blick zu nehmen, die bisher nicht oder nur unzureichend beachtet werden. "Prävention - so weit möglich, Anpassung - wo immer nötig" - dies könnte das Credo für Johannesburg sein. Es könnte helfen, irreversible Prozesse frühzeitig zu erkennen und eine "Gerechtigkeits-Tragödie" (W. Sachs) zu vermeiden, die unweigerlich bevorsteht: Dürreperioden, Überflutungen, Vegetationsänderungen, Störungen des Wasserkreislaufs und daraus resultierende Infektionskrankheiten werden zuallererst den Süden und dort die Armen treffen. Wenn Prävention nicht versucht wird und Anpassung nicht gelingt, kann die koloniale Zerstörung noch einmal von vorn beginnen - diesmal über die Atmosphärenchemie, über transgene Pflanzen und die Genpiraterie transportiert.
Was nun die institutionelle Begleitung Nachhaltiger Entwicklung angeht, so lässt sich seit Rio eine Asymmetrie der besonderen Art beobachten: Dem Ehrgeiz, unterschiedliche Handelskulturen in einer einzigen "Weltmarktgesellschaft" zu verschmelzen, wurde mit der 1994 gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) entsprochen - der Ehrgeiz, eine Weltumweltgemeinschaft zu etablieren, ist dagegen nicht vorhanden oder wird politisch blockiert. Gerade eine Balance zwischen Weltwirtschaft und Weltökologie institutionell zu verankern - das wäre ein Auftrag für Johannesburg, wobei schon bescheidene institutionelle Innovationen ein Fortschritt sein könnten. Man erinnere sich: In Stockholm 1972 wurde die Einrichtung der UNEP - des Umweltprogramms der UNO beschlossen, in Rio 1992 die der CSD - der Kommission für Nachhaltige Entwicklung. Beides gewichtige Gremien, doch niemand wird behaupten wollen, dass es damit der Staatengemeinschaft angesichts grassierender Umweltprobleme etwa gelungen sei, adäquate Strukturen aufzubauen. UNEP ist ein Programm, keine Organisation, ihm fehlen Mandat und Ressourcen für eine Trendumkehr in Richtung Nachhaltigkeit. Die CSD dient als Forum des Erfahrungsaustauschs, eine internationale Lerngemeinschaft sozusagen. Die Sekretariate der verschiedenen Umweltkonventionen sind weltweit verstreut, von Finanzengpässen ganz zu schweigen.

Eine Weltumweltgemeinschaft etablieren



Diese Defizite signalisieren Handlungsbedarf für Johannesburg: Das UN-Umweltprogramm sollte endlich in eine eigenständige UN-Organisation für Umwelt und Entwicklung überführt werden, was sicher einer adäquaten Finanzausstattung globaler Umweltpolitik nützen dürfte. Des weiteren wären die multilateralen Umweltabkommen den (ökologisch zu reformierenden!) WTO-Regeln gleichzustellen.
Ob Johannesburg Zwischenstation, Wegscheide oder wirklich Gipfelpunkt eines Diskurses um Nachhaltige Entwicklung sein wird, hängt nun nicht zuletzt davon ab, wie die Zeit bis Ende August genutzt wird. Leider ist das Spektrum der Themen bisher noch viel zu umfangreich und beliebig - Konzentration würde für Abhilfe sorgen. Hier könnte die Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen, weil der Nachhaltigkeitsdiskurs in Deutschland einen beachtlichen Stellenwert aufweist. Erfreulich wäre es, könnte es die EU über sich bringen, dem verordneten Unilateralismus der USA und dem Versteckspiel anderer Staaten entgegen zu treten. Doch wird wohl Spanien weder das Stehvermögen noch den Reformeifer haben, der einst die finnische und schwedische EU-Präsidentschaft auszeichnete.
Eine entspannte Geburtstagsfeier "Rio+10" ist in Johannesburg angesichts gravierender Konflikte und eines knapper werdenden Umweltraums also nicht zu erwarten. Andererseits sind Geburtstage immer für Überraschungen gut.

Tabelle 1:

Tablle 2:

Udo Ernst Simonis gehört zu den profiliertesten ökologischen Ökonomen in Deutschland, er ist seit 1999 Mitglied des Committee for Development Policy (CDP) der UNO und seit 1992 Mitherausgeber des Bandes Jahrbuch Ökologie.

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